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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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die im Weltplan angelegt sind. Das Individuum einer neuen Art ist stets
nur dadurch möglich, daß die Eltern etwas von ihnen Verschiedenes erzeugen, daß
im befruchteten Keim die Anlage eines vorher nicht vorhandenen Wesens gegeben
ist. Daß jedes Wesen seine Eltern nicht blos wiederholt, sondern etwas
Eigenthümliches ist, bahnt den Weg zur Weiterentwickelung der Arten, aber
sie vollzieht sich immer doch nur dadurch, daß einer noch nicht realisirten
Lebensidee die Möglichkeit zur Erscheinung geboten wird, daß die alldurch-
waltende Kraft der Natur die Eltern zu Organen macht, durch welche sie ein
neues Ziel erreicht, ein höheres Bildungsgesetz erfüllt. So macht nicht das
Niedere das Höhere, nicht die Affen den Menschen, sondern sie sind die Mittel,
kraft welcher und durch deren Vermittelung der Schöpserwille seine Gedanken
ausführt. Dies Zusammenwirken göttlich allgemeiner und geschöpflich indivi¬
dueller Thätigkeit bringt Geschichte in die Natur. Natur in die Geschichte;
dadurch haben wir keinen bloßen Kreislauf stets wiederholter gleicher Noth¬
wendigkeit, darum keine planlose Verwirrung immer sich ändernder Einzel¬
bestrebungen ; das Göttliche gibt aus seiner Wesenheit die Kraft, die Anlage,
und setzt das Ziel; am Natürlichen, Individuellen ist es nun durch eigene
Thätigkeit sich zu entwickeln, zu seiner Bestimmung sich emporzuarbeiten oder
auch in eine neue höhere Sphäre sich zu erheben, für welche die realen und
idealen Bedingungen bereit liegen, vorhanden sind für den Willen, der sie ergreift.

Einen fertigen Organismus wie den Menschen zu schaffen, ist völlig un¬
möglich, weil es dem Begriff des Organismus widerspricht, in welchem es
liegt, daß er durch eigene Kraft sich bildet, aus einfachem Keim sich entfaltet
und fortwährend das entfaltete Mannichfaltige in sich einigt. Nur die Zelle
also wäre zu schaffen, oder wäre im Zusammentreffen der sie bildenden Atome
gegeben, wie der Materialismus meint, indem er das Leben statt aus der
Lebenskraft, der Seele, lieber aus dem Todten durch einen Machtspruch her¬
vorbringt: aber die Zelle braucht eine neunmonatliche Entwickelung, eine be¬
stimmte Ernährung, eine mütterliche Hut, und die findet sie doch weit besser
im Leibe eines hochstehenden Thieres als im Meerschlamm oder im Koth;
El und befruchtende Zelle hochstehender Thiere, diese bereits organisirte Materie,
sind doch der geeignetere Stoff für die Menschenseele, um ihn zu durchdringen
und in ihm sich darzubieten, als der Erdenkloß, dem Jehova den Athem ein-
einbläst! Jene Thiere sind die Organe, die der Schöpfer verwendet um den
befruchteten Keim zu erhalten, der einer neuen Wesengattung die Möglichkeit
zur Verwirklichung bietet, und der Träger einer neuen Form oder Idee
wird; und dann liegt das Menschenkind an der Mutterbrust und empfängt
die nöthige Pflege bis es selbständig wird. Und es unterscheidet sich wohl
noch nicht viel von den Eltern, aber es trägt die Anlage zu all dem in sich'
was im Verlauf vieler Generationen sich zu dem Menschenleibe entwickeln


die im Weltplan angelegt sind. Das Individuum einer neuen Art ist stets
nur dadurch möglich, daß die Eltern etwas von ihnen Verschiedenes erzeugen, daß
im befruchteten Keim die Anlage eines vorher nicht vorhandenen Wesens gegeben
ist. Daß jedes Wesen seine Eltern nicht blos wiederholt, sondern etwas
Eigenthümliches ist, bahnt den Weg zur Weiterentwickelung der Arten, aber
sie vollzieht sich immer doch nur dadurch, daß einer noch nicht realisirten
Lebensidee die Möglichkeit zur Erscheinung geboten wird, daß die alldurch-
waltende Kraft der Natur die Eltern zu Organen macht, durch welche sie ein
neues Ziel erreicht, ein höheres Bildungsgesetz erfüllt. So macht nicht das
Niedere das Höhere, nicht die Affen den Menschen, sondern sie sind die Mittel,
kraft welcher und durch deren Vermittelung der Schöpserwille seine Gedanken
ausführt. Dies Zusammenwirken göttlich allgemeiner und geschöpflich indivi¬
dueller Thätigkeit bringt Geschichte in die Natur. Natur in die Geschichte;
dadurch haben wir keinen bloßen Kreislauf stets wiederholter gleicher Noth¬
wendigkeit, darum keine planlose Verwirrung immer sich ändernder Einzel¬
bestrebungen ; das Göttliche gibt aus seiner Wesenheit die Kraft, die Anlage,
und setzt das Ziel; am Natürlichen, Individuellen ist es nun durch eigene
Thätigkeit sich zu entwickeln, zu seiner Bestimmung sich emporzuarbeiten oder
auch in eine neue höhere Sphäre sich zu erheben, für welche die realen und
idealen Bedingungen bereit liegen, vorhanden sind für den Willen, der sie ergreift.

Einen fertigen Organismus wie den Menschen zu schaffen, ist völlig un¬
möglich, weil es dem Begriff des Organismus widerspricht, in welchem es
liegt, daß er durch eigene Kraft sich bildet, aus einfachem Keim sich entfaltet
und fortwährend das entfaltete Mannichfaltige in sich einigt. Nur die Zelle
also wäre zu schaffen, oder wäre im Zusammentreffen der sie bildenden Atome
gegeben, wie der Materialismus meint, indem er das Leben statt aus der
Lebenskraft, der Seele, lieber aus dem Todten durch einen Machtspruch her¬
vorbringt: aber die Zelle braucht eine neunmonatliche Entwickelung, eine be¬
stimmte Ernährung, eine mütterliche Hut, und die findet sie doch weit besser
im Leibe eines hochstehenden Thieres als im Meerschlamm oder im Koth;
El und befruchtende Zelle hochstehender Thiere, diese bereits organisirte Materie,
sind doch der geeignetere Stoff für die Menschenseele, um ihn zu durchdringen
und in ihm sich darzubieten, als der Erdenkloß, dem Jehova den Athem ein-
einbläst! Jene Thiere sind die Organe, die der Schöpfer verwendet um den
befruchteten Keim zu erhalten, der einer neuen Wesengattung die Möglichkeit
zur Verwirklichung bietet, und der Träger einer neuen Form oder Idee
wird; und dann liegt das Menschenkind an der Mutterbrust und empfängt
die nöthige Pflege bis es selbständig wird. Und es unterscheidet sich wohl
noch nicht viel von den Eltern, aber es trägt die Anlage zu all dem in sich'
was im Verlauf vieler Generationen sich zu dem Menschenleibe entwickeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/446>, abgerufen am 24.11.2024.