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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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wie meine Familie auf einem Flosse, das sie sich aus dem Kleiderrechen, einigen
Bettstellen und etlichen Pastetenbretern construirt hat, im Eßzimmer herum¬
schwimmt, die Regierung für welche Washington starb, eine fehlgeschlagene
Schöpfung ist.

Oder nehmen wir an, daß unser Freund im Wetteramte behauptet, an
einem bestimmten Tage werde sicher ein Gewitter die Gegend des Landes
heimsuchen, in welcher ich wohne. Ich glaube ihm. Ich hole meine Blitzab¬
leiter heraus, Schnalle sie an die Schornsteine, setze sie rings um das Dach,
pflanze sie draußen im Hofe auf und riete sie an die Dienstmagd. Und ich
lege meine Familie sicher in Federbetten, die mitten in die Stube gerückt sind,
und trinke alle Milch in der Nachbarschaft aus und bewege den Steuerein¬
nehmer, hinzugehen und sich ein paar Stunden unter einen Baum zu stellen,
wo er beinahe sicher sein kann, vom Blitze getroffen zu werden. Und wenn alle
diese Vorkehrungen vollständig getroffen sind, so daß ich mich dem geweissag-
ten Ereignisse gewachsen fühle, was dann, wenn das Gewitter nun nicht
kommt? Wenn ich sehen muß, wie dieser Steuereinnehmer unter seinem Baume
hervorspringt und mein Eigenthum abzuschätzen beginnt, wobei er alle diese
Blitzableiter doppelt so hoch berechnet, als ihre Kosten betragen, ist es da zu
verwundern, daß ich mich hinsetze und nach einem verantwortlichen Despoten
seufze, der uns einen Wahrscheinlichkeitsmann giebt, welcher das Thema des
Wetters gleichsam in gedrängteren Style anfaßt.

Aber ich verlor alles Vertrauen zu jenem, nach der schlechten Behand¬
lung, die er Cooley zu Theil werden ließ. Er hatte gesagt, daß an einem
gewissen Morgen ein Wirbelsturm über unsere Gegend hinsegelt würde, und
Cooley fühlte sich durch die Aussicht auf dieses Naturereignis^ so beunruhigt,
daß er gründliche Vorbereitungen zum Empfang des Sturmes traf. Er stand
vor Tagesanbruch auf und begab sich mitten in seinen Garten, wo er sich
die Taschen mit Bleibarren füllte, sich an den Apfelbaum ankettete und sich
den Kessel, in welchem seine Frau ihr Eingemachtes bereitete, mit einer Hunde¬
kette über dem Kopfe befestigte, damit ihm die Haare nicht abgeweht würden.
Cooley verblieb dort bis fünf Uhr Nachmittags und wartete, bis der Samum
ihn umHeulen würde. Aber die Sache mißglückte -- mißglückte in schmach¬
voller Weise. Und als Cooley am Nachmittag unter dem Kessel hervorlugte,
war er überrascht, zu bemerken, daß eine Menge Männer und Knaben am
Zaune standen, die ihn mit gespanntem Interesse beobachteten. Dann be¬
gannen die Jungen durch die Finger zu pfeifen und unangenehme Bemer¬
kungen zu machen, und schließlich sah Cooley sich gezwungen, sich loßzureißen
und ins Haus zu gehen, um sich der Verhaftung durch einen Polizeidiener
wegen Verrücktheit zu entziehen. Das ist aber durchaus nicht in der Ord¬
nung. Man sollte mit den Gefühlen eines amerikanischen Bürgers nicht in


wie meine Familie auf einem Flosse, das sie sich aus dem Kleiderrechen, einigen
Bettstellen und etlichen Pastetenbretern construirt hat, im Eßzimmer herum¬
schwimmt, die Regierung für welche Washington starb, eine fehlgeschlagene
Schöpfung ist.

Oder nehmen wir an, daß unser Freund im Wetteramte behauptet, an
einem bestimmten Tage werde sicher ein Gewitter die Gegend des Landes
heimsuchen, in welcher ich wohne. Ich glaube ihm. Ich hole meine Blitzab¬
leiter heraus, Schnalle sie an die Schornsteine, setze sie rings um das Dach,
pflanze sie draußen im Hofe auf und riete sie an die Dienstmagd. Und ich
lege meine Familie sicher in Federbetten, die mitten in die Stube gerückt sind,
und trinke alle Milch in der Nachbarschaft aus und bewege den Steuerein¬
nehmer, hinzugehen und sich ein paar Stunden unter einen Baum zu stellen,
wo er beinahe sicher sein kann, vom Blitze getroffen zu werden. Und wenn alle
diese Vorkehrungen vollständig getroffen sind, so daß ich mich dem geweissag-
ten Ereignisse gewachsen fühle, was dann, wenn das Gewitter nun nicht
kommt? Wenn ich sehen muß, wie dieser Steuereinnehmer unter seinem Baume
hervorspringt und mein Eigenthum abzuschätzen beginnt, wobei er alle diese
Blitzableiter doppelt so hoch berechnet, als ihre Kosten betragen, ist es da zu
verwundern, daß ich mich hinsetze und nach einem verantwortlichen Despoten
seufze, der uns einen Wahrscheinlichkeitsmann giebt, welcher das Thema des
Wetters gleichsam in gedrängteren Style anfaßt.

Aber ich verlor alles Vertrauen zu jenem, nach der schlechten Behand¬
lung, die er Cooley zu Theil werden ließ. Er hatte gesagt, daß an einem
gewissen Morgen ein Wirbelsturm über unsere Gegend hinsegelt würde, und
Cooley fühlte sich durch die Aussicht auf dieses Naturereignis^ so beunruhigt,
daß er gründliche Vorbereitungen zum Empfang des Sturmes traf. Er stand
vor Tagesanbruch auf und begab sich mitten in seinen Garten, wo er sich
die Taschen mit Bleibarren füllte, sich an den Apfelbaum ankettete und sich
den Kessel, in welchem seine Frau ihr Eingemachtes bereitete, mit einer Hunde¬
kette über dem Kopfe befestigte, damit ihm die Haare nicht abgeweht würden.
Cooley verblieb dort bis fünf Uhr Nachmittags und wartete, bis der Samum
ihn umHeulen würde. Aber die Sache mißglückte — mißglückte in schmach¬
voller Weise. Und als Cooley am Nachmittag unter dem Kessel hervorlugte,
war er überrascht, zu bemerken, daß eine Menge Männer und Knaben am
Zaune standen, die ihn mit gespanntem Interesse beobachteten. Dann be¬
gannen die Jungen durch die Finger zu pfeifen und unangenehme Bemer¬
kungen zu machen, und schließlich sah Cooley sich gezwungen, sich loßzureißen
und ins Haus zu gehen, um sich der Verhaftung durch einen Polizeidiener
wegen Verrücktheit zu entziehen. Das ist aber durchaus nicht in der Ord¬
nung. Man sollte mit den Gefühlen eines amerikanischen Bürgers nicht in


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[0423] wie meine Familie auf einem Flosse, das sie sich aus dem Kleiderrechen, einigen Bettstellen und etlichen Pastetenbretern construirt hat, im Eßzimmer herum¬ schwimmt, die Regierung für welche Washington starb, eine fehlgeschlagene Schöpfung ist. Oder nehmen wir an, daß unser Freund im Wetteramte behauptet, an einem bestimmten Tage werde sicher ein Gewitter die Gegend des Landes heimsuchen, in welcher ich wohne. Ich glaube ihm. Ich hole meine Blitzab¬ leiter heraus, Schnalle sie an die Schornsteine, setze sie rings um das Dach, pflanze sie draußen im Hofe auf und riete sie an die Dienstmagd. Und ich lege meine Familie sicher in Federbetten, die mitten in die Stube gerückt sind, und trinke alle Milch in der Nachbarschaft aus und bewege den Steuerein¬ nehmer, hinzugehen und sich ein paar Stunden unter einen Baum zu stellen, wo er beinahe sicher sein kann, vom Blitze getroffen zu werden. Und wenn alle diese Vorkehrungen vollständig getroffen sind, so daß ich mich dem geweissag- ten Ereignisse gewachsen fühle, was dann, wenn das Gewitter nun nicht kommt? Wenn ich sehen muß, wie dieser Steuereinnehmer unter seinem Baume hervorspringt und mein Eigenthum abzuschätzen beginnt, wobei er alle diese Blitzableiter doppelt so hoch berechnet, als ihre Kosten betragen, ist es da zu verwundern, daß ich mich hinsetze und nach einem verantwortlichen Despoten seufze, der uns einen Wahrscheinlichkeitsmann giebt, welcher das Thema des Wetters gleichsam in gedrängteren Style anfaßt. Aber ich verlor alles Vertrauen zu jenem, nach der schlechten Behand¬ lung, die er Cooley zu Theil werden ließ. Er hatte gesagt, daß an einem gewissen Morgen ein Wirbelsturm über unsere Gegend hinsegelt würde, und Cooley fühlte sich durch die Aussicht auf dieses Naturereignis^ so beunruhigt, daß er gründliche Vorbereitungen zum Empfang des Sturmes traf. Er stand vor Tagesanbruch auf und begab sich mitten in seinen Garten, wo er sich die Taschen mit Bleibarren füllte, sich an den Apfelbaum ankettete und sich den Kessel, in welchem seine Frau ihr Eingemachtes bereitete, mit einer Hunde¬ kette über dem Kopfe befestigte, damit ihm die Haare nicht abgeweht würden. Cooley verblieb dort bis fünf Uhr Nachmittags und wartete, bis der Samum ihn umHeulen würde. Aber die Sache mißglückte — mißglückte in schmach¬ voller Weise. Und als Cooley am Nachmittag unter dem Kessel hervorlugte, war er überrascht, zu bemerken, daß eine Menge Männer und Knaben am Zaune standen, die ihn mit gespanntem Interesse beobachteten. Dann be¬ gannen die Jungen durch die Finger zu pfeifen und unangenehme Bemer¬ kungen zu machen, und schließlich sah Cooley sich gezwungen, sich loßzureißen und ins Haus zu gehen, um sich der Verhaftung durch einen Polizeidiener wegen Verrücktheit zu entziehen. Das ist aber durchaus nicht in der Ord¬ nung. Man sollte mit den Gefühlen eines amerikanischen Bürgers nicht in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/423>, abgerufen am 28.07.2024.