Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu degagiren". Als dieser Befehl beim Armeekommando einlangte, welches
schon längst die Sachlage hätte richtig erkennen müssen, waren viele Truppen
schon aus der Hand gegeben und erschöpft, und wenn auch Graf Wimpffen
antwortete, "daß der Befehl befolgt werden würde", so war dies nicht mehr
so leicht. Um Aubeno, Balle, Casanuova tobte der Kampf gegen das Korps
von Niet; Mac Mahon war rittlings der Castiglione-Straße aufmarschirt,
hielt durch große Reitermassen die Lücke zwischen sich und Niet gefüllt und
beherrschte mit zahlreicher Artillerie das Vorterrain derart, daß bisher die
Oesterreicher in dieser Richtung in Schach gehalten wurden. In dieser
Stellung wartete er den Ausgang des Kampfes auf den Höhen ab.

Hätte Wimpffen das 11. Corps in Masse vorgeführt und mit diesem und
der zwischen Casanuova in der Hauptstraße stehenden Brigade des 3. Corps,
unterstützt auf der Haide von der Cavallerie-Division Mannsdorff die Offensive
angegriffen, so war ein Erfolg nicht unschwer zu erreichen, da man augen¬
blicklich in bedeutender Uebermacht aufgetreten wäre. Wimpffen verzettelte
aber seine Reserven, sandte eine Brigade zum Schutz der linken Flanke, wo
nichts zu schützen war, wo aber diese ganze Brigade gar nicht in Action
kam, behielt eine andere bei Guiddizzolo zurück und brachte die übrigen auf
der ganzen Front zerstreut in Verwendung, wo es ihm gerade nothwendig
schien die Truppen der ersten Linie abzulösen oder zu stützen. So geschah es,
daß die Corps und Divisionsverbände zerrissen, und die Truppen vermischt
wurden, die übersichtliche, Leitung den Führern immer mehr und mehr aus
den Händen glitt -- Erfolg aber nicht zu erzielen war, weil man sich zu
keiner entschiedenen Handlung in bestimmter Richtung ausraffte. Um Mittag
überbrachte ein Adjutant einen abermaligen schriftlichen Befehl des Kaisers,
durch einen Offensivstvß dem Centrum bei Solferino Luft zu machen. Graf
Wimpffen erwiederte: "Es ist bereits meine Hauptmacht in der Strecke zwi¬
schen der Hauptstraße und den Höhen im Gefecht; zugleich bin ich in der
linken Flanke bedroht und muß eben jetzt meine letzten Reserven des 11. Corps
zur Unterstützung des 3. und 9. vornehmen. Werde nach Möglichkeit dem
A. H. Befehle nachzukommen suchen. Vom 2. Corps habe ich gar keine
Nachricht."

Inzwischen hatte aber Mac Mahon die Ueberzeugung gewonnen, daß
Niet, verstärkt durch die anlangenden Divisionen Canrobert's den Feind in
der Ebene festhalten könne und schickte sich an, durch eine Linksschwenkung
sein intaetes Corps gegen die Höhen von S. Cassiano, also in der Flanke
der eine vorgeschobene Staffel bildenden 2. Armee zu führen. Dies hätte
Wimpffen eben verhindern sollen und auch verhindern können. Aber schon
war die wichtige Zeit verloren und wenn man auch dem kaiserlichen Befehle
gehorchte und noch einige Anstrengungen machte, um die Lage zu verbessern, so


zu degagiren". Als dieser Befehl beim Armeekommando einlangte, welches
schon längst die Sachlage hätte richtig erkennen müssen, waren viele Truppen
schon aus der Hand gegeben und erschöpft, und wenn auch Graf Wimpffen
antwortete, „daß der Befehl befolgt werden würde", so war dies nicht mehr
so leicht. Um Aubeno, Balle, Casanuova tobte der Kampf gegen das Korps
von Niet; Mac Mahon war rittlings der Castiglione-Straße aufmarschirt,
hielt durch große Reitermassen die Lücke zwischen sich und Niet gefüllt und
beherrschte mit zahlreicher Artillerie das Vorterrain derart, daß bisher die
Oesterreicher in dieser Richtung in Schach gehalten wurden. In dieser
Stellung wartete er den Ausgang des Kampfes auf den Höhen ab.

Hätte Wimpffen das 11. Corps in Masse vorgeführt und mit diesem und
der zwischen Casanuova in der Hauptstraße stehenden Brigade des 3. Corps,
unterstützt auf der Haide von der Cavallerie-Division Mannsdorff die Offensive
angegriffen, so war ein Erfolg nicht unschwer zu erreichen, da man augen¬
blicklich in bedeutender Uebermacht aufgetreten wäre. Wimpffen verzettelte
aber seine Reserven, sandte eine Brigade zum Schutz der linken Flanke, wo
nichts zu schützen war, wo aber diese ganze Brigade gar nicht in Action
kam, behielt eine andere bei Guiddizzolo zurück und brachte die übrigen auf
der ganzen Front zerstreut in Verwendung, wo es ihm gerade nothwendig
schien die Truppen der ersten Linie abzulösen oder zu stützen. So geschah es,
daß die Corps und Divisionsverbände zerrissen, und die Truppen vermischt
wurden, die übersichtliche, Leitung den Führern immer mehr und mehr aus
den Händen glitt — Erfolg aber nicht zu erzielen war, weil man sich zu
keiner entschiedenen Handlung in bestimmter Richtung ausraffte. Um Mittag
überbrachte ein Adjutant einen abermaligen schriftlichen Befehl des Kaisers,
durch einen Offensivstvß dem Centrum bei Solferino Luft zu machen. Graf
Wimpffen erwiederte: „Es ist bereits meine Hauptmacht in der Strecke zwi¬
schen der Hauptstraße und den Höhen im Gefecht; zugleich bin ich in der
linken Flanke bedroht und muß eben jetzt meine letzten Reserven des 11. Corps
zur Unterstützung des 3. und 9. vornehmen. Werde nach Möglichkeit dem
A. H. Befehle nachzukommen suchen. Vom 2. Corps habe ich gar keine
Nachricht."

Inzwischen hatte aber Mac Mahon die Ueberzeugung gewonnen, daß
Niet, verstärkt durch die anlangenden Divisionen Canrobert's den Feind in
der Ebene festhalten könne und schickte sich an, durch eine Linksschwenkung
sein intaetes Corps gegen die Höhen von S. Cassiano, also in der Flanke
der eine vorgeschobene Staffel bildenden 2. Armee zu führen. Dies hätte
Wimpffen eben verhindern sollen und auch verhindern können. Aber schon
war die wichtige Zeit verloren und wenn man auch dem kaiserlichen Befehle
gehorchte und noch einige Anstrengungen machte, um die Lage zu verbessern, so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0503" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136084"/>
          <p xml:id="ID_1653" prev="#ID_1652"> zu degagiren". Als dieser Befehl beim Armeekommando einlangte, welches<lb/>
schon längst die Sachlage hätte richtig erkennen müssen, waren viele Truppen<lb/>
schon aus der Hand gegeben und erschöpft, und wenn auch Graf Wimpffen<lb/>
antwortete, &#x201E;daß der Befehl befolgt werden würde", so war dies nicht mehr<lb/>
so leicht. Um Aubeno, Balle, Casanuova tobte der Kampf gegen das Korps<lb/>
von Niet; Mac Mahon war rittlings der Castiglione-Straße aufmarschirt,<lb/>
hielt durch große Reitermassen die Lücke zwischen sich und Niet gefüllt und<lb/>
beherrschte mit zahlreicher Artillerie das Vorterrain derart, daß bisher die<lb/>
Oesterreicher in dieser Richtung in Schach gehalten wurden. In dieser<lb/>
Stellung wartete er den Ausgang des Kampfes auf den Höhen ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1654"> Hätte Wimpffen das 11. Corps in Masse vorgeführt und mit diesem und<lb/>
der zwischen Casanuova in der Hauptstraße stehenden Brigade des 3. Corps,<lb/>
unterstützt auf der Haide von der Cavallerie-Division Mannsdorff die Offensive<lb/>
angegriffen, so war ein Erfolg nicht unschwer zu erreichen, da man augen¬<lb/>
blicklich in bedeutender Uebermacht aufgetreten wäre. Wimpffen verzettelte<lb/>
aber seine Reserven, sandte eine Brigade zum Schutz der linken Flanke, wo<lb/>
nichts zu schützen war, wo aber diese ganze Brigade gar nicht in Action<lb/>
kam, behielt eine andere bei Guiddizzolo zurück und brachte die übrigen auf<lb/>
der ganzen Front zerstreut in Verwendung, wo es ihm gerade nothwendig<lb/>
schien die Truppen der ersten Linie abzulösen oder zu stützen. So geschah es,<lb/>
daß die Corps und Divisionsverbände zerrissen, und die Truppen vermischt<lb/>
wurden, die übersichtliche, Leitung den Führern immer mehr und mehr aus<lb/>
den Händen glitt &#x2014; Erfolg aber nicht zu erzielen war, weil man sich zu<lb/>
keiner entschiedenen Handlung in bestimmter Richtung ausraffte. Um Mittag<lb/>
überbrachte ein Adjutant einen abermaligen schriftlichen Befehl des Kaisers,<lb/>
durch einen Offensivstvß dem Centrum bei Solferino Luft zu machen. Graf<lb/>
Wimpffen erwiederte: &#x201E;Es ist bereits meine Hauptmacht in der Strecke zwi¬<lb/>
schen der Hauptstraße und den Höhen im Gefecht; zugleich bin ich in der<lb/>
linken Flanke bedroht und muß eben jetzt meine letzten Reserven des 11. Corps<lb/>
zur Unterstützung des 3. und 9. vornehmen. Werde nach Möglichkeit dem<lb/>
A. H. Befehle nachzukommen suchen. Vom 2. Corps habe ich gar keine<lb/>
Nachricht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1655" next="#ID_1656"> Inzwischen hatte aber Mac Mahon die Ueberzeugung gewonnen, daß<lb/>
Niet, verstärkt durch die anlangenden Divisionen Canrobert's den Feind in<lb/>
der Ebene festhalten könne und schickte sich an, durch eine Linksschwenkung<lb/>
sein intaetes Corps gegen die Höhen von S. Cassiano, also in der Flanke<lb/>
der eine vorgeschobene Staffel bildenden 2. Armee zu führen. Dies hätte<lb/>
Wimpffen eben verhindern sollen und auch verhindern können. Aber schon<lb/>
war die wichtige Zeit verloren und wenn man auch dem kaiserlichen Befehle<lb/>
gehorchte und noch einige Anstrengungen machte, um die Lage zu verbessern, so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0503] zu degagiren". Als dieser Befehl beim Armeekommando einlangte, welches schon längst die Sachlage hätte richtig erkennen müssen, waren viele Truppen schon aus der Hand gegeben und erschöpft, und wenn auch Graf Wimpffen antwortete, „daß der Befehl befolgt werden würde", so war dies nicht mehr so leicht. Um Aubeno, Balle, Casanuova tobte der Kampf gegen das Korps von Niet; Mac Mahon war rittlings der Castiglione-Straße aufmarschirt, hielt durch große Reitermassen die Lücke zwischen sich und Niet gefüllt und beherrschte mit zahlreicher Artillerie das Vorterrain derart, daß bisher die Oesterreicher in dieser Richtung in Schach gehalten wurden. In dieser Stellung wartete er den Ausgang des Kampfes auf den Höhen ab. Hätte Wimpffen das 11. Corps in Masse vorgeführt und mit diesem und der zwischen Casanuova in der Hauptstraße stehenden Brigade des 3. Corps, unterstützt auf der Haide von der Cavallerie-Division Mannsdorff die Offensive angegriffen, so war ein Erfolg nicht unschwer zu erreichen, da man augen¬ blicklich in bedeutender Uebermacht aufgetreten wäre. Wimpffen verzettelte aber seine Reserven, sandte eine Brigade zum Schutz der linken Flanke, wo nichts zu schützen war, wo aber diese ganze Brigade gar nicht in Action kam, behielt eine andere bei Guiddizzolo zurück und brachte die übrigen auf der ganzen Front zerstreut in Verwendung, wo es ihm gerade nothwendig schien die Truppen der ersten Linie abzulösen oder zu stützen. So geschah es, daß die Corps und Divisionsverbände zerrissen, und die Truppen vermischt wurden, die übersichtliche, Leitung den Führern immer mehr und mehr aus den Händen glitt — Erfolg aber nicht zu erzielen war, weil man sich zu keiner entschiedenen Handlung in bestimmter Richtung ausraffte. Um Mittag überbrachte ein Adjutant einen abermaligen schriftlichen Befehl des Kaisers, durch einen Offensivstvß dem Centrum bei Solferino Luft zu machen. Graf Wimpffen erwiederte: „Es ist bereits meine Hauptmacht in der Strecke zwi¬ schen der Hauptstraße und den Höhen im Gefecht; zugleich bin ich in der linken Flanke bedroht und muß eben jetzt meine letzten Reserven des 11. Corps zur Unterstützung des 3. und 9. vornehmen. Werde nach Möglichkeit dem A. H. Befehle nachzukommen suchen. Vom 2. Corps habe ich gar keine Nachricht." Inzwischen hatte aber Mac Mahon die Ueberzeugung gewonnen, daß Niet, verstärkt durch die anlangenden Divisionen Canrobert's den Feind in der Ebene festhalten könne und schickte sich an, durch eine Linksschwenkung sein intaetes Corps gegen die Höhen von S. Cassiano, also in der Flanke der eine vorgeschobene Staffel bildenden 2. Armee zu führen. Dies hätte Wimpffen eben verhindern sollen und auch verhindern können. Aber schon war die wichtige Zeit verloren und wenn man auch dem kaiserlichen Befehle gehorchte und noch einige Anstrengungen machte, um die Lage zu verbessern, so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/503
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/503>, abgerufen am 24.11.2024.