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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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und gedrungen, dabei sind aber die Verhältnisse außerordentlich glücklich und
harmonisch." So urtheilt unser sachverständiger Freund, der hier mehr zum
Worte berufen ist, als wir.

Der Adler, welcher den Giebel ziert und die Löwen, die an den Ecken
des oberen und unteren Daches eine menschliche Gestalt umklammern, werden
auf sinnvolle Weise in den Bereich der Sage hereingezogen. Nach ihr ward
die Kirche durch einen Grafen von Sälen erbaut, dem ein Wolf alle seine
Kinder zerrissen, und ein Klausner geweissagt hatte, er werde neue Erben
gewinnen, wenn er an jener Stelle ein Gotteshaus errichte, wo sich ein Adler
vor ihm niederließ. Auch an die Verwüstungen des 30jährigen Krieges knüpft
das Volk einen eigenthümlichen Glauben; damals soll jener Wunderbau
gegen die Wuth der Zerstörer durch Engel vertheidigt worden sein.

Im Canton Rosheim am Eingang des Breuschthals liegt die große
Ruine Girbaden. Sie ist eine der bedeutendsten, ja nach Hofkönigsburg wohl
die mächtigste im Elsaß, und auch die Geschlechter, die wir im Besitze derselben
finden, zählen zu den hervorragendsten im Lande. Trotz der Zerstörung ge¬
wahrt man noch jetzt sehr deutlich die Theile der alten Burg, die Wohn¬
gebäude, die Citadelle und das kleine Kirchlein, das dem heiligen Valentin
geweiht ist. Dieser Heilige genießt in den Thälern der Breusch besondere
Verehrung, er war es der einst dem Teufel entgegentrat, als er die Kapelle
in Girbaden mit einem Felsstück zerschmettern wollte.

Merkwürdig ist es, daß wir über den Untergang eines so hochberühmten
Schlosses fast keine historischen Anhaltspunkte haben, um so thätiger war
natürlich die Sage in ihrer Erfindung. Nach dem Glauben des Volkes
sind es Lothringer Soldaten gewesen, die das Schloß überfielen, durch den
Verrath eines Dieners ward ihnen das Thor geöffnet.

So meldet uns Stöber in seinem schönen Buche und darauf bezieht sich
auch das geisterhafte Gericht, das alljährlich am Haslacher Meßtag da droben
in den Ruinen gehalten wird.

"Um Mitternacht" (heißt es bei den Bewohnern der Nachbarschaft) er¬
hebt sich der Burgvogt aus seinem Grabe und eilt durch alle Gänge und
Zimmer des Schlosses, das Ingesinde aufzuwecken und zur Rache zu rufen.
Vier Diener steigen sodann in ein jetzt zum Theil verschüttetes Gewölbe und
tragen den Sarg der Gräfin von Girbaden herauf, bald sammeln sich um
denselben alle Geister der damaligen Bewohner des Schlosses. Der Burgvogt
mit hohlen funkelnden Augen und frisch blutenden Wunden am Leibe, tritt
an ihre Spitze. Nun wird der verrätherische Knecht, in ein rothes Hemd ge.
hüllt, herbeigeschleppt. In seiner Hand trägt er den Schlüssel zur Pforte,
durch welche er einst die lotharingischen Soldaten ins Schloß geführt.

Nun beginnt das Gericht. Er wird verhört; sucht sich zu vertheidigen


und gedrungen, dabei sind aber die Verhältnisse außerordentlich glücklich und
harmonisch." So urtheilt unser sachverständiger Freund, der hier mehr zum
Worte berufen ist, als wir.

Der Adler, welcher den Giebel ziert und die Löwen, die an den Ecken
des oberen und unteren Daches eine menschliche Gestalt umklammern, werden
auf sinnvolle Weise in den Bereich der Sage hereingezogen. Nach ihr ward
die Kirche durch einen Grafen von Sälen erbaut, dem ein Wolf alle seine
Kinder zerrissen, und ein Klausner geweissagt hatte, er werde neue Erben
gewinnen, wenn er an jener Stelle ein Gotteshaus errichte, wo sich ein Adler
vor ihm niederließ. Auch an die Verwüstungen des 30jährigen Krieges knüpft
das Volk einen eigenthümlichen Glauben; damals soll jener Wunderbau
gegen die Wuth der Zerstörer durch Engel vertheidigt worden sein.

Im Canton Rosheim am Eingang des Breuschthals liegt die große
Ruine Girbaden. Sie ist eine der bedeutendsten, ja nach Hofkönigsburg wohl
die mächtigste im Elsaß, und auch die Geschlechter, die wir im Besitze derselben
finden, zählen zu den hervorragendsten im Lande. Trotz der Zerstörung ge¬
wahrt man noch jetzt sehr deutlich die Theile der alten Burg, die Wohn¬
gebäude, die Citadelle und das kleine Kirchlein, das dem heiligen Valentin
geweiht ist. Dieser Heilige genießt in den Thälern der Breusch besondere
Verehrung, er war es der einst dem Teufel entgegentrat, als er die Kapelle
in Girbaden mit einem Felsstück zerschmettern wollte.

Merkwürdig ist es, daß wir über den Untergang eines so hochberühmten
Schlosses fast keine historischen Anhaltspunkte haben, um so thätiger war
natürlich die Sage in ihrer Erfindung. Nach dem Glauben des Volkes
sind es Lothringer Soldaten gewesen, die das Schloß überfielen, durch den
Verrath eines Dieners ward ihnen das Thor geöffnet.

So meldet uns Stöber in seinem schönen Buche und darauf bezieht sich
auch das geisterhafte Gericht, das alljährlich am Haslacher Meßtag da droben
in den Ruinen gehalten wird.

„Um Mitternacht" (heißt es bei den Bewohnern der Nachbarschaft) er¬
hebt sich der Burgvogt aus seinem Grabe und eilt durch alle Gänge und
Zimmer des Schlosses, das Ingesinde aufzuwecken und zur Rache zu rufen.
Vier Diener steigen sodann in ein jetzt zum Theil verschüttetes Gewölbe und
tragen den Sarg der Gräfin von Girbaden herauf, bald sammeln sich um
denselben alle Geister der damaligen Bewohner des Schlosses. Der Burgvogt
mit hohlen funkelnden Augen und frisch blutenden Wunden am Leibe, tritt
an ihre Spitze. Nun wird der verrätherische Knecht, in ein rothes Hemd ge.
hüllt, herbeigeschleppt. In seiner Hand trägt er den Schlüssel zur Pforte,
durch welche er einst die lotharingischen Soldaten ins Schloß geführt.

Nun beginnt das Gericht. Er wird verhört; sucht sich zu vertheidigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/433>, abgerufen am 27.07.2024.