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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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gnügen, eine erste Regung echter Künstlerthätigkeit. Dabei sind deutlich Ein¬
schnitte auf Knochentafeln als Zeichen zu erkennen die der Schrift voraus¬
gehen, die auf Zahlenbegriffe und Zählen hinweisen. Farbstoffe, die man
aufgefunden, lassen neben der Bekleidung mit Thierfellen auch auf ein Be¬
malen des eigenen Körpers schließen. Es ist öfter bemerkt worden, daß der
weiße Mensch für seine Nacktheit empfindlicher ist, als der braune und röth-
liche, der in der dunklern Hautfarbe selbst schon eine Hülle um sich zu
tragen scheint.

Auf den dänischen Inseln und an der jütischen Küste erkannte Steen-
strup in massenhaften Ansammlungen von Muschelschalen die Küchenabfälle
eines Volkes der Steinzeit. Knochen von Gänsen, Enten, Schwänen, ja des
fast ganz verschwundenen großen Tauchers finden sich dort, aber ohne die
Wirbel, die der Haushund verzehrte, der auch die knorpelarttgen Gelenke der
Ochsen, Hirsche, Schweine vertilgte. Auch mit der Hand gefertigte Töpfer¬
scherben finden sich dort sammt Geräthen und Waffen aus Feuerstein, sowie
Pfriemen, Ahle, Kämme aus Knochen und Hirschhorn. Jetzt ist die Buche
der dänische Waldbaum; ihr ging die Eiche, dieser das Nadelholz voraus.
In den Mooren aber der Nadelholzzeit findet man bei Fichten und Föhren
polirte Steinäxte in Hirschhornstielen, Lanzen und Pfeile in zweckmäßig wohl¬
gefälliger Form. Aehnlich in französischen Mooren, sowie Haufen von
Küchenabfällen aus jener Zeit auch in Italien untersucht worden sind.

"Ins Freie, wo wir hingehören", sagt einmal Goethe's Egmont; das
Leben in der Freiheit wird jenen Urmenschen genußreich gewesen sein, so daß
sie es vielleicht nicht mit unserer Stubenetvilisation vertauscht hätten. Schüt¬
telt doch der Wilde in Amerika den Kopf über den Ackerbauer, der sich täglich
hinter dem Pflug, über den Handwerker, der in der Werkstatt sich abmüht,
um die Mittel des Lebens zu gewinnen, während er dasselbe nicht genießt.
War doch der Botokudenjüngltng. der als Knabe in einer brasilianischen
Familie erzogen war, der auf einer Universität studirt hatte, so lange schwer-
müthig, bis er wieder in seinen Wäldern nackt herumstreifte, und warf doch
der in England von vornehmer Gesellschaft verhätschelte Feuerländer die Lack¬
stiefel und Handschuhe weg, als er wieder zu den Seinigen kam und seines
Daseins wieder froh ward. Oskar Peschel erinnert an die Jndianerstämme,
wie sie das Jenseits sich als Fortsetzung des Diesseits denken; der große
Geist wird sie in wildreiche Gefilde versetzen. So hoffen die Neuseeländer
heut, wie die Germanen vor zweitausend Jahren, aus Kampf bei Tag und
abends Siegesfeier. Ihnen erscheint ihr Leben so glücklich, daß sie das künf¬
tige als eine Steigerung des gegenwärtigen denken. Aber wird es sich unser
Arbeiter als meilenlange Garnmühle, unser Beamter als große Actenstube,
unser Soldat als Kaserne träumen? "Wir alle sind Knechte der Gesellschaft,


gnügen, eine erste Regung echter Künstlerthätigkeit. Dabei sind deutlich Ein¬
schnitte auf Knochentafeln als Zeichen zu erkennen die der Schrift voraus¬
gehen, die auf Zahlenbegriffe und Zählen hinweisen. Farbstoffe, die man
aufgefunden, lassen neben der Bekleidung mit Thierfellen auch auf ein Be¬
malen des eigenen Körpers schließen. Es ist öfter bemerkt worden, daß der
weiße Mensch für seine Nacktheit empfindlicher ist, als der braune und röth-
liche, der in der dunklern Hautfarbe selbst schon eine Hülle um sich zu
tragen scheint.

Auf den dänischen Inseln und an der jütischen Küste erkannte Steen-
strup in massenhaften Ansammlungen von Muschelschalen die Küchenabfälle
eines Volkes der Steinzeit. Knochen von Gänsen, Enten, Schwänen, ja des
fast ganz verschwundenen großen Tauchers finden sich dort, aber ohne die
Wirbel, die der Haushund verzehrte, der auch die knorpelarttgen Gelenke der
Ochsen, Hirsche, Schweine vertilgte. Auch mit der Hand gefertigte Töpfer¬
scherben finden sich dort sammt Geräthen und Waffen aus Feuerstein, sowie
Pfriemen, Ahle, Kämme aus Knochen und Hirschhorn. Jetzt ist die Buche
der dänische Waldbaum; ihr ging die Eiche, dieser das Nadelholz voraus.
In den Mooren aber der Nadelholzzeit findet man bei Fichten und Föhren
polirte Steinäxte in Hirschhornstielen, Lanzen und Pfeile in zweckmäßig wohl¬
gefälliger Form. Aehnlich in französischen Mooren, sowie Haufen von
Küchenabfällen aus jener Zeit auch in Italien untersucht worden sind.

„Ins Freie, wo wir hingehören", sagt einmal Goethe's Egmont; das
Leben in der Freiheit wird jenen Urmenschen genußreich gewesen sein, so daß
sie es vielleicht nicht mit unserer Stubenetvilisation vertauscht hätten. Schüt¬
telt doch der Wilde in Amerika den Kopf über den Ackerbauer, der sich täglich
hinter dem Pflug, über den Handwerker, der in der Werkstatt sich abmüht,
um die Mittel des Lebens zu gewinnen, während er dasselbe nicht genießt.
War doch der Botokudenjüngltng. der als Knabe in einer brasilianischen
Familie erzogen war, der auf einer Universität studirt hatte, so lange schwer-
müthig, bis er wieder in seinen Wäldern nackt herumstreifte, und warf doch
der in England von vornehmer Gesellschaft verhätschelte Feuerländer die Lack¬
stiefel und Handschuhe weg, als er wieder zu den Seinigen kam und seines
Daseins wieder froh ward. Oskar Peschel erinnert an die Jndianerstämme,
wie sie das Jenseits sich als Fortsetzung des Diesseits denken; der große
Geist wird sie in wildreiche Gefilde versetzen. So hoffen die Neuseeländer
heut, wie die Germanen vor zweitausend Jahren, aus Kampf bei Tag und
abends Siegesfeier. Ihnen erscheint ihr Leben so glücklich, daß sie das künf¬
tige als eine Steigerung des gegenwärtigen denken. Aber wird es sich unser
Arbeiter als meilenlange Garnmühle, unser Beamter als große Actenstube,
unser Soldat als Kaserne träumen? „Wir alle sind Knechte der Gesellschaft,


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[0451] gnügen, eine erste Regung echter Künstlerthätigkeit. Dabei sind deutlich Ein¬ schnitte auf Knochentafeln als Zeichen zu erkennen die der Schrift voraus¬ gehen, die auf Zahlenbegriffe und Zählen hinweisen. Farbstoffe, die man aufgefunden, lassen neben der Bekleidung mit Thierfellen auch auf ein Be¬ malen des eigenen Körpers schließen. Es ist öfter bemerkt worden, daß der weiße Mensch für seine Nacktheit empfindlicher ist, als der braune und röth- liche, der in der dunklern Hautfarbe selbst schon eine Hülle um sich zu tragen scheint. Auf den dänischen Inseln und an der jütischen Küste erkannte Steen- strup in massenhaften Ansammlungen von Muschelschalen die Küchenabfälle eines Volkes der Steinzeit. Knochen von Gänsen, Enten, Schwänen, ja des fast ganz verschwundenen großen Tauchers finden sich dort, aber ohne die Wirbel, die der Haushund verzehrte, der auch die knorpelarttgen Gelenke der Ochsen, Hirsche, Schweine vertilgte. Auch mit der Hand gefertigte Töpfer¬ scherben finden sich dort sammt Geräthen und Waffen aus Feuerstein, sowie Pfriemen, Ahle, Kämme aus Knochen und Hirschhorn. Jetzt ist die Buche der dänische Waldbaum; ihr ging die Eiche, dieser das Nadelholz voraus. In den Mooren aber der Nadelholzzeit findet man bei Fichten und Föhren polirte Steinäxte in Hirschhornstielen, Lanzen und Pfeile in zweckmäßig wohl¬ gefälliger Form. Aehnlich in französischen Mooren, sowie Haufen von Küchenabfällen aus jener Zeit auch in Italien untersucht worden sind. „Ins Freie, wo wir hingehören", sagt einmal Goethe's Egmont; das Leben in der Freiheit wird jenen Urmenschen genußreich gewesen sein, so daß sie es vielleicht nicht mit unserer Stubenetvilisation vertauscht hätten. Schüt¬ telt doch der Wilde in Amerika den Kopf über den Ackerbauer, der sich täglich hinter dem Pflug, über den Handwerker, der in der Werkstatt sich abmüht, um die Mittel des Lebens zu gewinnen, während er dasselbe nicht genießt. War doch der Botokudenjüngltng. der als Knabe in einer brasilianischen Familie erzogen war, der auf einer Universität studirt hatte, so lange schwer- müthig, bis er wieder in seinen Wäldern nackt herumstreifte, und warf doch der in England von vornehmer Gesellschaft verhätschelte Feuerländer die Lack¬ stiefel und Handschuhe weg, als er wieder zu den Seinigen kam und seines Daseins wieder froh ward. Oskar Peschel erinnert an die Jndianerstämme, wie sie das Jenseits sich als Fortsetzung des Diesseits denken; der große Geist wird sie in wildreiche Gefilde versetzen. So hoffen die Neuseeländer heut, wie die Germanen vor zweitausend Jahren, aus Kampf bei Tag und abends Siegesfeier. Ihnen erscheint ihr Leben so glücklich, daß sie das künf¬ tige als eine Steigerung des gegenwärtigen denken. Aber wird es sich unser Arbeiter als meilenlange Garnmühle, unser Beamter als große Actenstube, unser Soldat als Kaserne träumen? „Wir alle sind Knechte der Gesellschaft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/451>, abgerufen am 28.07.2024.