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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Kanne und ein Kantor reinem sich Wohl zusammen," "Sieben böse Geister",
so heißt der Titel einer 154V erschienenen Schrift, "welche heutiges Tags
gemeiniglich den Küster oder sogenannten Dorfschulmeister regieren, als der
stolze, der faule, der grobe, der falsche, der böse, der nasse, der dumme
Teufel".

Der Gutsherr that in der Regel auch nicht, was er dem Pfarrer zu
thun schuldig war. Der Dorfschulz suchte ihm sein Einkommen zu beschnei¬
den, und so war die materielle Lage der Geistlichen, nachdem die Fürsten den
größten Theil des Kirchenvermögens an sich gerissen hatten, an vielen Orten
eine klägliche und Mangel am nothwendigsten in ihren Häusern nichts Un¬
gewöhnliches. Endlich standen die Dorfgeistlichen einer sittlich tief verwahr¬
losten , stumpfen und rohen Bauernschaft gegenüber. Aus der Vorrede zum
kleinen Katechismus ersehen wir, daß Luther bei der großen Kirchenvisttation
in Sachsen auf dem Lande ein Volk fand, welches "wie das liebe Vieh und
unvernünftige Säue" hinlebte, und Calinich berichtet nach den Quellen, "daß
Viele ganz kalt und säumig in der Religion, an vier, fünf Sonntagen, ja
in einem halben Jahr nicht zur Kirche kamen und in fünf, sechs Jahren
nicht das Sacrament empfingen. Der ärgste Unfug wurde oft während des
Gottesdienstes getrieben. Ueberall war über Störung der Predigt und Mi߬
handlung der Geistlichen zu klagen." Man erlaubte sich, ihnen, während sie
auf der Kanzel standen, laut zu widersprechen, man schloß mitten unter der
Predigt einen Plauderkreis in der Kirche und unterhielt sich wie im Wirths¬
hause. Ja, die Bauern brachten Bierkruge mit und tranken einander zu.
Pastoren, welche sich das nicht gefallen ließen, oder welche das unchristliche
Leben gewisser Personen von der Kanzel herab straften, mußten dieß häufig
schon auf dem Heimwege aus der Kirche büßen; denn "oft wurde an die
Priester und Seelsorger mit Raufen, Schlagen und dergleichen gewaltig
Hand gelegt."

Wie von Seiten der Regierungen durch Kirchenvisitationen, Einsetzung
von Superintendenten und Errichtung von Consistorien, durch Erbauung von
Pfarrhäusern und Sorge für eine regelmäßige, wenn auch meist kärgliche Be¬
soldung der Geistlichen diese traurigen Zustände allmählich beseitigt worden
sind und der evangelische Clerus gehoben worden .ist, kann hier nicht aus¬
führlich gezeigt werden, und auch aus die Rückfälle in die alte Barbarei,
welche der dreißigjährige Krieg im Gefolge hatte, kann ich nicht eingehen.
Es genüge, wenn ich sage, daß vor etwa hundert Jahren die Verhältnisse
sich im wesentlichen so gestaltet hatten, wie sie heute sind, ausgenommen in
gewissen Theilen Deutschlands, wo entweder die Kleinstaaterei oder der Krumm¬
stab geistlicher Fürsten auf die Zustände gewirkt hatten.

Am schlimmsten stand es am Rhein und hier wieder am Traurigsten


Kanne und ein Kantor reinem sich Wohl zusammen," „Sieben böse Geister",
so heißt der Titel einer 154V erschienenen Schrift, „welche heutiges Tags
gemeiniglich den Küster oder sogenannten Dorfschulmeister regieren, als der
stolze, der faule, der grobe, der falsche, der böse, der nasse, der dumme
Teufel".

Der Gutsherr that in der Regel auch nicht, was er dem Pfarrer zu
thun schuldig war. Der Dorfschulz suchte ihm sein Einkommen zu beschnei¬
den, und so war die materielle Lage der Geistlichen, nachdem die Fürsten den
größten Theil des Kirchenvermögens an sich gerissen hatten, an vielen Orten
eine klägliche und Mangel am nothwendigsten in ihren Häusern nichts Un¬
gewöhnliches. Endlich standen die Dorfgeistlichen einer sittlich tief verwahr¬
losten , stumpfen und rohen Bauernschaft gegenüber. Aus der Vorrede zum
kleinen Katechismus ersehen wir, daß Luther bei der großen Kirchenvisttation
in Sachsen auf dem Lande ein Volk fand, welches „wie das liebe Vieh und
unvernünftige Säue" hinlebte, und Calinich berichtet nach den Quellen, „daß
Viele ganz kalt und säumig in der Religion, an vier, fünf Sonntagen, ja
in einem halben Jahr nicht zur Kirche kamen und in fünf, sechs Jahren
nicht das Sacrament empfingen. Der ärgste Unfug wurde oft während des
Gottesdienstes getrieben. Ueberall war über Störung der Predigt und Mi߬
handlung der Geistlichen zu klagen." Man erlaubte sich, ihnen, während sie
auf der Kanzel standen, laut zu widersprechen, man schloß mitten unter der
Predigt einen Plauderkreis in der Kirche und unterhielt sich wie im Wirths¬
hause. Ja, die Bauern brachten Bierkruge mit und tranken einander zu.
Pastoren, welche sich das nicht gefallen ließen, oder welche das unchristliche
Leben gewisser Personen von der Kanzel herab straften, mußten dieß häufig
schon auf dem Heimwege aus der Kirche büßen; denn „oft wurde an die
Priester und Seelsorger mit Raufen, Schlagen und dergleichen gewaltig
Hand gelegt."

Wie von Seiten der Regierungen durch Kirchenvisitationen, Einsetzung
von Superintendenten und Errichtung von Consistorien, durch Erbauung von
Pfarrhäusern und Sorge für eine regelmäßige, wenn auch meist kärgliche Be¬
soldung der Geistlichen diese traurigen Zustände allmählich beseitigt worden
sind und der evangelische Clerus gehoben worden .ist, kann hier nicht aus¬
führlich gezeigt werden, und auch aus die Rückfälle in die alte Barbarei,
welche der dreißigjährige Krieg im Gefolge hatte, kann ich nicht eingehen.
Es genüge, wenn ich sage, daß vor etwa hundert Jahren die Verhältnisse
sich im wesentlichen so gestaltet hatten, wie sie heute sind, ausgenommen in
gewissen Theilen Deutschlands, wo entweder die Kleinstaaterei oder der Krumm¬
stab geistlicher Fürsten auf die Zustände gewirkt hatten.

Am schlimmsten stand es am Rhein und hier wieder am Traurigsten


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[0385] Kanne und ein Kantor reinem sich Wohl zusammen," „Sieben böse Geister", so heißt der Titel einer 154V erschienenen Schrift, „welche heutiges Tags gemeiniglich den Küster oder sogenannten Dorfschulmeister regieren, als der stolze, der faule, der grobe, der falsche, der böse, der nasse, der dumme Teufel". Der Gutsherr that in der Regel auch nicht, was er dem Pfarrer zu thun schuldig war. Der Dorfschulz suchte ihm sein Einkommen zu beschnei¬ den, und so war die materielle Lage der Geistlichen, nachdem die Fürsten den größten Theil des Kirchenvermögens an sich gerissen hatten, an vielen Orten eine klägliche und Mangel am nothwendigsten in ihren Häusern nichts Un¬ gewöhnliches. Endlich standen die Dorfgeistlichen einer sittlich tief verwahr¬ losten , stumpfen und rohen Bauernschaft gegenüber. Aus der Vorrede zum kleinen Katechismus ersehen wir, daß Luther bei der großen Kirchenvisttation in Sachsen auf dem Lande ein Volk fand, welches „wie das liebe Vieh und unvernünftige Säue" hinlebte, und Calinich berichtet nach den Quellen, „daß Viele ganz kalt und säumig in der Religion, an vier, fünf Sonntagen, ja in einem halben Jahr nicht zur Kirche kamen und in fünf, sechs Jahren nicht das Sacrament empfingen. Der ärgste Unfug wurde oft während des Gottesdienstes getrieben. Ueberall war über Störung der Predigt und Mi߬ handlung der Geistlichen zu klagen." Man erlaubte sich, ihnen, während sie auf der Kanzel standen, laut zu widersprechen, man schloß mitten unter der Predigt einen Plauderkreis in der Kirche und unterhielt sich wie im Wirths¬ hause. Ja, die Bauern brachten Bierkruge mit und tranken einander zu. Pastoren, welche sich das nicht gefallen ließen, oder welche das unchristliche Leben gewisser Personen von der Kanzel herab straften, mußten dieß häufig schon auf dem Heimwege aus der Kirche büßen; denn „oft wurde an die Priester und Seelsorger mit Raufen, Schlagen und dergleichen gewaltig Hand gelegt." Wie von Seiten der Regierungen durch Kirchenvisitationen, Einsetzung von Superintendenten und Errichtung von Consistorien, durch Erbauung von Pfarrhäusern und Sorge für eine regelmäßige, wenn auch meist kärgliche Be¬ soldung der Geistlichen diese traurigen Zustände allmählich beseitigt worden sind und der evangelische Clerus gehoben worden .ist, kann hier nicht aus¬ führlich gezeigt werden, und auch aus die Rückfälle in die alte Barbarei, welche der dreißigjährige Krieg im Gefolge hatte, kann ich nicht eingehen. Es genüge, wenn ich sage, daß vor etwa hundert Jahren die Verhältnisse sich im wesentlichen so gestaltet hatten, wie sie heute sind, ausgenommen in gewissen Theilen Deutschlands, wo entweder die Kleinstaaterei oder der Krumm¬ stab geistlicher Fürsten auf die Zustände gewirkt hatten. Am schlimmsten stand es am Rhein und hier wieder am Traurigsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/385>, abgerufen am 26.11.2024.