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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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doch selbst einmal die Werke Vorbei's an, lesen wir dieselben mit vieler Geduld,
denn sie enthalten etwa zweimalhunderttausend Dichtzeilen, dann begreifen wir,
warum Vorbei dem holländischen Volk fremd geblieben und ewig bleiben wird.

Joost van den Vorbei wurde im Jahre 1687 in Köln geboren. Seine
Eltern waren in der Zeit der Glaubensverfolgung aus Antwerpen entflohen,
verließen Köln aber wieder im Jahre 1896, um sich in Amsterdam nieder¬
zulassen, wo Vorbei's Vater ein Strumpfwaaren-Geschäft gründete. Nach
dem Tode desselben übernahm Joost dasselbe, heirathete 1610 Maria de Wolf
und trat ungefähr ums Jahr 1640 zur katholischen Kirche über. Durch die
Schuld seines Sohnes mußte Vorbei sein Geschäft aufgeben, und erhielt, auf
Verwendung seiner Freunde, eine Stelle am städtischen Leihhause, von welchem
Posten er nach 10 Jahren pensionirt wurde. Im Jahre 1679 starb er in
hohem Alter. Die Jugend Vorbei's fällt in die Verfallzeit der sogenannten
Rederykers-Kamers (Nhetoriker-Gesellschaften), die ein Jahrhundert früher
blühten, und deren Ueberbleibsel heute noch in Holland nicht ganz ausgestorben
sind. In diesen Rederykerskamers hat Vorbei wohl den ersten Anstoß zu
seinem dichterischen Schaffen gefunden.

Zwar betrieben diese Gesellschaften die Dichtkunst nur als eine geistlose
Versemacherei, aber Vorbei fand in denselben Persönlichkeiten, welche das
damalige ganze schöngeistige Leben Hollands repräsentirten. Es war der soge¬
nannte Muyderkring, ein Kreis von Gelehrten und Dilettanten, der seinen
Namen erhalten hatte von dem Wohnsitz des hervorragendsten unter ihnen,
dem Droht des Muyder Schlosses, Hooft. Dieser Kreis entfernte sich von
den alten, ausgetretenen Bahnen der Rederyker, indem er lateinischen und
griechischen Vorbildern nachstrebte. Er brachte es aber freilich nicht viel
weiter, als bis zur Nachahmung italienischer Muster.*) Vorbei hat fast
dreißig Dramen und eine Menge anderer, größerer und kleinerer Gedichte
geschrieben. Seine Muse ist größtentheils eine religiöse; er wählt die meisten
seiner Motive aus der Bibel, und benützt sein Dichtertalent gerne zur Ver¬
herrlichung der katholischen Kirche. Trotz seiner vielen Dramen ist aber Vorbei
in der Hauptsache Lyriker und Epiker, denn seine Personen treten mehr er¬
zählend und reflcctirend als handelnd auf. Der Dialog erweitert sich zu
langen Reden, die uns nicht den Charakter der handelnden Personen, sondern
denjenigen des Dichters darlegen. Wir hören diesen direct zu uns sprechen,
der Wechsel der Personen übt keinen Einfluß mehr und die ohnehin schon
dürftig erfundene Handlung macht keinen Eindruck. Zudem spielt sich die
Handlung zumeist nicht vor unsern Augen ab, sondern sie wird uns von der
Bühne herab erzählt. Natürlich kann ja auch ein Drama, welches nicht eben



*) Dieser Kreis krankte sehr an einer überschwenglichen irdoratioll wutuvllo.

doch selbst einmal die Werke Vorbei's an, lesen wir dieselben mit vieler Geduld,
denn sie enthalten etwa zweimalhunderttausend Dichtzeilen, dann begreifen wir,
warum Vorbei dem holländischen Volk fremd geblieben und ewig bleiben wird.

Joost van den Vorbei wurde im Jahre 1687 in Köln geboren. Seine
Eltern waren in der Zeit der Glaubensverfolgung aus Antwerpen entflohen,
verließen Köln aber wieder im Jahre 1896, um sich in Amsterdam nieder¬
zulassen, wo Vorbei's Vater ein Strumpfwaaren-Geschäft gründete. Nach
dem Tode desselben übernahm Joost dasselbe, heirathete 1610 Maria de Wolf
und trat ungefähr ums Jahr 1640 zur katholischen Kirche über. Durch die
Schuld seines Sohnes mußte Vorbei sein Geschäft aufgeben, und erhielt, auf
Verwendung seiner Freunde, eine Stelle am städtischen Leihhause, von welchem
Posten er nach 10 Jahren pensionirt wurde. Im Jahre 1679 starb er in
hohem Alter. Die Jugend Vorbei's fällt in die Verfallzeit der sogenannten
Rederykers-Kamers (Nhetoriker-Gesellschaften), die ein Jahrhundert früher
blühten, und deren Ueberbleibsel heute noch in Holland nicht ganz ausgestorben
sind. In diesen Rederykerskamers hat Vorbei wohl den ersten Anstoß zu
seinem dichterischen Schaffen gefunden.

Zwar betrieben diese Gesellschaften die Dichtkunst nur als eine geistlose
Versemacherei, aber Vorbei fand in denselben Persönlichkeiten, welche das
damalige ganze schöngeistige Leben Hollands repräsentirten. Es war der soge¬
nannte Muyderkring, ein Kreis von Gelehrten und Dilettanten, der seinen
Namen erhalten hatte von dem Wohnsitz des hervorragendsten unter ihnen,
dem Droht des Muyder Schlosses, Hooft. Dieser Kreis entfernte sich von
den alten, ausgetretenen Bahnen der Rederyker, indem er lateinischen und
griechischen Vorbildern nachstrebte. Er brachte es aber freilich nicht viel
weiter, als bis zur Nachahmung italienischer Muster.*) Vorbei hat fast
dreißig Dramen und eine Menge anderer, größerer und kleinerer Gedichte
geschrieben. Seine Muse ist größtentheils eine religiöse; er wählt die meisten
seiner Motive aus der Bibel, und benützt sein Dichtertalent gerne zur Ver¬
herrlichung der katholischen Kirche. Trotz seiner vielen Dramen ist aber Vorbei
in der Hauptsache Lyriker und Epiker, denn seine Personen treten mehr er¬
zählend und reflcctirend als handelnd auf. Der Dialog erweitert sich zu
langen Reden, die uns nicht den Charakter der handelnden Personen, sondern
denjenigen des Dichters darlegen. Wir hören diesen direct zu uns sprechen,
der Wechsel der Personen übt keinen Einfluß mehr und die ohnehin schon
dürftig erfundene Handlung macht keinen Eindruck. Zudem spielt sich die
Handlung zumeist nicht vor unsern Augen ab, sondern sie wird uns von der
Bühne herab erzählt. Natürlich kann ja auch ein Drama, welches nicht eben



*) Dieser Kreis krankte sehr an einer überschwenglichen irdoratioll wutuvllo.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/7>, abgerufen am 27.07.2024.