Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Götter war im Besitz des Dalberg'schen Geschenkes gelangt, und am 19. De¬
cember 1785 schreibt er: Beim "Julius Cäsar" hab' ich des Bearbeiters
Scharfsinn, Geschmack und Theaterkenntniß bewundert und mich von Stelle
zu Stelle lebhaft in das Gefühl des Zuschauers versetzt -- beim "Cholerischen"
aber so laut und herzlich gelacht, als lange bei keinem Lustspiele. Wenn mich
das Schicksal je wieder nach Mannheim führt, so ist das Fest, beide Stücke
zu sehen, eine Gnade, um die ich Eure Excellenz in voraus auflese.

Wie könnt' ich Mannheim -- meine Freunde -- die Bühne -- vergessen ?
Aber meine Freunde vergessen mich, und feierlich muß ich sie deshalb vor Eurer
Excellenz Tribunal belangen, Jffland hat mir weder auf noch nach seiner
Reise eine Sylbe geschrieben. Bel -- seit Jahr und Tag mein fleißigster
Korrespondent -- hat mit Ifflands Zurückkunft abgebrochen. Beil bom-
bardirte mich jeden Posttag solange ich seine schwarze Wäsche auszubessern
und zu waschen hatte; nun sie rein und im Schrank aufgehoben ist, schweigt
er auch. Leonhard sogar läßt nichts mehr von sich hören! Diese anhal¬
tende Nachlässigkeit von 6 Personen, zu einer Zeit - da ich das Recht hatte
von jedem unter Ihnen einen Brief zu erwarten -- ist mir unerklärbar, un¬
begreiflich. Ich würde sie für ein Komplot halten, wenn ich mir irgend einer
Schuld bewußt, oder böses Argwohns gegen diejenigen fähig wäre, die ich so
herzlich geliebt habe und noch liebe. Aber, daß die Sache mich beunruhigt --
und daß es mich innig geschmerzt hat, von Ifflands Glück keine andere
als die Frankfurter Zeitungsnachricht zu erhalten, das leugn' ich nicht. Aber
um so mehr Dank bin ich Eurer Excellenz schuldig, daß Sie mich durch Ihren
gütigen Brief von jenem Vorgange eben so autentisch als genau zu unter¬
richten beliebt haben. Er macht Epoche in den Theaterannalen. Meine
Freude darüber gleicht dem Enthusiasmus, der mich von jeher für Jffland
belebt hat. Die Neider -- bedauere ich. Sie werden sich besinnen, man
muß ihnen Zeit lassen."

Die goldenen Worte, welche Götter's nächsten Brief (vom 30. Januar
1786) beginnen, beziehen sich darauf, daß die deutsche gelehrte Gesellschaft zu
Mannheim einen Preis auf das beste deutsche Lustspiel, welches ihr eingesandt
werden würde, gesetzt, W. H. v. Dalberg aber auf Betreiben jener Gesellschaft
zugesagt hatte: alle eingeschickten Stücke zu spielen. "Die Aufführung" sagt
Götter sehr richtig, "ist der eigentliche Probierstein theatralischer Arbeiten.
Ein Stück, das Wirkung thut, kann nicht ganz schlecht sein. Dahingegen
schlüpfen aber auch durch das Talent des Schauspielers eine Menge Fehler
dem Ohre vorbet, die der ungetäuschte, unbefangene Leser entdeckt. Stille
Prüfung muß also dem lauten Beifalle das Siegel aufdrücken, oder die Ur¬
sachen jenes vorübergehenden Rausches an den Tag bringen."


Götter war im Besitz des Dalberg'schen Geschenkes gelangt, und am 19. De¬
cember 1785 schreibt er: Beim „Julius Cäsar" hab' ich des Bearbeiters
Scharfsinn, Geschmack und Theaterkenntniß bewundert und mich von Stelle
zu Stelle lebhaft in das Gefühl des Zuschauers versetzt — beim „Cholerischen"
aber so laut und herzlich gelacht, als lange bei keinem Lustspiele. Wenn mich
das Schicksal je wieder nach Mannheim führt, so ist das Fest, beide Stücke
zu sehen, eine Gnade, um die ich Eure Excellenz in voraus auflese.

Wie könnt' ich Mannheim — meine Freunde — die Bühne — vergessen ?
Aber meine Freunde vergessen mich, und feierlich muß ich sie deshalb vor Eurer
Excellenz Tribunal belangen, Jffland hat mir weder auf noch nach seiner
Reise eine Sylbe geschrieben. Bel — seit Jahr und Tag mein fleißigster
Korrespondent — hat mit Ifflands Zurückkunft abgebrochen. Beil bom-
bardirte mich jeden Posttag solange ich seine schwarze Wäsche auszubessern
und zu waschen hatte; nun sie rein und im Schrank aufgehoben ist, schweigt
er auch. Leonhard sogar läßt nichts mehr von sich hören! Diese anhal¬
tende Nachlässigkeit von 6 Personen, zu einer Zeit - da ich das Recht hatte
von jedem unter Ihnen einen Brief zu erwarten — ist mir unerklärbar, un¬
begreiflich. Ich würde sie für ein Komplot halten, wenn ich mir irgend einer
Schuld bewußt, oder böses Argwohns gegen diejenigen fähig wäre, die ich so
herzlich geliebt habe und noch liebe. Aber, daß die Sache mich beunruhigt —
und daß es mich innig geschmerzt hat, von Ifflands Glück keine andere
als die Frankfurter Zeitungsnachricht zu erhalten, das leugn' ich nicht. Aber
um so mehr Dank bin ich Eurer Excellenz schuldig, daß Sie mich durch Ihren
gütigen Brief von jenem Vorgange eben so autentisch als genau zu unter¬
richten beliebt haben. Er macht Epoche in den Theaterannalen. Meine
Freude darüber gleicht dem Enthusiasmus, der mich von jeher für Jffland
belebt hat. Die Neider — bedauere ich. Sie werden sich besinnen, man
muß ihnen Zeit lassen."

Die goldenen Worte, welche Götter's nächsten Brief (vom 30. Januar
1786) beginnen, beziehen sich darauf, daß die deutsche gelehrte Gesellschaft zu
Mannheim einen Preis auf das beste deutsche Lustspiel, welches ihr eingesandt
werden würde, gesetzt, W. H. v. Dalberg aber auf Betreiben jener Gesellschaft
zugesagt hatte: alle eingeschickten Stücke zu spielen. „Die Aufführung" sagt
Götter sehr richtig, „ist der eigentliche Probierstein theatralischer Arbeiten.
Ein Stück, das Wirkung thut, kann nicht ganz schlecht sein. Dahingegen
schlüpfen aber auch durch das Talent des Schauspielers eine Menge Fehler
dem Ohre vorbet, die der ungetäuschte, unbefangene Leser entdeckt. Stille
Prüfung muß also dem lauten Beifalle das Siegel aufdrücken, oder die Ur¬
sachen jenes vorübergehenden Rausches an den Tag bringen."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135639"/>
          <p xml:id="ID_216" prev="#ID_215"> Götter war im Besitz des Dalberg'schen Geschenkes gelangt, und am 19. De¬<lb/>
cember 1785 schreibt er: Beim &#x201E;Julius Cäsar" hab' ich des Bearbeiters<lb/>
Scharfsinn, Geschmack und Theaterkenntniß bewundert und mich von Stelle<lb/>
zu Stelle lebhaft in das Gefühl des Zuschauers versetzt &#x2014; beim &#x201E;Cholerischen"<lb/>
aber so laut und herzlich gelacht, als lange bei keinem Lustspiele. Wenn mich<lb/>
das Schicksal je wieder nach Mannheim führt, so ist das Fest, beide Stücke<lb/>
zu sehen, eine Gnade, um die ich Eure Excellenz in voraus auflese.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_217"> Wie könnt' ich Mannheim &#x2014; meine Freunde &#x2014; die Bühne &#x2014; vergessen ?<lb/>
Aber meine Freunde vergessen mich, und feierlich muß ich sie deshalb vor Eurer<lb/>
Excellenz Tribunal belangen, Jffland hat mir weder auf noch nach seiner<lb/>
Reise eine Sylbe geschrieben. Bel &#x2014; seit Jahr und Tag mein fleißigster<lb/>
Korrespondent &#x2014; hat mit Ifflands Zurückkunft abgebrochen. Beil bom-<lb/>
bardirte mich jeden Posttag solange ich seine schwarze Wäsche auszubessern<lb/>
und zu waschen hatte; nun sie rein und im Schrank aufgehoben ist, schweigt<lb/>
er auch. Leonhard sogar läßt nichts mehr von sich hören! Diese anhal¬<lb/>
tende Nachlässigkeit von 6 Personen, zu einer Zeit - da ich das Recht hatte<lb/>
von jedem unter Ihnen einen Brief zu erwarten &#x2014; ist mir unerklärbar, un¬<lb/>
begreiflich. Ich würde sie für ein Komplot halten, wenn ich mir irgend einer<lb/>
Schuld bewußt, oder böses Argwohns gegen diejenigen fähig wäre, die ich so<lb/>
herzlich geliebt habe und noch liebe. Aber, daß die Sache mich beunruhigt &#x2014;<lb/>
und daß es mich innig geschmerzt hat, von Ifflands Glück keine andere<lb/>
als die Frankfurter Zeitungsnachricht zu erhalten, das leugn' ich nicht. Aber<lb/>
um so mehr Dank bin ich Eurer Excellenz schuldig, daß Sie mich durch Ihren<lb/>
gütigen Brief von jenem Vorgange eben so autentisch als genau zu unter¬<lb/>
richten beliebt haben. Er macht Epoche in den Theaterannalen. Meine<lb/>
Freude darüber gleicht dem Enthusiasmus, der mich von jeher für Jffland<lb/>
belebt hat. Die Neider &#x2014; bedauere ich. Sie werden sich besinnen, man<lb/>
muß ihnen Zeit lassen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_218"> Die goldenen Worte, welche Götter's nächsten Brief (vom 30. Januar<lb/>
1786) beginnen, beziehen sich darauf, daß die deutsche gelehrte Gesellschaft zu<lb/>
Mannheim einen Preis auf das beste deutsche Lustspiel, welches ihr eingesandt<lb/>
werden würde, gesetzt, W. H. v. Dalberg aber auf Betreiben jener Gesellschaft<lb/>
zugesagt hatte: alle eingeschickten Stücke zu spielen. &#x201E;Die Aufführung" sagt<lb/>
Götter sehr richtig, &#x201E;ist der eigentliche Probierstein theatralischer Arbeiten.<lb/>
Ein Stück, das Wirkung thut, kann nicht ganz schlecht sein. Dahingegen<lb/>
schlüpfen aber auch durch das Talent des Schauspielers eine Menge Fehler<lb/>
dem Ohre vorbet, die der ungetäuschte, unbefangene Leser entdeckt. Stille<lb/>
Prüfung muß also dem lauten Beifalle das Siegel aufdrücken, oder die Ur¬<lb/>
sachen jenes vorübergehenden Rausches an den Tag bringen."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0058] Götter war im Besitz des Dalberg'schen Geschenkes gelangt, und am 19. De¬ cember 1785 schreibt er: Beim „Julius Cäsar" hab' ich des Bearbeiters Scharfsinn, Geschmack und Theaterkenntniß bewundert und mich von Stelle zu Stelle lebhaft in das Gefühl des Zuschauers versetzt — beim „Cholerischen" aber so laut und herzlich gelacht, als lange bei keinem Lustspiele. Wenn mich das Schicksal je wieder nach Mannheim führt, so ist das Fest, beide Stücke zu sehen, eine Gnade, um die ich Eure Excellenz in voraus auflese. Wie könnt' ich Mannheim — meine Freunde — die Bühne — vergessen ? Aber meine Freunde vergessen mich, und feierlich muß ich sie deshalb vor Eurer Excellenz Tribunal belangen, Jffland hat mir weder auf noch nach seiner Reise eine Sylbe geschrieben. Bel — seit Jahr und Tag mein fleißigster Korrespondent — hat mit Ifflands Zurückkunft abgebrochen. Beil bom- bardirte mich jeden Posttag solange ich seine schwarze Wäsche auszubessern und zu waschen hatte; nun sie rein und im Schrank aufgehoben ist, schweigt er auch. Leonhard sogar läßt nichts mehr von sich hören! Diese anhal¬ tende Nachlässigkeit von 6 Personen, zu einer Zeit - da ich das Recht hatte von jedem unter Ihnen einen Brief zu erwarten — ist mir unerklärbar, un¬ begreiflich. Ich würde sie für ein Komplot halten, wenn ich mir irgend einer Schuld bewußt, oder böses Argwohns gegen diejenigen fähig wäre, die ich so herzlich geliebt habe und noch liebe. Aber, daß die Sache mich beunruhigt — und daß es mich innig geschmerzt hat, von Ifflands Glück keine andere als die Frankfurter Zeitungsnachricht zu erhalten, das leugn' ich nicht. Aber um so mehr Dank bin ich Eurer Excellenz schuldig, daß Sie mich durch Ihren gütigen Brief von jenem Vorgange eben so autentisch als genau zu unter¬ richten beliebt haben. Er macht Epoche in den Theaterannalen. Meine Freude darüber gleicht dem Enthusiasmus, der mich von jeher für Jffland belebt hat. Die Neider — bedauere ich. Sie werden sich besinnen, man muß ihnen Zeit lassen." Die goldenen Worte, welche Götter's nächsten Brief (vom 30. Januar 1786) beginnen, beziehen sich darauf, daß die deutsche gelehrte Gesellschaft zu Mannheim einen Preis auf das beste deutsche Lustspiel, welches ihr eingesandt werden würde, gesetzt, W. H. v. Dalberg aber auf Betreiben jener Gesellschaft zugesagt hatte: alle eingeschickten Stücke zu spielen. „Die Aufführung" sagt Götter sehr richtig, „ist der eigentliche Probierstein theatralischer Arbeiten. Ein Stück, das Wirkung thut, kann nicht ganz schlecht sein. Dahingegen schlüpfen aber auch durch das Talent des Schauspielers eine Menge Fehler dem Ohre vorbet, die der ungetäuschte, unbefangene Leser entdeckt. Stille Prüfung muß also dem lauten Beifalle das Siegel aufdrücken, oder die Ur¬ sachen jenes vorübergehenden Rausches an den Tag bringen."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/58
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/58>, abgerufen am 23.11.2024.