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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Weil das Wasser aber immer tiefer zu werden schien, hob sie den Rock höher
und höher, bis das versammelte Volk in ungeheures Lachen ausbrach. Da
hatte auch sie ihr Theil weg. Wenn man im Lechthal jemand einen vier¬
blätterigen Klee heimlich ins Haar steckt, so kann er in der heiligen Nacht
beim Hochamte die Hexen der Gemeinde sehen. Sie stehen so. daß sie dem
Altar den Rücken zugekehrt haben. Flieht man einer Jungfrau am Frohn-
leichnamstage einen solchen Klee in den Zopf, so weiß sie. wenn sie rein ist.
alle verborgenen Schätze. Wer im Unterinnthal einen Vierklee unter sein
Kopfkissen legt, dem träumt von seinem zukünftigen Schatze. Wer am Vor¬
abend des Johannistags, während des Avemarialäutens ein derartiges Blatt
findet, kann nach dem Glauben der Bauern im Vinschgau von da an Zauber¬
künste treiben. Sehr deutlich weist auf den unchristlichen Charakter des Vier¬
klees der bei Absam in Tirol herrschende Aberglaube hin. nach welchem ein
Ministrant, wenn er dem Priester heimlich ein solches Blatt in das Me߬
buch legt, bewirken kann, daß dieser beim Messelesen irre wird und stockt.
Auch ein zweiblätteriger Klee, wenn er am Sonnewendabend während des
Avemarialäutens gepflückt wird, bringt Glück, namentlich verhilft er seinem
Besitzer zu baldiger Verheirathung. Einen Fünfklee finden, bedeutet aber im
Uroler Etschlande immer ein bevorstehendes Unglück.

Die Bibernellwurzel gilt in verschiedenen Strichen Deutschlands als das
beste Mittel gegen ansteckende Krankheiten. Als vor Jahren die Pest in
Tirol wüthete, flohen viele Einwohner von Tirol auf einen Hügel, auf welchem
letzt die Geisterkapelle steht. Nachdem sie hier mehrere Tage und Nächte um
Abwendung der fürchterlichen Sterblichkeit gebetet, erschien eine weiße Gestalt,
die ihnen zurief:


"Eßt Kranewitt und Bibernell.
Dann kommt der Tod nicht zu schnell."

Aehnliches wird zu Owen und Kiebingen in Schwaben erzählt, nur er¬
theilte hier ein Vogel den Rath.

Vor dem Blitze schützt in Tirol Oahaggen (pLÄieularis mit rother Blüthe).
Schwaben aber leisten diesen Dienst die Mausöhrle (gllnMeum üioiemn),
d'e man deshalb am Himmelfahrtsmorgen sammelt und in Kränze gebunden
vor das Haus hängt. Gräbt man solche Mausöhrle an einem Feiertage, wo
Vollmond ist, oder an einem doppelten Sonntage, d. h. auf den zugleich ein
Feiertag fällt, vor Sonnenaufgang mit Kraut und Wurzeln aus der Erde,
und trägt man sie dann in einem weißen Tuche auf dem bloßen Leibe, so
kann einem keine Waffe Schaden thun. Ein in Schwaben wie in Tirol vor¬
kommender Aberglaube verbietet. Grashalme in den Mund zu nehmen oder
fich mit dürren Binsen (Schmielen oder Schachten) die Zähne zu stochern,
weil man Gefahr läuft, sich dadurch besessen zu machen. Der Teufel muß
Gr


enzten II- 187V. 62

Weil das Wasser aber immer tiefer zu werden schien, hob sie den Rock höher
und höher, bis das versammelte Volk in ungeheures Lachen ausbrach. Da
hatte auch sie ihr Theil weg. Wenn man im Lechthal jemand einen vier¬
blätterigen Klee heimlich ins Haar steckt, so kann er in der heiligen Nacht
beim Hochamte die Hexen der Gemeinde sehen. Sie stehen so. daß sie dem
Altar den Rücken zugekehrt haben. Flieht man einer Jungfrau am Frohn-
leichnamstage einen solchen Klee in den Zopf, so weiß sie. wenn sie rein ist.
alle verborgenen Schätze. Wer im Unterinnthal einen Vierklee unter sein
Kopfkissen legt, dem träumt von seinem zukünftigen Schatze. Wer am Vor¬
abend des Johannistags, während des Avemarialäutens ein derartiges Blatt
findet, kann nach dem Glauben der Bauern im Vinschgau von da an Zauber¬
künste treiben. Sehr deutlich weist auf den unchristlichen Charakter des Vier¬
klees der bei Absam in Tirol herrschende Aberglaube hin. nach welchem ein
Ministrant, wenn er dem Priester heimlich ein solches Blatt in das Me߬
buch legt, bewirken kann, daß dieser beim Messelesen irre wird und stockt.
Auch ein zweiblätteriger Klee, wenn er am Sonnewendabend während des
Avemarialäutens gepflückt wird, bringt Glück, namentlich verhilft er seinem
Besitzer zu baldiger Verheirathung. Einen Fünfklee finden, bedeutet aber im
Uroler Etschlande immer ein bevorstehendes Unglück.

Die Bibernellwurzel gilt in verschiedenen Strichen Deutschlands als das
beste Mittel gegen ansteckende Krankheiten. Als vor Jahren die Pest in
Tirol wüthete, flohen viele Einwohner von Tirol auf einen Hügel, auf welchem
letzt die Geisterkapelle steht. Nachdem sie hier mehrere Tage und Nächte um
Abwendung der fürchterlichen Sterblichkeit gebetet, erschien eine weiße Gestalt,
die ihnen zurief:


„Eßt Kranewitt und Bibernell.
Dann kommt der Tod nicht zu schnell."

Aehnliches wird zu Owen und Kiebingen in Schwaben erzählt, nur er¬
theilte hier ein Vogel den Rath.

Vor dem Blitze schützt in Tirol Oahaggen (pLÄieularis mit rother Blüthe).
Schwaben aber leisten diesen Dienst die Mausöhrle (gllnMeum üioiemn),
d'e man deshalb am Himmelfahrtsmorgen sammelt und in Kränze gebunden
vor das Haus hängt. Gräbt man solche Mausöhrle an einem Feiertage, wo
Vollmond ist, oder an einem doppelten Sonntage, d. h. auf den zugleich ein
Feiertag fällt, vor Sonnenaufgang mit Kraut und Wurzeln aus der Erde,
und trägt man sie dann in einem weißen Tuche auf dem bloßen Leibe, so
kann einem keine Waffe Schaden thun. Ein in Schwaben wie in Tirol vor¬
kommender Aberglaube verbietet. Grashalme in den Mund zu nehmen oder
fich mit dürren Binsen (Schmielen oder Schachten) die Zähne zu stochern,
weil man Gefahr läuft, sich dadurch besessen zu machen. Der Teufel muß
Gr


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[0493] Weil das Wasser aber immer tiefer zu werden schien, hob sie den Rock höher und höher, bis das versammelte Volk in ungeheures Lachen ausbrach. Da hatte auch sie ihr Theil weg. Wenn man im Lechthal jemand einen vier¬ blätterigen Klee heimlich ins Haar steckt, so kann er in der heiligen Nacht beim Hochamte die Hexen der Gemeinde sehen. Sie stehen so. daß sie dem Altar den Rücken zugekehrt haben. Flieht man einer Jungfrau am Frohn- leichnamstage einen solchen Klee in den Zopf, so weiß sie. wenn sie rein ist. alle verborgenen Schätze. Wer im Unterinnthal einen Vierklee unter sein Kopfkissen legt, dem träumt von seinem zukünftigen Schatze. Wer am Vor¬ abend des Johannistags, während des Avemarialäutens ein derartiges Blatt findet, kann nach dem Glauben der Bauern im Vinschgau von da an Zauber¬ künste treiben. Sehr deutlich weist auf den unchristlichen Charakter des Vier¬ klees der bei Absam in Tirol herrschende Aberglaube hin. nach welchem ein Ministrant, wenn er dem Priester heimlich ein solches Blatt in das Me߬ buch legt, bewirken kann, daß dieser beim Messelesen irre wird und stockt. Auch ein zweiblätteriger Klee, wenn er am Sonnewendabend während des Avemarialäutens gepflückt wird, bringt Glück, namentlich verhilft er seinem Besitzer zu baldiger Verheirathung. Einen Fünfklee finden, bedeutet aber im Uroler Etschlande immer ein bevorstehendes Unglück. Die Bibernellwurzel gilt in verschiedenen Strichen Deutschlands als das beste Mittel gegen ansteckende Krankheiten. Als vor Jahren die Pest in Tirol wüthete, flohen viele Einwohner von Tirol auf einen Hügel, auf welchem letzt die Geisterkapelle steht. Nachdem sie hier mehrere Tage und Nächte um Abwendung der fürchterlichen Sterblichkeit gebetet, erschien eine weiße Gestalt, die ihnen zurief: „Eßt Kranewitt und Bibernell. Dann kommt der Tod nicht zu schnell." Aehnliches wird zu Owen und Kiebingen in Schwaben erzählt, nur er¬ theilte hier ein Vogel den Rath. Vor dem Blitze schützt in Tirol Oahaggen (pLÄieularis mit rother Blüthe). Schwaben aber leisten diesen Dienst die Mausöhrle (gllnMeum üioiemn), d'e man deshalb am Himmelfahrtsmorgen sammelt und in Kränze gebunden vor das Haus hängt. Gräbt man solche Mausöhrle an einem Feiertage, wo Vollmond ist, oder an einem doppelten Sonntage, d. h. auf den zugleich ein Feiertag fällt, vor Sonnenaufgang mit Kraut und Wurzeln aus der Erde, und trägt man sie dann in einem weißen Tuche auf dem bloßen Leibe, so kann einem keine Waffe Schaden thun. Ein in Schwaben wie in Tirol vor¬ kommender Aberglaube verbietet. Grashalme in den Mund zu nehmen oder fich mit dürren Binsen (Schmielen oder Schachten) die Zähne zu stochern, weil man Gefahr läuft, sich dadurch besessen zu machen. Der Teufel muß Gr enzten II- 187V. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/493>, abgerufen am 28.07.2024.