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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Adda, am Chiese wieder Halt zu machen, man konnte sich nicht dazu ent¬
schließen und wollte die Streitkräfte vorerst konzentriren. Die Verstärkungen
sammelten sich langsam und fort und fort zeigten sich die Mängel in der
Kriegsrüstung. Es ist charakteristisch, wenn man erfährt, daß viele Batterien
und Heeresanstalten erst beim Eintritt der Waffenruhe zur mobilen Armee
stießen. Hinter dem Mincio war endlich soweit es thunlich, das Heer unter
dem unmittelbaren Oberbefehl des Kaisers Franz Josef versammelt und am
22. Juni entschloß man sich zur Offensive. Die beim Oberkommando einge¬
gangenen Nachrichten von dem Vormarsche eines 60000 Mann starken Korps
unter dem Prinzen Napoleon von Florenz über die Apenninen gegen den
untern Po zur Umgehung der linken Flanke der Oesterreicher, welche Nach¬
richt freilich der wahren Sachlache nicht entsprach, das Einlaufen der feind¬
lichen Flotte ins Adriatische Meer mit Truppen am Bord, um voraussichtlich
Venedig anzugreifen und eine Landung an der Venetianischen Küste zu unter¬
nehmen, berechtigten zu der Schlußfolgerung, daß die Hauptmacht des Feindes
vorerst nur den Chiese-Uebergang sichern und dort das Fortschreiten jener
Umgehungsmanöver abwarten wolle, um dann rechtzeitig und im Einklange
mit denselben die Operationen gegen die Minciolinie fortzusetzen. "Ließ aber
die hinter dem Mincio stehende k. k. Armee dem Feinde die Zeit, seinen in
der Entwickelung begriffenen combinirten Feldzugsplan zur Reife und zur
Ausführung zu bringen, wurde dessen Wirkung auch noch durch die Revolutio-
nirung der venetianischen Bevölkerung gesteigert, wie dies allen Anschein hatte,
so lies sie jedenfalls Gefahr, ihre Hauptverbindungslinie mit dem Innern
der Monarchie bedroht zu sehen. Nur ein rascher und kühner Offensivstoß
gegen die über den Chiese vorgehende Hauptmacht des Feindes konnte das
österreichische Heer aus dieser nachtheiligen Lage befreien." Neben diesen stra¬
tegischen Gründen waren auch wichtige politische Rücksichten maßgebend. Die¬
selben werden in dem Berichte des Generalstabes nicht des Näheren ausge¬
führt, aber sie liegen nahe. Die gährende Stimmung im Osten der Monarchie,
die mißliche finanzielle Lage drängten ebenso zu einer schnellen Entscheidung,
als man durch eine günstige Wendung der Kriegslage die Entschließungen
des deutschen Bundes beeinflussen und denselben ins gewünschte Fahrwasser
zu drängen hoffte.

Am 24. Juni sollte der Mincio überschritten, am 25. zum Angriffe
gegen den Chiese vorgerückt werden. Als aber am Abende des 22. ein über
den Mincio entsendetes Streifkommando Meldungen brachte, daß starke feind¬
liche Abtheilungen bereits über den Chiese hinaus vorgegangen seien, verlegte
man den Uebergang schon auf den 23. Obwohl es zum Entscheidungskampf
ging, wurden doch mehr Truppen detachirt gelassen, als mit den Grundsätzen
einer rationellen Kräftevertheilung im Einklang steht. Das ganze 10. Korps


Adda, am Chiese wieder Halt zu machen, man konnte sich nicht dazu ent¬
schließen und wollte die Streitkräfte vorerst konzentriren. Die Verstärkungen
sammelten sich langsam und fort und fort zeigten sich die Mängel in der
Kriegsrüstung. Es ist charakteristisch, wenn man erfährt, daß viele Batterien
und Heeresanstalten erst beim Eintritt der Waffenruhe zur mobilen Armee
stießen. Hinter dem Mincio war endlich soweit es thunlich, das Heer unter
dem unmittelbaren Oberbefehl des Kaisers Franz Josef versammelt und am
22. Juni entschloß man sich zur Offensive. Die beim Oberkommando einge¬
gangenen Nachrichten von dem Vormarsche eines 60000 Mann starken Korps
unter dem Prinzen Napoleon von Florenz über die Apenninen gegen den
untern Po zur Umgehung der linken Flanke der Oesterreicher, welche Nach¬
richt freilich der wahren Sachlache nicht entsprach, das Einlaufen der feind¬
lichen Flotte ins Adriatische Meer mit Truppen am Bord, um voraussichtlich
Venedig anzugreifen und eine Landung an der Venetianischen Küste zu unter¬
nehmen, berechtigten zu der Schlußfolgerung, daß die Hauptmacht des Feindes
vorerst nur den Chiese-Uebergang sichern und dort das Fortschreiten jener
Umgehungsmanöver abwarten wolle, um dann rechtzeitig und im Einklange
mit denselben die Operationen gegen die Minciolinie fortzusetzen. „Ließ aber
die hinter dem Mincio stehende k. k. Armee dem Feinde die Zeit, seinen in
der Entwickelung begriffenen combinirten Feldzugsplan zur Reife und zur
Ausführung zu bringen, wurde dessen Wirkung auch noch durch die Revolutio-
nirung der venetianischen Bevölkerung gesteigert, wie dies allen Anschein hatte,
so lies sie jedenfalls Gefahr, ihre Hauptverbindungslinie mit dem Innern
der Monarchie bedroht zu sehen. Nur ein rascher und kühner Offensivstoß
gegen die über den Chiese vorgehende Hauptmacht des Feindes konnte das
österreichische Heer aus dieser nachtheiligen Lage befreien." Neben diesen stra¬
tegischen Gründen waren auch wichtige politische Rücksichten maßgebend. Die¬
selben werden in dem Berichte des Generalstabes nicht des Näheren ausge¬
führt, aber sie liegen nahe. Die gährende Stimmung im Osten der Monarchie,
die mißliche finanzielle Lage drängten ebenso zu einer schnellen Entscheidung,
als man durch eine günstige Wendung der Kriegslage die Entschließungen
des deutschen Bundes beeinflussen und denselben ins gewünschte Fahrwasser
zu drängen hoffte.

Am 24. Juni sollte der Mincio überschritten, am 25. zum Angriffe
gegen den Chiese vorgerückt werden. Als aber am Abende des 22. ein über
den Mincio entsendetes Streifkommando Meldungen brachte, daß starke feind¬
liche Abtheilungen bereits über den Chiese hinaus vorgegangen seien, verlegte
man den Uebergang schon auf den 23. Obwohl es zum Entscheidungskampf
ging, wurden doch mehr Truppen detachirt gelassen, als mit den Grundsätzen
einer rationellen Kräftevertheilung im Einklang steht. Das ganze 10. Korps


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/500>, abgerufen am 23.11.2024.