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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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wenn er hinausritt durch den lichten Morgen nach Sesenheim; wo die Ge¬
liebte seiner harrte.

Noch mancher Pilger, den diese Stätte der Poesie begeistert, geht jetzt
die nämlichen Wege. Man kommt zuerst nach Bischweiler, in ein kleines
Städtchen, das nördlich von Straßburg liegt und sich allmälig um den Meier¬
hof gebildet hatte, den die Bischöfe dort besaßen. Dafür hieß auch sein älterer
Name Bischofsweiler. Später wurde ein Schloß dort gegründet und nach
manchen Wechselfällen gewannen die Herzoge von Zweibrücken den Ort, der
nun rasch einen blühenden Aufschwung nahm. Sämmtliche Musikanten von
Unter-Elsaß kamen hier im August zusammen, um das Fest Unserer Frau
-von Dusenbach zu begehen (ähnlich wie man den Pfeifertag in Rappolts-
weiler beging), Handel und Verkehr wuchsen mit jedem Tage und eine gro߬
artige Industrie begann sich in unserem Jahrhundert zu entwickeln.

Von Bischweiler führt der Weg über Drusenheim, (das seinen Namen
aber nicht von Drusus trägt, der "fünfzig Schlösser" im Elsaß baute) und
von da geht es über grüne Fluren nach jenen Höhen, wo Sesenheim selber
gelegen ist. Es fehlt dem kleinen Dorfe nicht an historischer Bedeutung, im
dreißigjährigen, wie im österreichischen Erbfolge-Krieg war es der Schauplatz
blutiger Thaten, allein dies alles ist vergessen neben dem poetischen Schimmer,
den die Muse über diesen Namen gebreitet. Hier war Friederike Brion da¬
heim, die lieblichste und sicher die rührendste aller Frauen gestalten Goethe's,
hier blüht noch heute der alte Fltederbaum, unter dem sie einst mit ihm ge¬
sessen, nach seinen Plänen ward das stille Pfarrhaus gebaut, das uns jetzt
willkommen heißt.

Der Bau stammt aus dem Jahre 1835 und liegt ganz nahe an der
Kirche, davor blüht ein schmucker Garten, während wir in der hellen Stube
von Bildern umgeben sind, die der Erinnerung an jene Zeiten dienen. Nichts
was man merkwürdig, bedeutend oder auch nur originell nennen könnte, tritt
uns hier vor Augen, die duftenden Sträuche und das Immergrün zu den
Seiten des Weges, der alte Zaun mit seinen Pfeilern, und die braune Scheuer
-- das sieht sich so alltäglich an. das Alles liegt so klein und schmucklos
beisammen, wie wir's in tausend stillen Wohnstätten finden. Und doch wird
uns so seltsam hier zu Muthe, wie es uns vor den stolzesten Palästen nicht
geworden; ein Zug von Rührung, ein Gefühl von Weihe erfaßt uns. Vor
uns sieht das jugendfrohe Glück, das zwei Menschen hier getheilt, vor uns
steht das Bild eines Mädchens, das einsam der vergangenen Tage denkt und
keinen andern mehr lieben kann, weil sie Goethe geliebt. Dies Herzensgeschick
ist das stille waltende Geheimniß der Scholle auf der wir weilen, gerade die
unendliche Einfachheit der Begebenheiten ist es, die uns den seelischen Gehalt
in der Geschichte Friederikens am tiefsten empfinden läßt. Und in gleichem


wenn er hinausritt durch den lichten Morgen nach Sesenheim; wo die Ge¬
liebte seiner harrte.

Noch mancher Pilger, den diese Stätte der Poesie begeistert, geht jetzt
die nämlichen Wege. Man kommt zuerst nach Bischweiler, in ein kleines
Städtchen, das nördlich von Straßburg liegt und sich allmälig um den Meier¬
hof gebildet hatte, den die Bischöfe dort besaßen. Dafür hieß auch sein älterer
Name Bischofsweiler. Später wurde ein Schloß dort gegründet und nach
manchen Wechselfällen gewannen die Herzoge von Zweibrücken den Ort, der
nun rasch einen blühenden Aufschwung nahm. Sämmtliche Musikanten von
Unter-Elsaß kamen hier im August zusammen, um das Fest Unserer Frau
-von Dusenbach zu begehen (ähnlich wie man den Pfeifertag in Rappolts-
weiler beging), Handel und Verkehr wuchsen mit jedem Tage und eine gro߬
artige Industrie begann sich in unserem Jahrhundert zu entwickeln.

Von Bischweiler führt der Weg über Drusenheim, (das seinen Namen
aber nicht von Drusus trägt, der „fünfzig Schlösser" im Elsaß baute) und
von da geht es über grüne Fluren nach jenen Höhen, wo Sesenheim selber
gelegen ist. Es fehlt dem kleinen Dorfe nicht an historischer Bedeutung, im
dreißigjährigen, wie im österreichischen Erbfolge-Krieg war es der Schauplatz
blutiger Thaten, allein dies alles ist vergessen neben dem poetischen Schimmer,
den die Muse über diesen Namen gebreitet. Hier war Friederike Brion da¬
heim, die lieblichste und sicher die rührendste aller Frauen gestalten Goethe's,
hier blüht noch heute der alte Fltederbaum, unter dem sie einst mit ihm ge¬
sessen, nach seinen Plänen ward das stille Pfarrhaus gebaut, das uns jetzt
willkommen heißt.

Der Bau stammt aus dem Jahre 1835 und liegt ganz nahe an der
Kirche, davor blüht ein schmucker Garten, während wir in der hellen Stube
von Bildern umgeben sind, die der Erinnerung an jene Zeiten dienen. Nichts
was man merkwürdig, bedeutend oder auch nur originell nennen könnte, tritt
uns hier vor Augen, die duftenden Sträuche und das Immergrün zu den
Seiten des Weges, der alte Zaun mit seinen Pfeilern, und die braune Scheuer
— das sieht sich so alltäglich an. das Alles liegt so klein und schmucklos
beisammen, wie wir's in tausend stillen Wohnstätten finden. Und doch wird
uns so seltsam hier zu Muthe, wie es uns vor den stolzesten Palästen nicht
geworden; ein Zug von Rührung, ein Gefühl von Weihe erfaßt uns. Vor
uns sieht das jugendfrohe Glück, das zwei Menschen hier getheilt, vor uns
steht das Bild eines Mädchens, das einsam der vergangenen Tage denkt und
keinen andern mehr lieben kann, weil sie Goethe geliebt. Dies Herzensgeschick
ist das stille waltende Geheimniß der Scholle auf der wir weilen, gerade die
unendliche Einfachheit der Begebenheiten ist es, die uns den seelischen Gehalt
in der Geschichte Friederikens am tiefsten empfinden läßt. Und in gleichem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/430>, abgerufen am 27.07.2024.