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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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wenn auch nicht von Herrn v. Diest, doch so deutlich und oft in der Presse be¬
nannt worden, daß die Chefredaction, eventuell der Eigenthümer des Blattes,
ihn entweder nöthigen muß, sich offen zu vertheidigen, da er selbst hartnäckig
schweigt und deshalb in einem in Berlin verbreiteten Gedichte als Schweiger
verhöhnt wird, oder aber ihn wird zu entlassen haben. Eins von diesen
beiden zu thun muß die Rat. Ztg. von ihrer Partei oder der Presse genöthigt
werden. Es kann diesem Blatte vielleicht recht unlieb sein, sich mit einem
principiellen Gegner vor dem Dreimännergerichte herumziehen zu müssen,
ohne verhindern zu können, daß der Gegner noch andere nicht streng zur
Sache gehörige Dinge berühre; es muß sich aber mit dem Bewußtsein ge¬
nügen lassen, damit in Betreff eines Hauptpunktes des Wahlprogrammes
der Gegner den liberalen Standpunkt zu verfechten.

Wie dringlich eine Einmischung Seitens der nationalliberalen Partei
oder der Presse in der angegebenen Weise ist, geht u. A. daraus hervor, daß
in Folge der Zurückhaltung der Rat.-Ztg. in der öffentlichen Meinung
der Stab über sie fast schon gebrochen erscheint; denn am 28. März d. I.
hat Laster im Abgeordnetenhause sich in solcher Weise verurtheilend über
Börsenjournalisten, welche an politischen Blättern arbeiten, vernehmen lassen,
daß es sich nur auf die Rat. Z. beziehen konnte und, wie die "Staatsbürger
Ztg." v. 20 Mai d. I. constatirt, gedeutet worden ist; ferner sprach die
Kreuz-Ztg. v. 26. April d. I. von dem "moralischen Stoß", welchen die
Rat.-Ztg. erhalten habe, als von einer feststehenden Thatsache und suchte in
ihrem für die Altconservativen aufgestellten neuen Programme dies zum
Nachtheil der nationalliberalen Partei bei den Wahlen zu verwerthen; um
endlich auch ein Zeugniß von einer dritten Parteirichtung anzuführen, so
richtete die "Staatsbürger-Ztg" am 20. Mai d. I. an den Verein "Berliner
Presse" die Frage, ob er das gegen die journalistische Thätigkeit des
Dr. Schweitzer, seines Vorstandsmitglieds, "angehäufte Anklagematerial" geprüft
und "nach Befund seine Pflicht in dem Sinne thun werde, welchen seine
Traditionen vorschreiben." Eine Einmischung obiger Art durch den Journa¬
listentag würde für die Wahlen wohl zu spät kommen; vorläufig könnte aber
dessen Ausschuß auftreten, wenn auch die Rat.-Z. selbst in demselben sitzt.
Vor Allem müßte der nationalliberale Ausschuß der Abgeordneten in Berlin sich
rühren. Der Rat.-Z. bietet sich noch eine Gelegenheit, Versäumtes nachzu¬
holen, da vor Kurzem der preußische Justizminister auf Antrag v. Diest's
entschieden hat, daß die vom berliner Stadtgericht im Juni v. I. abgekehrte
Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Rat.-Z. wegen Nichtabnahme
einer Berichtigung doch erhoben werde. Diest hatte nämlich den von der
Rat.-Z. gebrachten Bericht über seine im landwirthschaftlichen Congresse vor¬
gebrachten Angriffe berichtigen wollen; nach der damaligen Darstellung der


wenn auch nicht von Herrn v. Diest, doch so deutlich und oft in der Presse be¬
nannt worden, daß die Chefredaction, eventuell der Eigenthümer des Blattes,
ihn entweder nöthigen muß, sich offen zu vertheidigen, da er selbst hartnäckig
schweigt und deshalb in einem in Berlin verbreiteten Gedichte als Schweiger
verhöhnt wird, oder aber ihn wird zu entlassen haben. Eins von diesen
beiden zu thun muß die Rat. Ztg. von ihrer Partei oder der Presse genöthigt
werden. Es kann diesem Blatte vielleicht recht unlieb sein, sich mit einem
principiellen Gegner vor dem Dreimännergerichte herumziehen zu müssen,
ohne verhindern zu können, daß der Gegner noch andere nicht streng zur
Sache gehörige Dinge berühre; es muß sich aber mit dem Bewußtsein ge¬
nügen lassen, damit in Betreff eines Hauptpunktes des Wahlprogrammes
der Gegner den liberalen Standpunkt zu verfechten.

Wie dringlich eine Einmischung Seitens der nationalliberalen Partei
oder der Presse in der angegebenen Weise ist, geht u. A. daraus hervor, daß
in Folge der Zurückhaltung der Rat.-Ztg. in der öffentlichen Meinung
der Stab über sie fast schon gebrochen erscheint; denn am 28. März d. I.
hat Laster im Abgeordnetenhause sich in solcher Weise verurtheilend über
Börsenjournalisten, welche an politischen Blättern arbeiten, vernehmen lassen,
daß es sich nur auf die Rat. Z. beziehen konnte und, wie die „Staatsbürger
Ztg." v. 20 Mai d. I. constatirt, gedeutet worden ist; ferner sprach die
Kreuz-Ztg. v. 26. April d. I. von dem „moralischen Stoß", welchen die
Rat.-Ztg. erhalten habe, als von einer feststehenden Thatsache und suchte in
ihrem für die Altconservativen aufgestellten neuen Programme dies zum
Nachtheil der nationalliberalen Partei bei den Wahlen zu verwerthen; um
endlich auch ein Zeugniß von einer dritten Parteirichtung anzuführen, so
richtete die „Staatsbürger-Ztg" am 20. Mai d. I. an den Verein „Berliner
Presse" die Frage, ob er das gegen die journalistische Thätigkeit des
Dr. Schweitzer, seines Vorstandsmitglieds, „angehäufte Anklagematerial" geprüft
und „nach Befund seine Pflicht in dem Sinne thun werde, welchen seine
Traditionen vorschreiben." Eine Einmischung obiger Art durch den Journa¬
listentag würde für die Wahlen wohl zu spät kommen; vorläufig könnte aber
dessen Ausschuß auftreten, wenn auch die Rat.-Z. selbst in demselben sitzt.
Vor Allem müßte der nationalliberale Ausschuß der Abgeordneten in Berlin sich
rühren. Der Rat.-Z. bietet sich noch eine Gelegenheit, Versäumtes nachzu¬
holen, da vor Kurzem der preußische Justizminister auf Antrag v. Diest's
entschieden hat, daß die vom berliner Stadtgericht im Juni v. I. abgekehrte
Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Rat.-Z. wegen Nichtabnahme
einer Berichtigung doch erhoben werde. Diest hatte nämlich den von der
Rat.-Z. gebrachten Bericht über seine im landwirthschaftlichen Congresse vor¬
gebrachten Angriffe berichtigen wollen; nach der damaligen Darstellung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/440>, abgerufen am 27.07.2024.