Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Hebilde der Menschenhand in der Urzeit.

Es steht nun fest, daß der Mensch viel älter ist, als man bis vor kurzem
glaubte, daß er noch ein Genosse von Thieren war, die nun untergegangen
sind, daß die Entwickelung zur Cultur sehr langsam geschah. Die Organis¬
men zeigen eine mit der fortschreitenden Erdbildung aufsteigende Reihe vom
Einfachen zum Reicheren, Vollkommneren, von der Zelle zum vielgliederigen
harmonischen Zellenbau. Das Anfängliche, Niedere ist die Grundlage aus
welcher das Höhere hervorgeht. Diese Ansicht einer zusammenhängenden Ent¬
wickelung des Ganzen, der bereits Kant, Herder und Goethe huldigten, hatte
für mich längst etwas Ansprechendes, ehe Darwin sie in den Mittelpunkt der
Naturforschung und des Zeitbewußtseins stellte, und ich begrüßte sie freudig,
da sie in der Veränderlichkeit und Vererbung, im Kampf ums Dasein und
in der natürlichen Zuchtwahl uns Hebel und Vermittelungswege aufzeigte,
kraft deren die Fortbildung sich verwirklicht und alles in der Natur natürlich
geschieht. Aber eine Entwickelung vollzieht sich von innen heraus nach ein¬
wohnenden Principien und ihre Bewegung geht in bestimmter Richtung, sie
hat ein Ziel, das liegt in ihrem Begriff; und wenn der Materialismus ohne
Princip und Zweck blos durch äußere Veränderung und eine Anpassung an
wechselnde Zustände der Außenwelt die Reihe der Organismen entstehen, sie
mehr von außen zurechtgedrückt, als von innen geformt werden läßt, so setzt
er zugleich den Zufall an die Stelle des Vernunstgesetzes und leiht einer
blinden Nothwendigkeit die Erfolge des sehenden ordnenden Geistes. Nach
meiner Ansicht ist es der innere Trieb lebendiger Wesen, welcher neue Formen
hervortreibt im Kampf mit der Außenwelt oder unter begünstigenden Be-
dingungen von außen, und diese Formen bestehen, wenn sie zweckmäßig sind,
wenn sie eins der Bildungsgesetze erfüllen, eine der idealen Typen ausführen'


Grenzboten II. 1876. 66
Hebilde der Menschenhand in der Urzeit.

Es steht nun fest, daß der Mensch viel älter ist, als man bis vor kurzem
glaubte, daß er noch ein Genosse von Thieren war, die nun untergegangen
sind, daß die Entwickelung zur Cultur sehr langsam geschah. Die Organis¬
men zeigen eine mit der fortschreitenden Erdbildung aufsteigende Reihe vom
Einfachen zum Reicheren, Vollkommneren, von der Zelle zum vielgliederigen
harmonischen Zellenbau. Das Anfängliche, Niedere ist die Grundlage aus
welcher das Höhere hervorgeht. Diese Ansicht einer zusammenhängenden Ent¬
wickelung des Ganzen, der bereits Kant, Herder und Goethe huldigten, hatte
für mich längst etwas Ansprechendes, ehe Darwin sie in den Mittelpunkt der
Naturforschung und des Zeitbewußtseins stellte, und ich begrüßte sie freudig,
da sie in der Veränderlichkeit und Vererbung, im Kampf ums Dasein und
in der natürlichen Zuchtwahl uns Hebel und Vermittelungswege aufzeigte,
kraft deren die Fortbildung sich verwirklicht und alles in der Natur natürlich
geschieht. Aber eine Entwickelung vollzieht sich von innen heraus nach ein¬
wohnenden Principien und ihre Bewegung geht in bestimmter Richtung, sie
hat ein Ziel, das liegt in ihrem Begriff; und wenn der Materialismus ohne
Princip und Zweck blos durch äußere Veränderung und eine Anpassung an
wechselnde Zustände der Außenwelt die Reihe der Organismen entstehen, sie
mehr von außen zurechtgedrückt, als von innen geformt werden läßt, so setzt
er zugleich den Zufall an die Stelle des Vernunstgesetzes und leiht einer
blinden Nothwendigkeit die Erfolge des sehenden ordnenden Geistes. Nach
meiner Ansicht ist es der innere Trieb lebendiger Wesen, welcher neue Formen
hervortreibt im Kampf mit der Außenwelt oder unter begünstigenden Be-
dingungen von außen, und diese Formen bestehen, wenn sie zweckmäßig sind,
wenn sie eins der Bildungsgesetze erfüllen, eine der idealen Typen ausführen'


Grenzboten II. 1876. 66
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0445" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136026"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hebilde der Menschenhand in der Urzeit.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1488" next="#ID_1489"> Es steht nun fest, daß der Mensch viel älter ist, als man bis vor kurzem<lb/>
glaubte, daß er noch ein Genosse von Thieren war, die nun untergegangen<lb/>
sind, daß die Entwickelung zur Cultur sehr langsam geschah. Die Organis¬<lb/>
men zeigen eine mit der fortschreitenden Erdbildung aufsteigende Reihe vom<lb/>
Einfachen zum Reicheren, Vollkommneren, von der Zelle zum vielgliederigen<lb/>
harmonischen Zellenbau. Das Anfängliche, Niedere ist die Grundlage aus<lb/>
welcher das Höhere hervorgeht. Diese Ansicht einer zusammenhängenden Ent¬<lb/>
wickelung des Ganzen, der bereits Kant, Herder und Goethe huldigten, hatte<lb/>
für mich längst etwas Ansprechendes, ehe Darwin sie in den Mittelpunkt der<lb/>
Naturforschung und des Zeitbewußtseins stellte, und ich begrüßte sie freudig,<lb/>
da sie in der Veränderlichkeit und Vererbung, im Kampf ums Dasein und<lb/>
in der natürlichen Zuchtwahl uns Hebel und Vermittelungswege aufzeigte,<lb/>
kraft deren die Fortbildung sich verwirklicht und alles in der Natur natürlich<lb/>
geschieht. Aber eine Entwickelung vollzieht sich von innen heraus nach ein¬<lb/>
wohnenden Principien und ihre Bewegung geht in bestimmter Richtung, sie<lb/>
hat ein Ziel, das liegt in ihrem Begriff; und wenn der Materialismus ohne<lb/>
Princip und Zweck blos durch äußere Veränderung und eine Anpassung an<lb/>
wechselnde Zustände der Außenwelt die Reihe der Organismen entstehen, sie<lb/>
mehr von außen zurechtgedrückt, als von innen geformt werden läßt, so setzt<lb/>
er zugleich den Zufall an die Stelle des Vernunstgesetzes und leiht einer<lb/>
blinden Nothwendigkeit die Erfolge des sehenden ordnenden Geistes. Nach<lb/>
meiner Ansicht ist es der innere Trieb lebendiger Wesen, welcher neue Formen<lb/>
hervortreibt im Kampf mit der Außenwelt oder unter begünstigenden Be-<lb/>
dingungen von außen, und diese Formen bestehen, wenn sie zweckmäßig sind,<lb/>
wenn sie eins der Bildungsgesetze erfüllen, eine der idealen Typen ausführen'</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1876. 66</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0445] Hebilde der Menschenhand in der Urzeit. Es steht nun fest, daß der Mensch viel älter ist, als man bis vor kurzem glaubte, daß er noch ein Genosse von Thieren war, die nun untergegangen sind, daß die Entwickelung zur Cultur sehr langsam geschah. Die Organis¬ men zeigen eine mit der fortschreitenden Erdbildung aufsteigende Reihe vom Einfachen zum Reicheren, Vollkommneren, von der Zelle zum vielgliederigen harmonischen Zellenbau. Das Anfängliche, Niedere ist die Grundlage aus welcher das Höhere hervorgeht. Diese Ansicht einer zusammenhängenden Ent¬ wickelung des Ganzen, der bereits Kant, Herder und Goethe huldigten, hatte für mich längst etwas Ansprechendes, ehe Darwin sie in den Mittelpunkt der Naturforschung und des Zeitbewußtseins stellte, und ich begrüßte sie freudig, da sie in der Veränderlichkeit und Vererbung, im Kampf ums Dasein und in der natürlichen Zuchtwahl uns Hebel und Vermittelungswege aufzeigte, kraft deren die Fortbildung sich verwirklicht und alles in der Natur natürlich geschieht. Aber eine Entwickelung vollzieht sich von innen heraus nach ein¬ wohnenden Principien und ihre Bewegung geht in bestimmter Richtung, sie hat ein Ziel, das liegt in ihrem Begriff; und wenn der Materialismus ohne Princip und Zweck blos durch äußere Veränderung und eine Anpassung an wechselnde Zustände der Außenwelt die Reihe der Organismen entstehen, sie mehr von außen zurechtgedrückt, als von innen geformt werden läßt, so setzt er zugleich den Zufall an die Stelle des Vernunstgesetzes und leiht einer blinden Nothwendigkeit die Erfolge des sehenden ordnenden Geistes. Nach meiner Ansicht ist es der innere Trieb lebendiger Wesen, welcher neue Formen hervortreibt im Kampf mit der Außenwelt oder unter begünstigenden Be- dingungen von außen, und diese Formen bestehen, wenn sie zweckmäßig sind, wenn sie eins der Bildungsgesetze erfüllen, eine der idealen Typen ausführen' Grenzboten II. 1876. 66

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/445
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/445>, abgerufen am 27.11.2024.