Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dann allmälig näher kommen gehört hatte, ging ich den Garten hinunter
und begann, meine Cigarre rauchend, durch die verschlungenen Pfade desselben
zu wandeln. Plötzlich sah ich den Kopf eines Mannes, oder vielmehr eines großen
Jungen oben auf der Mauer auftauchen, welche den Garten des Arztes von
dem unsern schied, und als ich mich näherte, erkannte mich der Mensch,
nahm seine Mütze ab, verbeugte sich respectvoll und richtete den gewöhnlichen
Gruß dieser Leute an mich: "Lege mich Eurer Excellenz zu Füßen." --
"Guten Abend," sagte ich und ging rauchend weiter, indem ich that, als nähme
ich von dem, was er und die, welche nach ihm gekommen, thaten, keine weitere
Notiz, gab aber immer noch Acht, um zu sehen, was weiter geschehen werde.
Ich hörte, wie Männerstimmen im Garten des Doktors flüsterten, und wie
die gewöhnlichen Vogelstimmen andern solchen Lockrufen in verschiedenen Ent-
fernungen antworteten.

Der Mensch, den ich zuerst gesehen, sprang, indem er fand, daß die Luft
rein war; denn ich war die einzige Person dort, in den Garten herab, und
ein Anderer erschien oben auf der Mauer. Auch er verbeugte sich, als ich
mich der Stelle, wo er sich befand, näherte, und grüßte in der üblichen Weise,
dann setzte er sich rittlings auf die Wand. Darauf begann ein regelmäßiges
Herüberreichen von Weinfässern, welche von ihren Gefährten auf der andern
^eile dem auf der Mauer reitenden Manne eingehändigt wurden, der sie
seinerseits dem in unserm Garten Befindlichen herabgab. Nachdem sie mit
dem Herüberschaffen von etwa zwölf oder fünfzehn Fässern fertig waren,
kletterten ebensoviele Männer (dieselben Burschen, die wir während des Tages
um die verschiedenen Schenken hatten herumlungern sehen) über die Mauer,
sprangen zu uns herab und schritten, nachdem jeder sich ein Faß auf die
Schultern geladen, quer durch unsern Garten. Als sie bei mir vorbeigingen,
der ich stehen geblieben war und das ganze Treiben beobachtete, nahm jeder
seine Mütze ab und begrüßte mich respectvoll mit dem gewöhnlichen Refrain:
"Lege mich Eurer Excellenz zu Füßen." -- Bitt' um Eurer Herrlichkeit Segen.-
^~ "Küß' Euer Excellenz die Hand," worauf ich jedesmal mit "buons, fers,"
antwortete. Als sie die gegenüberliegende Mauer des Gartens erreichten,
machten sie dieselbe Operation durch und verschwanden in dem Gute des Her¬
zogs, von wo der Wein ohne Zweifel in die Stadt gelangte, ohne die Accise
zu bezahlen, welche fünfundzwanzig Centefimi für das Faß betrug.

An diesem selben Abende kamen mein Freund, der Patrone und der
Arzt, um uns einen Besuch zu machen. Im Laufe der Unterhaltung erkun-
digte ich mich in Betreff dessen, was ich soeben im Garten gesehen hatte, und
sie erzählten mir beide, daß diese Art Pascherei in großer Ausdehnung be¬
trieben würde und zwar schon seit vielen Jahren, daß in der That der größere
Theil der niederen Bevölkerung in diesem Bezirke davon lebe, und daß die


Grenzboten II. 1L7V. 9

dann allmälig näher kommen gehört hatte, ging ich den Garten hinunter
und begann, meine Cigarre rauchend, durch die verschlungenen Pfade desselben
zu wandeln. Plötzlich sah ich den Kopf eines Mannes, oder vielmehr eines großen
Jungen oben auf der Mauer auftauchen, welche den Garten des Arztes von
dem unsern schied, und als ich mich näherte, erkannte mich der Mensch,
nahm seine Mütze ab, verbeugte sich respectvoll und richtete den gewöhnlichen
Gruß dieser Leute an mich: „Lege mich Eurer Excellenz zu Füßen." —
„Guten Abend," sagte ich und ging rauchend weiter, indem ich that, als nähme
ich von dem, was er und die, welche nach ihm gekommen, thaten, keine weitere
Notiz, gab aber immer noch Acht, um zu sehen, was weiter geschehen werde.
Ich hörte, wie Männerstimmen im Garten des Doktors flüsterten, und wie
die gewöhnlichen Vogelstimmen andern solchen Lockrufen in verschiedenen Ent-
fernungen antworteten.

Der Mensch, den ich zuerst gesehen, sprang, indem er fand, daß die Luft
rein war; denn ich war die einzige Person dort, in den Garten herab, und
ein Anderer erschien oben auf der Mauer. Auch er verbeugte sich, als ich
mich der Stelle, wo er sich befand, näherte, und grüßte in der üblichen Weise,
dann setzte er sich rittlings auf die Wand. Darauf begann ein regelmäßiges
Herüberreichen von Weinfässern, welche von ihren Gefährten auf der andern
^eile dem auf der Mauer reitenden Manne eingehändigt wurden, der sie
seinerseits dem in unserm Garten Befindlichen herabgab. Nachdem sie mit
dem Herüberschaffen von etwa zwölf oder fünfzehn Fässern fertig waren,
kletterten ebensoviele Männer (dieselben Burschen, die wir während des Tages
um die verschiedenen Schenken hatten herumlungern sehen) über die Mauer,
sprangen zu uns herab und schritten, nachdem jeder sich ein Faß auf die
Schultern geladen, quer durch unsern Garten. Als sie bei mir vorbeigingen,
der ich stehen geblieben war und das ganze Treiben beobachtete, nahm jeder
seine Mütze ab und begrüßte mich respectvoll mit dem gewöhnlichen Refrain:
»Lege mich Eurer Excellenz zu Füßen." — Bitt' um Eurer Herrlichkeit Segen.-
^~ »Küß' Euer Excellenz die Hand," worauf ich jedesmal mit „buons, fers,"
antwortete. Als sie die gegenüberliegende Mauer des Gartens erreichten,
machten sie dieselbe Operation durch und verschwanden in dem Gute des Her¬
zogs, von wo der Wein ohne Zweifel in die Stadt gelangte, ohne die Accise
zu bezahlen, welche fünfundzwanzig Centefimi für das Faß betrug.

An diesem selben Abende kamen mein Freund, der Patrone und der
Arzt, um uns einen Besuch zu machen. Im Laufe der Unterhaltung erkun-
digte ich mich in Betreff dessen, was ich soeben im Garten gesehen hatte, und
sie erzählten mir beide, daß diese Art Pascherei in großer Ausdehnung be¬
trieben würde und zwar schon seit vielen Jahren, daß in der That der größere
Theil der niederen Bevölkerung in diesem Bezirke davon lebe, und daß die


Grenzboten II. 1L7V. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135650"/>
          <p xml:id="ID_278" prev="#ID_277"> dann allmälig näher kommen gehört hatte, ging ich den Garten hinunter<lb/>
und begann, meine Cigarre rauchend, durch die verschlungenen Pfade desselben<lb/>
zu wandeln. Plötzlich sah ich den Kopf eines Mannes, oder vielmehr eines großen<lb/>
Jungen oben auf der Mauer auftauchen, welche den Garten des Arztes von<lb/>
dem unsern schied, und als ich mich näherte, erkannte mich der Mensch,<lb/>
nahm seine Mütze ab, verbeugte sich respectvoll und richtete den gewöhnlichen<lb/>
Gruß dieser Leute an mich: &#x201E;Lege mich Eurer Excellenz zu Füßen." &#x2014;<lb/>
&#x201E;Guten Abend," sagte ich und ging rauchend weiter, indem ich that, als nähme<lb/>
ich von dem, was er und die, welche nach ihm gekommen, thaten, keine weitere<lb/>
Notiz, gab aber immer noch Acht, um zu sehen, was weiter geschehen werde.<lb/>
Ich hörte, wie Männerstimmen im Garten des Doktors flüsterten, und wie<lb/>
die gewöhnlichen Vogelstimmen andern solchen Lockrufen in verschiedenen Ent-<lb/>
fernungen antworteten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_279"> Der Mensch, den ich zuerst gesehen, sprang, indem er fand, daß die Luft<lb/>
rein war; denn ich war die einzige Person dort, in den Garten herab, und<lb/>
ein Anderer erschien oben auf der Mauer. Auch er verbeugte sich, als ich<lb/>
mich der Stelle, wo er sich befand, näherte, und grüßte in der üblichen Weise,<lb/>
dann setzte er sich rittlings auf die Wand. Darauf begann ein regelmäßiges<lb/>
Herüberreichen von Weinfässern, welche von ihren Gefährten auf der andern<lb/>
^eile dem auf der Mauer reitenden Manne eingehändigt wurden, der sie<lb/>
seinerseits dem in unserm Garten Befindlichen herabgab. Nachdem sie mit<lb/>
dem Herüberschaffen von etwa zwölf oder fünfzehn Fässern fertig waren,<lb/>
kletterten ebensoviele Männer (dieselben Burschen, die wir während des Tages<lb/>
um die verschiedenen Schenken hatten herumlungern sehen) über die Mauer,<lb/>
sprangen zu uns herab und schritten, nachdem jeder sich ein Faß auf die<lb/>
Schultern geladen, quer durch unsern Garten. Als sie bei mir vorbeigingen,<lb/>
der ich stehen geblieben war und das ganze Treiben beobachtete, nahm jeder<lb/>
seine Mütze ab und begrüßte mich respectvoll mit dem gewöhnlichen Refrain:<lb/>
»Lege mich Eurer Excellenz zu Füßen." &#x2014; Bitt' um Eurer Herrlichkeit Segen.-<lb/>
^~ »Küß' Euer Excellenz die Hand," worauf ich jedesmal mit &#x201E;buons, fers,"<lb/>
antwortete. Als sie die gegenüberliegende Mauer des Gartens erreichten,<lb/>
machten sie dieselbe Operation durch und verschwanden in dem Gute des Her¬<lb/>
zogs, von wo der Wein ohne Zweifel in die Stadt gelangte, ohne die Accise<lb/>
zu bezahlen, welche fünfundzwanzig Centefimi für das Faß betrug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_280" next="#ID_281"> An diesem selben Abende kamen mein Freund, der Patrone und der<lb/>
Arzt, um uns einen Besuch zu machen. Im Laufe der Unterhaltung erkun-<lb/>
digte ich mich in Betreff dessen, was ich soeben im Garten gesehen hatte, und<lb/>
sie erzählten mir beide, daß diese Art Pascherei in großer Ausdehnung be¬<lb/>
trieben würde und zwar schon seit vielen Jahren, daß in der That der größere<lb/>
Theil der niederen Bevölkerung in diesem Bezirke davon lebe, und daß die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1L7V. 9</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] dann allmälig näher kommen gehört hatte, ging ich den Garten hinunter und begann, meine Cigarre rauchend, durch die verschlungenen Pfade desselben zu wandeln. Plötzlich sah ich den Kopf eines Mannes, oder vielmehr eines großen Jungen oben auf der Mauer auftauchen, welche den Garten des Arztes von dem unsern schied, und als ich mich näherte, erkannte mich der Mensch, nahm seine Mütze ab, verbeugte sich respectvoll und richtete den gewöhnlichen Gruß dieser Leute an mich: „Lege mich Eurer Excellenz zu Füßen." — „Guten Abend," sagte ich und ging rauchend weiter, indem ich that, als nähme ich von dem, was er und die, welche nach ihm gekommen, thaten, keine weitere Notiz, gab aber immer noch Acht, um zu sehen, was weiter geschehen werde. Ich hörte, wie Männerstimmen im Garten des Doktors flüsterten, und wie die gewöhnlichen Vogelstimmen andern solchen Lockrufen in verschiedenen Ent- fernungen antworteten. Der Mensch, den ich zuerst gesehen, sprang, indem er fand, daß die Luft rein war; denn ich war die einzige Person dort, in den Garten herab, und ein Anderer erschien oben auf der Mauer. Auch er verbeugte sich, als ich mich der Stelle, wo er sich befand, näherte, und grüßte in der üblichen Weise, dann setzte er sich rittlings auf die Wand. Darauf begann ein regelmäßiges Herüberreichen von Weinfässern, welche von ihren Gefährten auf der andern ^eile dem auf der Mauer reitenden Manne eingehändigt wurden, der sie seinerseits dem in unserm Garten Befindlichen herabgab. Nachdem sie mit dem Herüberschaffen von etwa zwölf oder fünfzehn Fässern fertig waren, kletterten ebensoviele Männer (dieselben Burschen, die wir während des Tages um die verschiedenen Schenken hatten herumlungern sehen) über die Mauer, sprangen zu uns herab und schritten, nachdem jeder sich ein Faß auf die Schultern geladen, quer durch unsern Garten. Als sie bei mir vorbeigingen, der ich stehen geblieben war und das ganze Treiben beobachtete, nahm jeder seine Mütze ab und begrüßte mich respectvoll mit dem gewöhnlichen Refrain: »Lege mich Eurer Excellenz zu Füßen." — Bitt' um Eurer Herrlichkeit Segen.- ^~ »Küß' Euer Excellenz die Hand," worauf ich jedesmal mit „buons, fers," antwortete. Als sie die gegenüberliegende Mauer des Gartens erreichten, machten sie dieselbe Operation durch und verschwanden in dem Gute des Her¬ zogs, von wo der Wein ohne Zweifel in die Stadt gelangte, ohne die Accise zu bezahlen, welche fünfundzwanzig Centefimi für das Faß betrug. An diesem selben Abende kamen mein Freund, der Patrone und der Arzt, um uns einen Besuch zu machen. Im Laufe der Unterhaltung erkun- digte ich mich in Betreff dessen, was ich soeben im Garten gesehen hatte, und sie erzählten mir beide, daß diese Art Pascherei in großer Ausdehnung be¬ trieben würde und zwar schon seit vielen Jahren, daß in der That der größere Theil der niederen Bevölkerung in diesem Bezirke davon lebe, und daß die Grenzboten II. 1L7V. 9

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/69
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/69>, abgerufen am 27.11.2024.