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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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doch sehr pastos gemalt und von kräftigem, gesättigtem Gesammtton und von
vortrefflicher einheitlicher Wirkung. Leider haben alle Gesichter, der Körper
des Kindes, die Hände der Madonna d. h. alle Fleischtheile und auch das
Gewand des der Madonna zur Linken stehenden Engels, wie das schon
Waagen hervorgehoben hat, dem Anschein nach durch Abwaschen, stark ge¬
litten. Alle übrigen Theile sind sehr gut erhalten.

Auf der Rückseite des Bildes befindet sich die aus Lateinischen Buchsta¬
ben von gleicher Form wie die Inschrift der Vorderseite gebildete Inschrift:
IIOI^IN. Aus welcher Zeit dieselbe ist, wage ich nicht zu entscheiden.

Beide Bilder verrathen durch ihre Composition und Gesammtauffassung,
"ihre weihevolle Würde und friedliche Gemüthlichkeit," wie durch die Art ihrer sehr
gediegenen Ausführung besonders auch durch die Behandlung des Faltenwurfes
und die liebevolle Durchbildung auch der Nebendinge, sehr deutlich den, dem
Künstler doch wohl durch Schongauer vermittelten, Einfluß der Flandrischen
Malerschule der Gebrüder van Eyck (Crowe sagt direkt des Memling), und
zwar ist das bei dem erst beschriebenen Bilde noch viel mehr der Fall als
bei dem zweiten, bei welchem der Maler sich schon selbstständiger und freier
bewegt hat.

Beide Bilder sind nun, was schon Waagen aufgefallen ist, und auch
alle spätern Kunstforscher zugestehen, einander sehr ähnlich, so zwar daß
Waagen, der das 3 bestimmt für die Abkürzung von Sigmund hielt, an¬
nahm Sigmund hätte "vielleicht unter der Firma seines Bruders gemalt"
und Lützow meinte, Sigmund "müsse das Bild in der Werkstatt seines Bru¬
ders als dessen Gehülfe und unter dessen künstlerischen Leitung gefertigt haben".
Und sie sind in der That, wie eine unmittelbare Consrontation der¬
selben gezeigt hat, in der Art und Weise der Composition sowohl als be¬
sonders in der malerischen Ausführung einander so ähnlich, ohne daß irgend
ein Theil der einen Copie nach irgend einem Theile des andern ist, daß man
sie als Arbeiten desselben Künstlers betrachten muß, wenn nicht sehr ge-
wichtige, ja zwingende Gründe solches verbieten. Dazu kommen noch neben¬
sächliche Kleinigkeiten, wie der Marmorboden, das Gefäß mit der Lilie, die
kleinen Vögel, der Schleier des Christkindes, der weiße Saum am Kleide der
Madonna, die Art des Faltenwurfes, welche auf beiden Bildern völlig gleich
behandelt sind. Zwingende Gründe für Annahme verschiedener Maler
aber sind nicht vorhanden, denn das 8 der Inschrift kann ebenso wohl, und
nach der Lage des Zettels mit größerem Rechte, als Hans denn als Sigmund
gedeutet werden.

Hans Holbein der Vater war, wie erst die allerneuesten Forschungen er¬
wiesen haben, ein sehr bedeutender Meister, ein Künstler, der zu den hervor-
ragendsten seiner Zeit gehört. Er wurde um das Jahr 1465 geboren


doch sehr pastos gemalt und von kräftigem, gesättigtem Gesammtton und von
vortrefflicher einheitlicher Wirkung. Leider haben alle Gesichter, der Körper
des Kindes, die Hände der Madonna d. h. alle Fleischtheile und auch das
Gewand des der Madonna zur Linken stehenden Engels, wie das schon
Waagen hervorgehoben hat, dem Anschein nach durch Abwaschen, stark ge¬
litten. Alle übrigen Theile sind sehr gut erhalten.

Auf der Rückseite des Bildes befindet sich die aus Lateinischen Buchsta¬
ben von gleicher Form wie die Inschrift der Vorderseite gebildete Inschrift:
IIOI^IN. Aus welcher Zeit dieselbe ist, wage ich nicht zu entscheiden.

Beide Bilder verrathen durch ihre Composition und Gesammtauffassung,
„ihre weihevolle Würde und friedliche Gemüthlichkeit," wie durch die Art ihrer sehr
gediegenen Ausführung besonders auch durch die Behandlung des Faltenwurfes
und die liebevolle Durchbildung auch der Nebendinge, sehr deutlich den, dem
Künstler doch wohl durch Schongauer vermittelten, Einfluß der Flandrischen
Malerschule der Gebrüder van Eyck (Crowe sagt direkt des Memling), und
zwar ist das bei dem erst beschriebenen Bilde noch viel mehr der Fall als
bei dem zweiten, bei welchem der Maler sich schon selbstständiger und freier
bewegt hat.

Beide Bilder sind nun, was schon Waagen aufgefallen ist, und auch
alle spätern Kunstforscher zugestehen, einander sehr ähnlich, so zwar daß
Waagen, der das 3 bestimmt für die Abkürzung von Sigmund hielt, an¬
nahm Sigmund hätte „vielleicht unter der Firma seines Bruders gemalt"
und Lützow meinte, Sigmund „müsse das Bild in der Werkstatt seines Bru¬
ders als dessen Gehülfe und unter dessen künstlerischen Leitung gefertigt haben".
Und sie sind in der That, wie eine unmittelbare Consrontation der¬
selben gezeigt hat, in der Art und Weise der Composition sowohl als be¬
sonders in der malerischen Ausführung einander so ähnlich, ohne daß irgend
ein Theil der einen Copie nach irgend einem Theile des andern ist, daß man
sie als Arbeiten desselben Künstlers betrachten muß, wenn nicht sehr ge-
wichtige, ja zwingende Gründe solches verbieten. Dazu kommen noch neben¬
sächliche Kleinigkeiten, wie der Marmorboden, das Gefäß mit der Lilie, die
kleinen Vögel, der Schleier des Christkindes, der weiße Saum am Kleide der
Madonna, die Art des Faltenwurfes, welche auf beiden Bildern völlig gleich
behandelt sind. Zwingende Gründe für Annahme verschiedener Maler
aber sind nicht vorhanden, denn das 8 der Inschrift kann ebenso wohl, und
nach der Lage des Zettels mit größerem Rechte, als Hans denn als Sigmund
gedeutet werden.

Hans Holbein der Vater war, wie erst die allerneuesten Forschungen er¬
wiesen haben, ein sehr bedeutender Meister, ein Künstler, der zu den hervor-
ragendsten seiner Zeit gehört. Er wurde um das Jahr 1465 geboren


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[0074] doch sehr pastos gemalt und von kräftigem, gesättigtem Gesammtton und von vortrefflicher einheitlicher Wirkung. Leider haben alle Gesichter, der Körper des Kindes, die Hände der Madonna d. h. alle Fleischtheile und auch das Gewand des der Madonna zur Linken stehenden Engels, wie das schon Waagen hervorgehoben hat, dem Anschein nach durch Abwaschen, stark ge¬ litten. Alle übrigen Theile sind sehr gut erhalten. Auf der Rückseite des Bildes befindet sich die aus Lateinischen Buchsta¬ ben von gleicher Form wie die Inschrift der Vorderseite gebildete Inschrift: IIOI^IN. Aus welcher Zeit dieselbe ist, wage ich nicht zu entscheiden. Beide Bilder verrathen durch ihre Composition und Gesammtauffassung, „ihre weihevolle Würde und friedliche Gemüthlichkeit," wie durch die Art ihrer sehr gediegenen Ausführung besonders auch durch die Behandlung des Faltenwurfes und die liebevolle Durchbildung auch der Nebendinge, sehr deutlich den, dem Künstler doch wohl durch Schongauer vermittelten, Einfluß der Flandrischen Malerschule der Gebrüder van Eyck (Crowe sagt direkt des Memling), und zwar ist das bei dem erst beschriebenen Bilde noch viel mehr der Fall als bei dem zweiten, bei welchem der Maler sich schon selbstständiger und freier bewegt hat. Beide Bilder sind nun, was schon Waagen aufgefallen ist, und auch alle spätern Kunstforscher zugestehen, einander sehr ähnlich, so zwar daß Waagen, der das 3 bestimmt für die Abkürzung von Sigmund hielt, an¬ nahm Sigmund hätte „vielleicht unter der Firma seines Bruders gemalt" und Lützow meinte, Sigmund „müsse das Bild in der Werkstatt seines Bru¬ ders als dessen Gehülfe und unter dessen künstlerischen Leitung gefertigt haben". Und sie sind in der That, wie eine unmittelbare Consrontation der¬ selben gezeigt hat, in der Art und Weise der Composition sowohl als be¬ sonders in der malerischen Ausführung einander so ähnlich, ohne daß irgend ein Theil der einen Copie nach irgend einem Theile des andern ist, daß man sie als Arbeiten desselben Künstlers betrachten muß, wenn nicht sehr ge- wichtige, ja zwingende Gründe solches verbieten. Dazu kommen noch neben¬ sächliche Kleinigkeiten, wie der Marmorboden, das Gefäß mit der Lilie, die kleinen Vögel, der Schleier des Christkindes, der weiße Saum am Kleide der Madonna, die Art des Faltenwurfes, welche auf beiden Bildern völlig gleich behandelt sind. Zwingende Gründe für Annahme verschiedener Maler aber sind nicht vorhanden, denn das 8 der Inschrift kann ebenso wohl, und nach der Lage des Zettels mit größerem Rechte, als Hans denn als Sigmund gedeutet werden. Hans Holbein der Vater war, wie erst die allerneuesten Forschungen er¬ wiesen haben, ein sehr bedeutender Meister, ein Künstler, der zu den hervor- ragendsten seiner Zeit gehört. Er wurde um das Jahr 1465 geboren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/74>, abgerufen am 27.11.2024.