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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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einer von seinen Schriften verewigte, indem er sie "Schmeckebier" nannte.
So dem Hofprediger und Generalsuperintendenten Johann Agricola, dem
Luther selbst sein Zechen vorhielt. Und so endlich dem Schloßprediger zu
Gotha, Seigel, der 1561 in einem Briefe an den Herzog zu Sachsen das
Bekenntniß ablegte, der leidige Satan habe, nachdem er vierzehn Jahre im
Pfarramte gewesen, sein Teufelsspiel mit ihm getrieben und ihn "zum Voll¬
saufen" gebracht, besonders aber in den letzten sechs Jahren, seit er auf dem
Grimmenstein gewesen, ihm dermaßen zugesetzt, daß er nun entschlossen sei, Amt
und Weib zu verlassen und nie wieder nach Thüringen zurückzukehren. Er
kam indeß, nachdem er noch nicht weit gewandert war, wieder und gelobte,
in den nächsten zwei Jahren außer dem Abendmahl keinen Tropfen Wein
zu trinken. Darauf hin wurde er wieder zu Gnaden angenommen und hat
hoffentlich Wort gehalten.

Mit Recht macht Calinich darauf aufmerksam, daß dieses üble Aussehen
der damaligen Geistlichkeit mit der Rohheit und Berwildertheit der ganzen
Zeit zusammenhing, die ihrerseits wiederum zum guten Theile von der römi¬
schen Kirche verschuldet war. Man mußte von den früheren katholischen
Priestern nothgedrungen alle nur irgend brauchbaren im Amte belassen, und
man sah sich gezwungen, die Lücken im Personal der Kirche mit den Kräften
auszufüllen, die sich eben darboten. Wählerisch zu sein, eine gute Bildung
oder gar akademische Vorbereitung auf den Beruf des Predigers und Seel¬
sorgers zu verlangen, war schlechterdings unmöglich. So rekruttrte sich der
geistliche Stand lange Zeit auch aus den Reihen der Handwerker, wie denn
z. B. im Weimarischen der Pfarrer zu Moschleben ein Knochenhauer, der zu
Wtegleben ein Leinweber, der zu Warza ein Böttcher, der zu Kirchroda ein
Ziegeldecker, der zu Triegleben ein Barbiergeselle und der Kaplan an der
Stadtkirche zu Weimar ein Kürschner gewesen war.

Von nicht geringem Einfluß auf die sittliche Hebung der Geistlichen ist
das geordnete eheliche Leben und der Segen der Familie gewesen; aber der
Stand tüchtiger und ehrenwerther Pfarrersfrauen mußte sich ebenfalls erst
allmählich bilden, und anfangs konnten die meisten derselben nicht verleugnen,
daß sie vom Kuhstall oder aus der Küche zu ihrer Würde als Frau Pastorin
berufen worden waren. Frauen wie die des Urvanus Nhegius, welche hebräisch
verstand, gehörten selbstverständlich zu den Seltenheiten deS Jahrhunderts.

Am Schullehrerstande, der damals zum Theil erst zu schaffen, zuo
Theil zu reformiren war, fanden die Pfarrer der Reformationszeit auch keine
Stütze. Im Gegentheile, sie hatten mit ihren Küstern und Schulmeistern
ihre liebe Noth. Dieselben waren fast ausnahmlos "kratres iguorantiae,
die, nachdem sie weder auf Schulen noch im Handwerk gutgethan, sich zur"
Küsterstand begeben hatten, um sich des Bettelns zu erwehren". "Eine


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einer von seinen Schriften verewigte, indem er sie „Schmeckebier" nannte.
So dem Hofprediger und Generalsuperintendenten Johann Agricola, dem
Luther selbst sein Zechen vorhielt. Und so endlich dem Schloßprediger zu
Gotha, Seigel, der 1561 in einem Briefe an den Herzog zu Sachsen das
Bekenntniß ablegte, der leidige Satan habe, nachdem er vierzehn Jahre im
Pfarramte gewesen, sein Teufelsspiel mit ihm getrieben und ihn „zum Voll¬
saufen" gebracht, besonders aber in den letzten sechs Jahren, seit er auf dem
Grimmenstein gewesen, ihm dermaßen zugesetzt, daß er nun entschlossen sei, Amt
und Weib zu verlassen und nie wieder nach Thüringen zurückzukehren. Er
kam indeß, nachdem er noch nicht weit gewandert war, wieder und gelobte,
in den nächsten zwei Jahren außer dem Abendmahl keinen Tropfen Wein
zu trinken. Darauf hin wurde er wieder zu Gnaden angenommen und hat
hoffentlich Wort gehalten.

Mit Recht macht Calinich darauf aufmerksam, daß dieses üble Aussehen
der damaligen Geistlichkeit mit der Rohheit und Berwildertheit der ganzen
Zeit zusammenhing, die ihrerseits wiederum zum guten Theile von der römi¬
schen Kirche verschuldet war. Man mußte von den früheren katholischen
Priestern nothgedrungen alle nur irgend brauchbaren im Amte belassen, und
man sah sich gezwungen, die Lücken im Personal der Kirche mit den Kräften
auszufüllen, die sich eben darboten. Wählerisch zu sein, eine gute Bildung
oder gar akademische Vorbereitung auf den Beruf des Predigers und Seel¬
sorgers zu verlangen, war schlechterdings unmöglich. So rekruttrte sich der
geistliche Stand lange Zeit auch aus den Reihen der Handwerker, wie denn
z. B. im Weimarischen der Pfarrer zu Moschleben ein Knochenhauer, der zu
Wtegleben ein Leinweber, der zu Warza ein Böttcher, der zu Kirchroda ein
Ziegeldecker, der zu Triegleben ein Barbiergeselle und der Kaplan an der
Stadtkirche zu Weimar ein Kürschner gewesen war.

Von nicht geringem Einfluß auf die sittliche Hebung der Geistlichen ist
das geordnete eheliche Leben und der Segen der Familie gewesen; aber der
Stand tüchtiger und ehrenwerther Pfarrersfrauen mußte sich ebenfalls erst
allmählich bilden, und anfangs konnten die meisten derselben nicht verleugnen,
daß sie vom Kuhstall oder aus der Küche zu ihrer Würde als Frau Pastorin
berufen worden waren. Frauen wie die des Urvanus Nhegius, welche hebräisch
verstand, gehörten selbstverständlich zu den Seltenheiten deS Jahrhunderts.

Am Schullehrerstande, der damals zum Theil erst zu schaffen, zuo
Theil zu reformiren war, fanden die Pfarrer der Reformationszeit auch keine
Stütze. Im Gegentheile, sie hatten mit ihren Küstern und Schulmeistern
ihre liebe Noth. Dieselben waren fast ausnahmlos «kratres iguorantiae,
die, nachdem sie weder auf Schulen noch im Handwerk gutgethan, sich zur»
Küsterstand begeben hatten, um sich des Bettelns zu erwehren". „Eine


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[0384] einer von seinen Schriften verewigte, indem er sie „Schmeckebier" nannte. So dem Hofprediger und Generalsuperintendenten Johann Agricola, dem Luther selbst sein Zechen vorhielt. Und so endlich dem Schloßprediger zu Gotha, Seigel, der 1561 in einem Briefe an den Herzog zu Sachsen das Bekenntniß ablegte, der leidige Satan habe, nachdem er vierzehn Jahre im Pfarramte gewesen, sein Teufelsspiel mit ihm getrieben und ihn „zum Voll¬ saufen" gebracht, besonders aber in den letzten sechs Jahren, seit er auf dem Grimmenstein gewesen, ihm dermaßen zugesetzt, daß er nun entschlossen sei, Amt und Weib zu verlassen und nie wieder nach Thüringen zurückzukehren. Er kam indeß, nachdem er noch nicht weit gewandert war, wieder und gelobte, in den nächsten zwei Jahren außer dem Abendmahl keinen Tropfen Wein zu trinken. Darauf hin wurde er wieder zu Gnaden angenommen und hat hoffentlich Wort gehalten. Mit Recht macht Calinich darauf aufmerksam, daß dieses üble Aussehen der damaligen Geistlichkeit mit der Rohheit und Berwildertheit der ganzen Zeit zusammenhing, die ihrerseits wiederum zum guten Theile von der römi¬ schen Kirche verschuldet war. Man mußte von den früheren katholischen Priestern nothgedrungen alle nur irgend brauchbaren im Amte belassen, und man sah sich gezwungen, die Lücken im Personal der Kirche mit den Kräften auszufüllen, die sich eben darboten. Wählerisch zu sein, eine gute Bildung oder gar akademische Vorbereitung auf den Beruf des Predigers und Seel¬ sorgers zu verlangen, war schlechterdings unmöglich. So rekruttrte sich der geistliche Stand lange Zeit auch aus den Reihen der Handwerker, wie denn z. B. im Weimarischen der Pfarrer zu Moschleben ein Knochenhauer, der zu Wtegleben ein Leinweber, der zu Warza ein Böttcher, der zu Kirchroda ein Ziegeldecker, der zu Triegleben ein Barbiergeselle und der Kaplan an der Stadtkirche zu Weimar ein Kürschner gewesen war. Von nicht geringem Einfluß auf die sittliche Hebung der Geistlichen ist das geordnete eheliche Leben und der Segen der Familie gewesen; aber der Stand tüchtiger und ehrenwerther Pfarrersfrauen mußte sich ebenfalls erst allmählich bilden, und anfangs konnten die meisten derselben nicht verleugnen, daß sie vom Kuhstall oder aus der Küche zu ihrer Würde als Frau Pastorin berufen worden waren. Frauen wie die des Urvanus Nhegius, welche hebräisch verstand, gehörten selbstverständlich zu den Seltenheiten deS Jahrhunderts. Am Schullehrerstande, der damals zum Theil erst zu schaffen, zuo Theil zu reformiren war, fanden die Pfarrer der Reformationszeit auch keine Stütze. Im Gegentheile, sie hatten mit ihren Küstern und Schulmeistern ihre liebe Noth. Dieselben waren fast ausnahmlos «kratres iguorantiae, die, nachdem sie weder auf Schulen noch im Handwerk gutgethan, sich zur» Küsterstand begeben hatten, um sich des Bettelns zu erwehren". „Eine 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/384>, abgerufen am 26.11.2024.