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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Partei nur im äußersten Nothfall selbstständige Präsidentschaftseandidaten auf¬
stellen wird, daß sie zunächst vorzieht, Hand in Hand mit bestehenden Par¬
teiorganisationen zu gehen. "Unsere Generation", so schließt der Aufruf,
"hat das zweite Jahrhundert unseres nationalen Lebens zu eröffnen, wie die
Gründer der Union das erste eröffneten. Deren Werk war die Unabhängig¬
keit, das unsrige ist die Reformation. Das letztere ist von eben so hoher
Bedeutung, wie das erstere. Jetzt wie früher, muß jeder wahre Amerikaner
den Muth haben, im vollsten Maße seine Pflicht zu thun."

Aus dem Aufrufe geht deutlich hervor, daß die Reformfreunde keinen
Candidaten unterstützen wollen, der nur irgendwie der Grantfraction ange¬
hörte, ebenso keinen Demokraten, der für das System des uneinlösbaren
Papiergeldes ist. Es ist durchaus kein Name genannt worden, aber es ist
deutlich zwischen den Zeilen zu lesen, daß Männer, wie Bristow und Charles
Francis Adams, das Vertrauen der Reformpartei besitzen. Die Chancen
dieser Männer als Präsidentschaftscandidaten würden, falls sie von der
Reformpartet selbstständig aufgestellt würden, lange nicht so günstig sein, als
wenn sie die regelmäßige Ernennung seitens der republikanischen Partei am
14. Juni in Cincinnati erhielten. Bristow hat dazu noch immer Aussicht,
obschon die Parteigänger Conkling's, Morton's, Blaine's, Haye's u. s. w.
eine äußerst starke Opposition bilden und möglicherweise gegen Bristow einen
gefährlichen Vereinigungs-Compromiß schließen. Die "New-Uork Tribune"
und ähnliche unabhängige Blätter halten die Aufgabe der Reformpartei für
eine sehr schwierige, aber für keine unmögliche.

Zum Schlüsse noch ein Wort über ein jetzt vielbesprochenes Buch von
einem gewissen John H. Becker"), der längere Zeit in den Vereinigten Staaten
lebte und Land und Leute ziemlich kennen gelernt hat. Herr Becker bezeichnet,
wie auch Karl Schurz es thut, die Corruption als die Krankheit, an der die
Union am meisten leidet, er hält aber -- im Gegensatz zu Schurz -- diese
Krankheit für ganz unheilbar. Wer aber unbefangenen Sinnes das Buch
von Becker gelesen hat, der wird ihn für einen eben solchen Pessimisten halten,
wie sein Freund Friedrich v. Hellwald es ist. der das Becker'sche Buch mit
einer Einleitung begleitete. Auch wir glauben, daß die Union über kurz oder
lang zerfallen wird; aber dies "über kurz oder lang" kann doch noch eine
geraume Zeit dauern; auch wird auf die Republik in Amerika möglicherweise
die Monarchie folgen. Das wäre indeß weder ein großes Unglück, noch ohne
Analogie in der Geschichte. Auch wollen wir zugeben, daß Karl Schurz viel¬
leicht in demselben Grade ein optimistischer Idealist ist. wie John H. Becker



"Die hundertjährige Republik." Sociale und politische Zustände in den Vereiniaten
Staaten Nordamerikas. Von John H. Becker. Mit Einleitung von Friedrich von Hellwald
Augsburg, Lampert u. Co., 1876. ^u.vu.o.

Partei nur im äußersten Nothfall selbstständige Präsidentschaftseandidaten auf¬
stellen wird, daß sie zunächst vorzieht, Hand in Hand mit bestehenden Par¬
teiorganisationen zu gehen. „Unsere Generation", so schließt der Aufruf,
„hat das zweite Jahrhundert unseres nationalen Lebens zu eröffnen, wie die
Gründer der Union das erste eröffneten. Deren Werk war die Unabhängig¬
keit, das unsrige ist die Reformation. Das letztere ist von eben so hoher
Bedeutung, wie das erstere. Jetzt wie früher, muß jeder wahre Amerikaner
den Muth haben, im vollsten Maße seine Pflicht zu thun."

Aus dem Aufrufe geht deutlich hervor, daß die Reformfreunde keinen
Candidaten unterstützen wollen, der nur irgendwie der Grantfraction ange¬
hörte, ebenso keinen Demokraten, der für das System des uneinlösbaren
Papiergeldes ist. Es ist durchaus kein Name genannt worden, aber es ist
deutlich zwischen den Zeilen zu lesen, daß Männer, wie Bristow und Charles
Francis Adams, das Vertrauen der Reformpartei besitzen. Die Chancen
dieser Männer als Präsidentschaftscandidaten würden, falls sie von der
Reformpartet selbstständig aufgestellt würden, lange nicht so günstig sein, als
wenn sie die regelmäßige Ernennung seitens der republikanischen Partei am
14. Juni in Cincinnati erhielten. Bristow hat dazu noch immer Aussicht,
obschon die Parteigänger Conkling's, Morton's, Blaine's, Haye's u. s. w.
eine äußerst starke Opposition bilden und möglicherweise gegen Bristow einen
gefährlichen Vereinigungs-Compromiß schließen. Die „New-Uork Tribune"
und ähnliche unabhängige Blätter halten die Aufgabe der Reformpartei für
eine sehr schwierige, aber für keine unmögliche.

Zum Schlüsse noch ein Wort über ein jetzt vielbesprochenes Buch von
einem gewissen John H. Becker"), der längere Zeit in den Vereinigten Staaten
lebte und Land und Leute ziemlich kennen gelernt hat. Herr Becker bezeichnet,
wie auch Karl Schurz es thut, die Corruption als die Krankheit, an der die
Union am meisten leidet, er hält aber — im Gegensatz zu Schurz — diese
Krankheit für ganz unheilbar. Wer aber unbefangenen Sinnes das Buch
von Becker gelesen hat, der wird ihn für einen eben solchen Pessimisten halten,
wie sein Freund Friedrich v. Hellwald es ist. der das Becker'sche Buch mit
einer Einleitung begleitete. Auch wir glauben, daß die Union über kurz oder
lang zerfallen wird; aber dies „über kurz oder lang" kann doch noch eine
geraume Zeit dauern; auch wird auf die Republik in Amerika möglicherweise
die Monarchie folgen. Das wäre indeß weder ein großes Unglück, noch ohne
Analogie in der Geschichte. Auch wollen wir zugeben, daß Karl Schurz viel¬
leicht in demselben Grade ein optimistischer Idealist ist. wie John H. Becker



„Die hundertjährige Republik." Sociale und politische Zustände in den Vereiniaten
Staaten Nordamerikas. Von John H. Becker. Mit Einleitung von Friedrich von Hellwald
Augsburg, Lampert u. Co., 1876. ^u.vu.o.
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[0471] Partei nur im äußersten Nothfall selbstständige Präsidentschaftseandidaten auf¬ stellen wird, daß sie zunächst vorzieht, Hand in Hand mit bestehenden Par¬ teiorganisationen zu gehen. „Unsere Generation", so schließt der Aufruf, „hat das zweite Jahrhundert unseres nationalen Lebens zu eröffnen, wie die Gründer der Union das erste eröffneten. Deren Werk war die Unabhängig¬ keit, das unsrige ist die Reformation. Das letztere ist von eben so hoher Bedeutung, wie das erstere. Jetzt wie früher, muß jeder wahre Amerikaner den Muth haben, im vollsten Maße seine Pflicht zu thun." Aus dem Aufrufe geht deutlich hervor, daß die Reformfreunde keinen Candidaten unterstützen wollen, der nur irgendwie der Grantfraction ange¬ hörte, ebenso keinen Demokraten, der für das System des uneinlösbaren Papiergeldes ist. Es ist durchaus kein Name genannt worden, aber es ist deutlich zwischen den Zeilen zu lesen, daß Männer, wie Bristow und Charles Francis Adams, das Vertrauen der Reformpartei besitzen. Die Chancen dieser Männer als Präsidentschaftscandidaten würden, falls sie von der Reformpartet selbstständig aufgestellt würden, lange nicht so günstig sein, als wenn sie die regelmäßige Ernennung seitens der republikanischen Partei am 14. Juni in Cincinnati erhielten. Bristow hat dazu noch immer Aussicht, obschon die Parteigänger Conkling's, Morton's, Blaine's, Haye's u. s. w. eine äußerst starke Opposition bilden und möglicherweise gegen Bristow einen gefährlichen Vereinigungs-Compromiß schließen. Die „New-Uork Tribune" und ähnliche unabhängige Blätter halten die Aufgabe der Reformpartei für eine sehr schwierige, aber für keine unmögliche. Zum Schlüsse noch ein Wort über ein jetzt vielbesprochenes Buch von einem gewissen John H. Becker"), der längere Zeit in den Vereinigten Staaten lebte und Land und Leute ziemlich kennen gelernt hat. Herr Becker bezeichnet, wie auch Karl Schurz es thut, die Corruption als die Krankheit, an der die Union am meisten leidet, er hält aber — im Gegensatz zu Schurz — diese Krankheit für ganz unheilbar. Wer aber unbefangenen Sinnes das Buch von Becker gelesen hat, der wird ihn für einen eben solchen Pessimisten halten, wie sein Freund Friedrich v. Hellwald es ist. der das Becker'sche Buch mit einer Einleitung begleitete. Auch wir glauben, daß die Union über kurz oder lang zerfallen wird; aber dies „über kurz oder lang" kann doch noch eine geraume Zeit dauern; auch wird auf die Republik in Amerika möglicherweise die Monarchie folgen. Das wäre indeß weder ein großes Unglück, noch ohne Analogie in der Geschichte. Auch wollen wir zugeben, daß Karl Schurz viel¬ leicht in demselben Grade ein optimistischer Idealist ist. wie John H. Becker „Die hundertjährige Republik." Sociale und politische Zustände in den Vereiniaten Staaten Nordamerikas. Von John H. Becker. Mit Einleitung von Friedrich von Hellwald Augsburg, Lampert u. Co., 1876. ^u.vu.o.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/471>, abgerufen am 27.11.2024.