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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Dem alten Herkommen gemäß wurde im Sommer 1825, als die Rosen
in voller Blüthe standen, nach siebenjähriger Pause wieder einmal zur Hirten¬
zeche in Mehlis eingeladen. Dem Landrath zu Schmalkalden, welcher von
Seiten Kurhesseus als landesherrlicher Commissär erschien, stand herkömmlich
das Recht zu, einen Gast mitzubringen, und zufolge seiner Einladung begleitete
ich ihn nach Mehlis. An einem schönen Sommertag ritten wir frühmorgens,
von Dienerschaft begleitet, von Schmalkalden ab und langten zeitig in Steinbach-
Hallenberg an. Daselbst hatten sich bereits aus der ganzen Umgegend die¬
jenigen Personen eingefunden, welche auch zur Hirtenzeche in Mehlis eingeladen
waren, und im Verein mit diesen wurde dann der weitere Zug gen Mehlis
angetreten. Der Weg führte über ein hohes Gebirge, und als wir ins jeu^
heilige Thal hinabstiegen, vernahmen wir Glockengeläute, durch welches den
Bewohnern von Mehlis unsere nahe Ankunft angezeigt wurde. Im Glanz
der Morgensonne zogen wir zu Roß und zu Fuß in Mehlis ein und wurden
von allen Seiten aufs freundlichste begrüßt. Vor dem Rathhaus wurden wir
von dem gothaischen landesherrlichen Commissär, von dem Ortsvorstand und
von den Honoratioren von Mehlis bewillkommnet und darauf ins Rathhaus
geführt, in dessen oberem Stock im Festsaal ein gediegenes Frühstück bereit
stand. Nachdem diesem wacker zugesprochen worden war, zogen sich die beider¬
seitigen landesherrlichen Commissäre zur gemeinschaftlichen Berathung über
die Hute-Angelegenheit zurück, wobei zunächst festgestellt wurde, ob und in¬
wieweit die Hute in herkömmlicher Weise ausgeübt worden sei. Die übrigen
Gäste wurden unterdeß in die für sie bestimmten Quartiere geführt, wobei
ich das Glück hatte, bei einem reichen Kaufmann mit liebenswürdiger Gattin
und einem wunderschönen Töchterlein von 18 Jahren einlogirt zu werden.
Die Gastfreundlichkeit meiner Wirthsleute ließ es sich nicht nehmen, ein zweites
Frühstück aufzutragen, und nachdem einige Gläser guten alten Weines ge¬
trunken waren, führte mich mein freundlicher Wirth in dem Marktflecken
und seiner nächsten Umgebung herum, um mir die Merkwürdigkeiten von
Mehlis zu zeigen.

Gegen 1 Uhr wurde ich von meinem Wirthe in den Flecken zurück und
auf das Rathhaus geleitet, woselbst im großen Saal eine Festtafel für 40 --
60 Personen gedeckt und deshalb mit Blumen so reichlich geschmückt war,
weil bei jedem Gedeck, dem alten Herkommen gemäß, eine rothe und eine
weiße Rose lag. Nachdem die Gäste die für sie bestimmten Plätze eingenom¬
men und die übrigen Theilnehmer sich niedergelassen hatten, erhob sich der
gothaische landesherrliche Commissär und mit ihm die ganze Gesellschaft, er¬
griff den vor ihm stehenden silbernen, inwendig vergoldeten Pokal, welchen im vori¬
gen Jahrhundert der Herzog Friedrich III. von Gotha der Gemeinde Mehlis ganz
besonders für die Hirtenzechen geschenkt hatte, und trank auf das Wohl Seiner


Dem alten Herkommen gemäß wurde im Sommer 1825, als die Rosen
in voller Blüthe standen, nach siebenjähriger Pause wieder einmal zur Hirten¬
zeche in Mehlis eingeladen. Dem Landrath zu Schmalkalden, welcher von
Seiten Kurhesseus als landesherrlicher Commissär erschien, stand herkömmlich
das Recht zu, einen Gast mitzubringen, und zufolge seiner Einladung begleitete
ich ihn nach Mehlis. An einem schönen Sommertag ritten wir frühmorgens,
von Dienerschaft begleitet, von Schmalkalden ab und langten zeitig in Steinbach-
Hallenberg an. Daselbst hatten sich bereits aus der ganzen Umgegend die¬
jenigen Personen eingefunden, welche auch zur Hirtenzeche in Mehlis eingeladen
waren, und im Verein mit diesen wurde dann der weitere Zug gen Mehlis
angetreten. Der Weg führte über ein hohes Gebirge, und als wir ins jeu^
heilige Thal hinabstiegen, vernahmen wir Glockengeläute, durch welches den
Bewohnern von Mehlis unsere nahe Ankunft angezeigt wurde. Im Glanz
der Morgensonne zogen wir zu Roß und zu Fuß in Mehlis ein und wurden
von allen Seiten aufs freundlichste begrüßt. Vor dem Rathhaus wurden wir
von dem gothaischen landesherrlichen Commissär, von dem Ortsvorstand und
von den Honoratioren von Mehlis bewillkommnet und darauf ins Rathhaus
geführt, in dessen oberem Stock im Festsaal ein gediegenes Frühstück bereit
stand. Nachdem diesem wacker zugesprochen worden war, zogen sich die beider¬
seitigen landesherrlichen Commissäre zur gemeinschaftlichen Berathung über
die Hute-Angelegenheit zurück, wobei zunächst festgestellt wurde, ob und in¬
wieweit die Hute in herkömmlicher Weise ausgeübt worden sei. Die übrigen
Gäste wurden unterdeß in die für sie bestimmten Quartiere geführt, wobei
ich das Glück hatte, bei einem reichen Kaufmann mit liebenswürdiger Gattin
und einem wunderschönen Töchterlein von 18 Jahren einlogirt zu werden.
Die Gastfreundlichkeit meiner Wirthsleute ließ es sich nicht nehmen, ein zweites
Frühstück aufzutragen, und nachdem einige Gläser guten alten Weines ge¬
trunken waren, führte mich mein freundlicher Wirth in dem Marktflecken
und seiner nächsten Umgebung herum, um mir die Merkwürdigkeiten von
Mehlis zu zeigen.

Gegen 1 Uhr wurde ich von meinem Wirthe in den Flecken zurück und
auf das Rathhaus geleitet, woselbst im großen Saal eine Festtafel für 40 —
60 Personen gedeckt und deshalb mit Blumen so reichlich geschmückt war,
weil bei jedem Gedeck, dem alten Herkommen gemäß, eine rothe und eine
weiße Rose lag. Nachdem die Gäste die für sie bestimmten Plätze eingenom¬
men und die übrigen Theilnehmer sich niedergelassen hatten, erhob sich der
gothaische landesherrliche Commissär und mit ihm die ganze Gesellschaft, er¬
griff den vor ihm stehenden silbernen, inwendig vergoldeten Pokal, welchen im vori¬
gen Jahrhundert der Herzog Friedrich III. von Gotha der Gemeinde Mehlis ganz
besonders für die Hirtenzechen geschenkt hatte, und trank auf das Wohl Seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/79>, abgerufen am 27.11.2024.