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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Selten wol ward ein Krieg in einer so leichtfertigen Weise geführt, als
der des Jahres 1859 und man muß staunen, wie die höchsten Interessen
des Staates behandelt wurden, als gälte es irgend einer Lustparthie. Ob-
wol die Wahrscheinlichkeit des Krieges seit Monaten nahelag, so befand
sich doch die kaiserliche Armee in Italien, zur Zeit als an den Feldzeugmeister
Grasen Giulay der Befehl zum Tessin-Uebergang erging, weitaus nicht in
operationsfähigem Zustande. Die Truppenkörper hatten die Kriegsstärke nicht
erreicht, die Batterien waren nur zum geringeren Theil ausgerüstet, das Train¬
wesen genügte den ersten Anforderungen kaum und hemmte dadurch die Opera¬
tionen in empfindlicher Weise. Man ging über den Tessin, vermochte die
Initiative nicht auszunützen und sah sich zu einer abwartenden Stellung in
der Lomellina genöthigt. Es ward nur zu bald klar, daß der Gegner an
Stärke überlegen sei. Also mußte man die Verstärkung des eigenen Heeres
erwarten. Aber obwol durch zehn Jahre der Armee ebensoviel Aufmerksam¬
keit als Geldmittel zugewendet worden waren, versagte die Organisation und
Verwaltung nach allen Seiten und viele Wochen vergingen, bis die Armee
den Uebergang in der Kriegsformation zu Wege brachte. In dem Grund¬
buche waren freilich 688000 Mann ausgewiesen, um 122000 Mann mehr
als der organisationsmäßtge Kriegsstand der einzelnen Abtheilungen betrug.
Aber man brauchte nicht nur viel kostbare Zeit, um die Leute unter die
Waffen zu bringen, es mangelte auch an Material aller Art, vor Allem
aber an tüchtigen Cadres. Zur Zeit der Schlacht von Magenta, 6 Wochen
nach der Kriegserklärung zählte die Operationsarmee am Tessin immer erst
133000 Mann Infanterie und 6300 Reiter mit 488 Geschützen, und bei viel¬
fachen Anstrengungen verfügte man am 24. Juni in Italien an mobilen
Truppen nur über 173000 Mann Infanterie, 10500 Reiter und 752 Ge-
schütze und damals war es doch schon außer Zweifel, daß der Schwerpunkt
des Krieges in Italien lag. In der Stellung in der Lomellina blieb man,
bis der Feind sich zur Offensive vorbereitet hatte. Als Kaiser Napoleon durch
einen überaus gewagten Flankenmarsch den rechten Flügel der Oesterreicher
umging, zog man sich hinter den Tessin, statt die günstige Gelegenheit zum
verderblichen Stoß in den vom Po bis zum Tessin weitgespannten Bogen
des Feindes zu benutzen. Aber im Hauptquartier des Grafen Giulay herrschte
Unsicherheit und Unentschlossenheit. Bei Magenta kam es dann unerwartet
zur Schlacht. Die Franzosen behielten den Sieg, weil die Oesterreicher unter
dem Eindrucke ungünstiger Vorkommnisse beim 1. und 2. Armeekorps das
Spiel übereilig verloren gaben. Ihr Rückzug kam erst hinter dem Mincio
zum Stehen; aber auch dieser Rückzug war eigenthümlich. Der Gegner
drängte keineswegs lästig nach; ja er war übermäßig vorsichtig und langsam;
aber so oft auch der Entschluß auftauchte, den Rückzug zu hemmen, an der


Selten wol ward ein Krieg in einer so leichtfertigen Weise geführt, als
der des Jahres 1859 und man muß staunen, wie die höchsten Interessen
des Staates behandelt wurden, als gälte es irgend einer Lustparthie. Ob-
wol die Wahrscheinlichkeit des Krieges seit Monaten nahelag, so befand
sich doch die kaiserliche Armee in Italien, zur Zeit als an den Feldzeugmeister
Grasen Giulay der Befehl zum Tessin-Uebergang erging, weitaus nicht in
operationsfähigem Zustande. Die Truppenkörper hatten die Kriegsstärke nicht
erreicht, die Batterien waren nur zum geringeren Theil ausgerüstet, das Train¬
wesen genügte den ersten Anforderungen kaum und hemmte dadurch die Opera¬
tionen in empfindlicher Weise. Man ging über den Tessin, vermochte die
Initiative nicht auszunützen und sah sich zu einer abwartenden Stellung in
der Lomellina genöthigt. Es ward nur zu bald klar, daß der Gegner an
Stärke überlegen sei. Also mußte man die Verstärkung des eigenen Heeres
erwarten. Aber obwol durch zehn Jahre der Armee ebensoviel Aufmerksam¬
keit als Geldmittel zugewendet worden waren, versagte die Organisation und
Verwaltung nach allen Seiten und viele Wochen vergingen, bis die Armee
den Uebergang in der Kriegsformation zu Wege brachte. In dem Grund¬
buche waren freilich 688000 Mann ausgewiesen, um 122000 Mann mehr
als der organisationsmäßtge Kriegsstand der einzelnen Abtheilungen betrug.
Aber man brauchte nicht nur viel kostbare Zeit, um die Leute unter die
Waffen zu bringen, es mangelte auch an Material aller Art, vor Allem
aber an tüchtigen Cadres. Zur Zeit der Schlacht von Magenta, 6 Wochen
nach der Kriegserklärung zählte die Operationsarmee am Tessin immer erst
133000 Mann Infanterie und 6300 Reiter mit 488 Geschützen, und bei viel¬
fachen Anstrengungen verfügte man am 24. Juni in Italien an mobilen
Truppen nur über 173000 Mann Infanterie, 10500 Reiter und 752 Ge-
schütze und damals war es doch schon außer Zweifel, daß der Schwerpunkt
des Krieges in Italien lag. In der Stellung in der Lomellina blieb man,
bis der Feind sich zur Offensive vorbereitet hatte. Als Kaiser Napoleon durch
einen überaus gewagten Flankenmarsch den rechten Flügel der Oesterreicher
umging, zog man sich hinter den Tessin, statt die günstige Gelegenheit zum
verderblichen Stoß in den vom Po bis zum Tessin weitgespannten Bogen
des Feindes zu benutzen. Aber im Hauptquartier des Grafen Giulay herrschte
Unsicherheit und Unentschlossenheit. Bei Magenta kam es dann unerwartet
zur Schlacht. Die Franzosen behielten den Sieg, weil die Oesterreicher unter
dem Eindrucke ungünstiger Vorkommnisse beim 1. und 2. Armeekorps das
Spiel übereilig verloren gaben. Ihr Rückzug kam erst hinter dem Mincio
zum Stehen; aber auch dieser Rückzug war eigenthümlich. Der Gegner
drängte keineswegs lästig nach; ja er war übermäßig vorsichtig und langsam;
aber so oft auch der Entschluß auftauchte, den Rückzug zu hemmen, an der


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[0499] Selten wol ward ein Krieg in einer so leichtfertigen Weise geführt, als der des Jahres 1859 und man muß staunen, wie die höchsten Interessen des Staates behandelt wurden, als gälte es irgend einer Lustparthie. Ob- wol die Wahrscheinlichkeit des Krieges seit Monaten nahelag, so befand sich doch die kaiserliche Armee in Italien, zur Zeit als an den Feldzeugmeister Grasen Giulay der Befehl zum Tessin-Uebergang erging, weitaus nicht in operationsfähigem Zustande. Die Truppenkörper hatten die Kriegsstärke nicht erreicht, die Batterien waren nur zum geringeren Theil ausgerüstet, das Train¬ wesen genügte den ersten Anforderungen kaum und hemmte dadurch die Opera¬ tionen in empfindlicher Weise. Man ging über den Tessin, vermochte die Initiative nicht auszunützen und sah sich zu einer abwartenden Stellung in der Lomellina genöthigt. Es ward nur zu bald klar, daß der Gegner an Stärke überlegen sei. Also mußte man die Verstärkung des eigenen Heeres erwarten. Aber obwol durch zehn Jahre der Armee ebensoviel Aufmerksam¬ keit als Geldmittel zugewendet worden waren, versagte die Organisation und Verwaltung nach allen Seiten und viele Wochen vergingen, bis die Armee den Uebergang in der Kriegsformation zu Wege brachte. In dem Grund¬ buche waren freilich 688000 Mann ausgewiesen, um 122000 Mann mehr als der organisationsmäßtge Kriegsstand der einzelnen Abtheilungen betrug. Aber man brauchte nicht nur viel kostbare Zeit, um die Leute unter die Waffen zu bringen, es mangelte auch an Material aller Art, vor Allem aber an tüchtigen Cadres. Zur Zeit der Schlacht von Magenta, 6 Wochen nach der Kriegserklärung zählte die Operationsarmee am Tessin immer erst 133000 Mann Infanterie und 6300 Reiter mit 488 Geschützen, und bei viel¬ fachen Anstrengungen verfügte man am 24. Juni in Italien an mobilen Truppen nur über 173000 Mann Infanterie, 10500 Reiter und 752 Ge- schütze und damals war es doch schon außer Zweifel, daß der Schwerpunkt des Krieges in Italien lag. In der Stellung in der Lomellina blieb man, bis der Feind sich zur Offensive vorbereitet hatte. Als Kaiser Napoleon durch einen überaus gewagten Flankenmarsch den rechten Flügel der Oesterreicher umging, zog man sich hinter den Tessin, statt die günstige Gelegenheit zum verderblichen Stoß in den vom Po bis zum Tessin weitgespannten Bogen des Feindes zu benutzen. Aber im Hauptquartier des Grafen Giulay herrschte Unsicherheit und Unentschlossenheit. Bei Magenta kam es dann unerwartet zur Schlacht. Die Franzosen behielten den Sieg, weil die Oesterreicher unter dem Eindrucke ungünstiger Vorkommnisse beim 1. und 2. Armeekorps das Spiel übereilig verloren gaben. Ihr Rückzug kam erst hinter dem Mincio zum Stehen; aber auch dieser Rückzug war eigenthümlich. Der Gegner drängte keineswegs lästig nach; ja er war übermäßig vorsichtig und langsam; aber so oft auch der Entschluß auftauchte, den Rückzug zu hemmen, an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/499>, abgerufen am 23.11.2024.