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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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dem Bahnhofe eingefunden; wer ernster dachte, der mußte mit tiefer Bewegung
auf die Truppen sehen, deren Durchzug das Vorspiel bildete zu dem großen
Kampfe. Als der mächtige Zug heran kam, der, wie man sagte, ein Bataillon
vom Infanterieregimente Ramming führte, begrüßten die Mannschaften das
Publicum mit Zurufen und Gesang, doch die Menge blieb stumm und gab
nicht das geringste Zeichen der Sympathie von sich. Da der Zug längeren
Aufenthalt hatte, so glich in wenigen Minuten der Bahnhof einem Feldlager.
Die Soldaten, in ihre allbekannten grauen Capotmäntel gekleidet, die Feld¬
mütze auf dem Kopfe, meist mittelgroße, kräftige Gestalten, machten im
Ganzen einen günstigen Eindruck. Unter den Unteroffizieren sah man manches
intelligente Gesicht, es waren meist Ungarn, während die Mannschaften
größtentheils aus Slaven bestanden. Diese traten denn auch, da sie offenbar
nur sehr wenig Deutsch verstanden, mit dem Publicum, unter das sie sich un¬
befangen mischten, nur durch etwaige Cigarrenspenden in Verbindung, die
Unteroffiziere ließen sich dagegen gern aus eine Unterhaltung ein. Von
politischem Interesse schien wenig bei ihnen vorhanden; sie meinten wohl, sie
hätten in Holstein mit den Preußen häufige Schlägereien gehabt, aber sie
sprachen davon ohne jede Animosität. Inzwischen hatten sich die Offiziere,
die sich in ihren weißen Röcken mit Goldstickerei und schwarzgelber Feldbinde
sehr stattlich ausnahmen, mit einigen "Spitzen" der Stadt zum Frühstück
niedergelassen. Daß der Oberst, ein schöner, stattlicher Mann, wie man sagte
ein geborner Lombarde, ein Hoch auf Hannover ausbrachte, einer der Göt¬
tinger Herren Oesterreich hoch leben ließ, schien selbstverständliche Höflichkeit;
an eine Verbindung Hannovers mit Oesterreich im bevorstehenden Kampfe
zu denken, davon war aber noch jetzt jeder um so weiter entfernt, als bei
einem solchen Vorsatz doch die einfachste Klugheit zu gebieten schien, diese
Brigade Kalik in Hannover zu belassen, statt sie nach Böhmen zu schicken. --
Wenige Stunden nach Abfahrt der Oesterreicher langte die Nachricht von der
Abberufung des preußischen Gesandten in Wien an. Die Ereignisse fingen
an, mit rapider Schnelligkeit vorwärts zu gehen.

Am nächsten Tage -- es war der verhängnißvolle 14. Juni -- sah man
zwei Schwadronen Windischgrätz-Dragoner, dann ein Bataillon Khevenhüller-
Jnfanterie, Deutschböhmen von Pilsen und Eger, passiren, noch ohne Ahnung
des Kommenden. Da steht in den Morgenblättern zu lesen, Hannover habe
sich infolge des preußischen Antrages auf Bundesreform (vom 10. Juni) auf
Oestreichs Seite gestellt! Und als ich gegen Abend mit einem Freunde aus
dessen Wohnung trat, kommt uns ein Bekannter mit der entscheidenden Kunde:
der österreichische Antrag auf Mobilisirung der außerpreußischen Bundes-
contigente sei mit 9 gegen 6 Stimmen angenommen! Der Eindruck war be¬
täubend. Wohl hatte Jeder den Krieg erwartet, aber nun, da die furchtbare


dem Bahnhofe eingefunden; wer ernster dachte, der mußte mit tiefer Bewegung
auf die Truppen sehen, deren Durchzug das Vorspiel bildete zu dem großen
Kampfe. Als der mächtige Zug heran kam, der, wie man sagte, ein Bataillon
vom Infanterieregimente Ramming führte, begrüßten die Mannschaften das
Publicum mit Zurufen und Gesang, doch die Menge blieb stumm und gab
nicht das geringste Zeichen der Sympathie von sich. Da der Zug längeren
Aufenthalt hatte, so glich in wenigen Minuten der Bahnhof einem Feldlager.
Die Soldaten, in ihre allbekannten grauen Capotmäntel gekleidet, die Feld¬
mütze auf dem Kopfe, meist mittelgroße, kräftige Gestalten, machten im
Ganzen einen günstigen Eindruck. Unter den Unteroffizieren sah man manches
intelligente Gesicht, es waren meist Ungarn, während die Mannschaften
größtentheils aus Slaven bestanden. Diese traten denn auch, da sie offenbar
nur sehr wenig Deutsch verstanden, mit dem Publicum, unter das sie sich un¬
befangen mischten, nur durch etwaige Cigarrenspenden in Verbindung, die
Unteroffiziere ließen sich dagegen gern aus eine Unterhaltung ein. Von
politischem Interesse schien wenig bei ihnen vorhanden; sie meinten wohl, sie
hätten in Holstein mit den Preußen häufige Schlägereien gehabt, aber sie
sprachen davon ohne jede Animosität. Inzwischen hatten sich die Offiziere,
die sich in ihren weißen Röcken mit Goldstickerei und schwarzgelber Feldbinde
sehr stattlich ausnahmen, mit einigen „Spitzen" der Stadt zum Frühstück
niedergelassen. Daß der Oberst, ein schöner, stattlicher Mann, wie man sagte
ein geborner Lombarde, ein Hoch auf Hannover ausbrachte, einer der Göt¬
tinger Herren Oesterreich hoch leben ließ, schien selbstverständliche Höflichkeit;
an eine Verbindung Hannovers mit Oesterreich im bevorstehenden Kampfe
zu denken, davon war aber noch jetzt jeder um so weiter entfernt, als bei
einem solchen Vorsatz doch die einfachste Klugheit zu gebieten schien, diese
Brigade Kalik in Hannover zu belassen, statt sie nach Böhmen zu schicken. —
Wenige Stunden nach Abfahrt der Oesterreicher langte die Nachricht von der
Abberufung des preußischen Gesandten in Wien an. Die Ereignisse fingen
an, mit rapider Schnelligkeit vorwärts zu gehen.

Am nächsten Tage — es war der verhängnißvolle 14. Juni — sah man
zwei Schwadronen Windischgrätz-Dragoner, dann ein Bataillon Khevenhüller-
Jnfanterie, Deutschböhmen von Pilsen und Eger, passiren, noch ohne Ahnung
des Kommenden. Da steht in den Morgenblättern zu lesen, Hannover habe
sich infolge des preußischen Antrages auf Bundesreform (vom 10. Juni) auf
Oestreichs Seite gestellt! Und als ich gegen Abend mit einem Freunde aus
dessen Wohnung trat, kommt uns ein Bekannter mit der entscheidenden Kunde:
der österreichische Antrag auf Mobilisirung der außerpreußischen Bundes-
contigente sei mit 9 gegen 6 Stimmen angenommen! Der Eindruck war be¬
täubend. Wohl hatte Jeder den Krieg erwartet, aber nun, da die furchtbare


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/478>, abgerufen am 27.11.2024.