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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Bei Innsbruck sucht und schneidet man sie in der Mitternachtsstunde vor
dem Christfeste. Im Unterinnthal muß man das Nest einer Schwalbe mit
starken Fäden umwinkeln, sodaß sie nicht mehr hineinkann, worauf sie die
Wurzel holt, um sich's zu öffnen. Zu Owen in Württemberg sagt man, der
Specht hole sie auf das soeben beschriebene Verfahren hin. In der Gegend
von Derendingen in Schwaben endlich verschafft man sich die Springwurzel
durch einen Wiedehopf. Findet man ein Nest dieses Vogels in einem hohlen
Baume, so muß man ein Bret vor dessen Eingang nageln. Dann fliegt der
Wiedehopf fort und kommt mit der Springwurzel wieder, die an das ver¬
nagelte Nest gehalten, das Bret augenblicklich abspringen läßt. Darauf trägt
der Vogel diese Wurzel, um sie zu vernichten, nach dem nächsten Wasser oder
Feuer, in das er sie hineinfallen läßt. Deshalb muß man in der Nähe des
Nestes entweder eine Gelee mit Wasser aufstellen oder ein Feuer anmachen
und die Springwurzel auffangen, wenn sie fällt.

Durch Erbsen kann man sich in Schwaben unsichtbar machen. Dabei
ist aber folgendes Verfahren einzuschlagen. Man muß einen Todtenkopf aus¬
graben . ihn mit Erde anfüllen und in diese in der Charfreitagsnacht drei -
Erbsen drücken. Der Todtenkopf wird darauf unter der Traufe des Kirchen¬
dachs wieder eingegraben, und dann geht man in die Kirche hinein und sagt
sein Glaubensbekenntniß her. Nimmt man von den Erbsen, die auf diese
Weise gezogen werden, eine in den Mund, so wird man unsichtbar. Früher
sollen sich die Wilddiebe häufig solcher Erbsen bedient und sich dadurch vor
den Augen der Förster in allerlei leblose Dinge, z. B. in Baumstümpfe, ver¬
wandelt haben.

Ein Zaubertrank ersten Ranges ist die weißblühende (männliche) Weg¬
wart oder wilde Cichorie. Die Wegwartpflanzen sind nach schwäbischen
Aberglauben verzauberte Menschen, und zwar waren die blauen, die sehr häu-
fig sind, böse, die weißen gute Menschen. In Franken heißt es ohne Unter¬
schied der Farbe, Wegwart mit einem Geldstück ausgegraben und zwar unter
Anrufung der Dreieinigkeit, ist ein Schutzmittel gegen allerhand Zauber. In
Schwaben sagt man dagegen, die Wurzel einer weißblühenden Wegwart habe
nicht blos die Kraft, Dornen, Splitter, abgebrochene Nadeln und ähnliche
Dinge aus dem Fleische zu treiben, sondern sie mache auch unsichtbar, Hieb¬
und stichfest, wenn man ein Stück davon in der rechten Westentasche trage,
und öffne gleich der Springwurzel Thüren und Schlösser. Sie ist aber sehr
selten, und ihre Erlangung verlangt Wissen, entschlossnes Handeln und Muth.
T'ndet man eine, so muß man sogleich einen Stock neben sie in die Erde
stecken und sie daran festbinden, weil sie sonst "durchgeht." Sodann muß
sie am Jacobitage Vormittags zwischen elf und zwölf Uhr "unbeschrieen,"
d- h. ohne daß man von jemand dabei angeredet wird, mit einem Goldstück


Bei Innsbruck sucht und schneidet man sie in der Mitternachtsstunde vor
dem Christfeste. Im Unterinnthal muß man das Nest einer Schwalbe mit
starken Fäden umwinkeln, sodaß sie nicht mehr hineinkann, worauf sie die
Wurzel holt, um sich's zu öffnen. Zu Owen in Württemberg sagt man, der
Specht hole sie auf das soeben beschriebene Verfahren hin. In der Gegend
von Derendingen in Schwaben endlich verschafft man sich die Springwurzel
durch einen Wiedehopf. Findet man ein Nest dieses Vogels in einem hohlen
Baume, so muß man ein Bret vor dessen Eingang nageln. Dann fliegt der
Wiedehopf fort und kommt mit der Springwurzel wieder, die an das ver¬
nagelte Nest gehalten, das Bret augenblicklich abspringen läßt. Darauf trägt
der Vogel diese Wurzel, um sie zu vernichten, nach dem nächsten Wasser oder
Feuer, in das er sie hineinfallen läßt. Deshalb muß man in der Nähe des
Nestes entweder eine Gelee mit Wasser aufstellen oder ein Feuer anmachen
und die Springwurzel auffangen, wenn sie fällt.

Durch Erbsen kann man sich in Schwaben unsichtbar machen. Dabei
ist aber folgendes Verfahren einzuschlagen. Man muß einen Todtenkopf aus¬
graben . ihn mit Erde anfüllen und in diese in der Charfreitagsnacht drei -
Erbsen drücken. Der Todtenkopf wird darauf unter der Traufe des Kirchen¬
dachs wieder eingegraben, und dann geht man in die Kirche hinein und sagt
sein Glaubensbekenntniß her. Nimmt man von den Erbsen, die auf diese
Weise gezogen werden, eine in den Mund, so wird man unsichtbar. Früher
sollen sich die Wilddiebe häufig solcher Erbsen bedient und sich dadurch vor
den Augen der Förster in allerlei leblose Dinge, z. B. in Baumstümpfe, ver¬
wandelt haben.

Ein Zaubertrank ersten Ranges ist die weißblühende (männliche) Weg¬
wart oder wilde Cichorie. Die Wegwartpflanzen sind nach schwäbischen
Aberglauben verzauberte Menschen, und zwar waren die blauen, die sehr häu-
fig sind, böse, die weißen gute Menschen. In Franken heißt es ohne Unter¬
schied der Farbe, Wegwart mit einem Geldstück ausgegraben und zwar unter
Anrufung der Dreieinigkeit, ist ein Schutzmittel gegen allerhand Zauber. In
Schwaben sagt man dagegen, die Wurzel einer weißblühenden Wegwart habe
nicht blos die Kraft, Dornen, Splitter, abgebrochene Nadeln und ähnliche
Dinge aus dem Fleische zu treiben, sondern sie mache auch unsichtbar, Hieb¬
und stichfest, wenn man ein Stück davon in der rechten Westentasche trage,
und öffne gleich der Springwurzel Thüren und Schlösser. Sie ist aber sehr
selten, und ihre Erlangung verlangt Wissen, entschlossnes Handeln und Muth.
T'ndet man eine, so muß man sogleich einen Stock neben sie in die Erde
stecken und sie daran festbinden, weil sie sonst „durchgeht." Sodann muß
sie am Jacobitage Vormittags zwischen elf und zwölf Uhr „unbeschrieen,"
d- h. ohne daß man von jemand dabei angeredet wird, mit einem Goldstück


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[0495] Bei Innsbruck sucht und schneidet man sie in der Mitternachtsstunde vor dem Christfeste. Im Unterinnthal muß man das Nest einer Schwalbe mit starken Fäden umwinkeln, sodaß sie nicht mehr hineinkann, worauf sie die Wurzel holt, um sich's zu öffnen. Zu Owen in Württemberg sagt man, der Specht hole sie auf das soeben beschriebene Verfahren hin. In der Gegend von Derendingen in Schwaben endlich verschafft man sich die Springwurzel durch einen Wiedehopf. Findet man ein Nest dieses Vogels in einem hohlen Baume, so muß man ein Bret vor dessen Eingang nageln. Dann fliegt der Wiedehopf fort und kommt mit der Springwurzel wieder, die an das ver¬ nagelte Nest gehalten, das Bret augenblicklich abspringen läßt. Darauf trägt der Vogel diese Wurzel, um sie zu vernichten, nach dem nächsten Wasser oder Feuer, in das er sie hineinfallen läßt. Deshalb muß man in der Nähe des Nestes entweder eine Gelee mit Wasser aufstellen oder ein Feuer anmachen und die Springwurzel auffangen, wenn sie fällt. Durch Erbsen kann man sich in Schwaben unsichtbar machen. Dabei ist aber folgendes Verfahren einzuschlagen. Man muß einen Todtenkopf aus¬ graben . ihn mit Erde anfüllen und in diese in der Charfreitagsnacht drei - Erbsen drücken. Der Todtenkopf wird darauf unter der Traufe des Kirchen¬ dachs wieder eingegraben, und dann geht man in die Kirche hinein und sagt sein Glaubensbekenntniß her. Nimmt man von den Erbsen, die auf diese Weise gezogen werden, eine in den Mund, so wird man unsichtbar. Früher sollen sich die Wilddiebe häufig solcher Erbsen bedient und sich dadurch vor den Augen der Förster in allerlei leblose Dinge, z. B. in Baumstümpfe, ver¬ wandelt haben. Ein Zaubertrank ersten Ranges ist die weißblühende (männliche) Weg¬ wart oder wilde Cichorie. Die Wegwartpflanzen sind nach schwäbischen Aberglauben verzauberte Menschen, und zwar waren die blauen, die sehr häu- fig sind, böse, die weißen gute Menschen. In Franken heißt es ohne Unter¬ schied der Farbe, Wegwart mit einem Geldstück ausgegraben und zwar unter Anrufung der Dreieinigkeit, ist ein Schutzmittel gegen allerhand Zauber. In Schwaben sagt man dagegen, die Wurzel einer weißblühenden Wegwart habe nicht blos die Kraft, Dornen, Splitter, abgebrochene Nadeln und ähnliche Dinge aus dem Fleische zu treiben, sondern sie mache auch unsichtbar, Hieb¬ und stichfest, wenn man ein Stück davon in der rechten Westentasche trage, und öffne gleich der Springwurzel Thüren und Schlösser. Sie ist aber sehr selten, und ihre Erlangung verlangt Wissen, entschlossnes Handeln und Muth. T'ndet man eine, so muß man sogleich einen Stock neben sie in die Erde stecken und sie daran festbinden, weil sie sonst „durchgeht." Sodann muß sie am Jacobitage Vormittags zwischen elf und zwölf Uhr „unbeschrieen," d- h. ohne daß man von jemand dabei angeredet wird, mit einem Goldstück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/495>, abgerufen am 24.11.2024.