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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Brief des Königs vom 21. Dezember 1842 abzudrucken vergessen: wo er ihn
haben kann (falls er ihn nicht hat), wird ihm nicht verborgen sein.

Außer den Briefen Schön's an den König lesen wir hier eine Reihe von
Briefen an seine Frau, an seinen Freund von Brünneck u. A.; auch mehrere
sonstige Aufzeichnungen zur Zeitgeschichte sind sehr passend und zweckent¬
sprechend aufgenommen. Wichtige Aufschlüsse über die merkwürdigen Be¬
wegungen und Bestrebungen jener Jahre sind hier zu finden. Schön's
Charakter tritt dem historischen und menschlichen Verständniß hier sehr nahe.

Daß Schön's berufene Brochure -- Woher und Wohin? -- mit abge¬
druckt ist (S. 230--239) erscheint völlig gerechtfertigt und wird der Mehr¬
zahl der Leser sehr erwünscht sein. Ebenso erfreulich ist es, daß das Facsimile,
das Schön 1840 von seinem ersten Concept des sog. Se ein'sehen Testa¬
mentes von 1808 anfertigen und an seine Freunde vertheilen ließ, gegen¬
wärtig der vollen Oeffentlichkeit übergeben wird. Ein interessanter Folio¬
bogen, der hier in unsere Hände gelangt! Unzweifelhaft (übrigens auch
neuerdings gar nicht mehr bestritten) ist die Thatsache, daß Schön die Feder
vor dem Rücktritte Stein's 1808 angesetzt, um eine systematische Zusammen¬
fassung des Stein'schen Reformprogrammes, das theilweise verwirklicht war,
theilweise der Verwirklichung noch harrte, den Nachfolgern Stein's zu unter-
breiten. Möglich daß der systematische theoretische Vortrag, daß Stil
und Redaction Schön's Eigenthum ist*), wie er es damals 1840 behauptete
(der Beihülfe von Nicolovius und der Bemerkungen des Grafen Dohna-
Wundlacken giebt er an, sich bedient zu haben); die Thesis aber, die Schön
mit jener ersten Behauptung verbinden und durch sie vorbereiten wollte,
der Satz, daß das Stein'sche Testament nicht sowohl Stein's als Schön's
Ideen enthalte, denen Stein's innerste Richtung sogar entgegengesetzt gewesen
-- dieser Satz ist mit Nichten durch die Vorlage des facsimilirten Conceptes
bewiesen, ebenso wenig als durch seine eigenen späteren Erzählungen und
die Betheurungen derjenigen die ihm blindlings Glauben geschenkt. Wer die
anderen großen Denkschriften Stein's mit dem Testamente vergleicht, wird
der Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit des geistigen Inhaltes in allen
einzelnen Schriftstücken sein Auge sofort eröffnen. In der nächsten Zeit nach
dem Erlaß jenes Testamentes hat Schön in ganz unzweideutiger Weise selbst
die geistige Vaterschaft Stein's bei dem Kinde, das er 1840 als sein Kind
reclamirte (III- 229), bezeugt; so in der Tagebuchnotiz zum 5. Dezember
1808, als er Stein's Abreise aus Memel anmerkte ("Stein fuhr ab; ich sah
ihm nach. Er nimmt viel mit. die Anhänglichkeit aller rechtlichen Menschen.
Stein schickte seinen beiliegenden Abschied; er enthält Alles und der große



Vgl. zu dieser Frage die Aeußerung von Gneist in dem Miirzhest 187"! der Preuß.
Jahrbücher, S. 279.

Brief des Königs vom 21. Dezember 1842 abzudrucken vergessen: wo er ihn
haben kann (falls er ihn nicht hat), wird ihm nicht verborgen sein.

Außer den Briefen Schön's an den König lesen wir hier eine Reihe von
Briefen an seine Frau, an seinen Freund von Brünneck u. A.; auch mehrere
sonstige Aufzeichnungen zur Zeitgeschichte sind sehr passend und zweckent¬
sprechend aufgenommen. Wichtige Aufschlüsse über die merkwürdigen Be¬
wegungen und Bestrebungen jener Jahre sind hier zu finden. Schön's
Charakter tritt dem historischen und menschlichen Verständniß hier sehr nahe.

Daß Schön's berufene Brochure — Woher und Wohin? — mit abge¬
druckt ist (S. 230—239) erscheint völlig gerechtfertigt und wird der Mehr¬
zahl der Leser sehr erwünscht sein. Ebenso erfreulich ist es, daß das Facsimile,
das Schön 1840 von seinem ersten Concept des sog. Se ein'sehen Testa¬
mentes von 1808 anfertigen und an seine Freunde vertheilen ließ, gegen¬
wärtig der vollen Oeffentlichkeit übergeben wird. Ein interessanter Folio¬
bogen, der hier in unsere Hände gelangt! Unzweifelhaft (übrigens auch
neuerdings gar nicht mehr bestritten) ist die Thatsache, daß Schön die Feder
vor dem Rücktritte Stein's 1808 angesetzt, um eine systematische Zusammen¬
fassung des Stein'schen Reformprogrammes, das theilweise verwirklicht war,
theilweise der Verwirklichung noch harrte, den Nachfolgern Stein's zu unter-
breiten. Möglich daß der systematische theoretische Vortrag, daß Stil
und Redaction Schön's Eigenthum ist*), wie er es damals 1840 behauptete
(der Beihülfe von Nicolovius und der Bemerkungen des Grafen Dohna-
Wundlacken giebt er an, sich bedient zu haben); die Thesis aber, die Schön
mit jener ersten Behauptung verbinden und durch sie vorbereiten wollte,
der Satz, daß das Stein'sche Testament nicht sowohl Stein's als Schön's
Ideen enthalte, denen Stein's innerste Richtung sogar entgegengesetzt gewesen
— dieser Satz ist mit Nichten durch die Vorlage des facsimilirten Conceptes
bewiesen, ebenso wenig als durch seine eigenen späteren Erzählungen und
die Betheurungen derjenigen die ihm blindlings Glauben geschenkt. Wer die
anderen großen Denkschriften Stein's mit dem Testamente vergleicht, wird
der Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit des geistigen Inhaltes in allen
einzelnen Schriftstücken sein Auge sofort eröffnen. In der nächsten Zeit nach
dem Erlaß jenes Testamentes hat Schön in ganz unzweideutiger Weise selbst
die geistige Vaterschaft Stein's bei dem Kinde, das er 1840 als sein Kind
reclamirte (III- 229), bezeugt; so in der Tagebuchnotiz zum 5. Dezember
1808, als er Stein's Abreise aus Memel anmerkte („Stein fuhr ab; ich sah
ihm nach. Er nimmt viel mit. die Anhänglichkeit aller rechtlichen Menschen.
Stein schickte seinen beiliegenden Abschied; er enthält Alles und der große



Vgl. zu dieser Frage die Aeußerung von Gneist in dem Miirzhest 187«! der Preuß.
Jahrbücher, S. 279.
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[0380] Brief des Königs vom 21. Dezember 1842 abzudrucken vergessen: wo er ihn haben kann (falls er ihn nicht hat), wird ihm nicht verborgen sein. Außer den Briefen Schön's an den König lesen wir hier eine Reihe von Briefen an seine Frau, an seinen Freund von Brünneck u. A.; auch mehrere sonstige Aufzeichnungen zur Zeitgeschichte sind sehr passend und zweckent¬ sprechend aufgenommen. Wichtige Aufschlüsse über die merkwürdigen Be¬ wegungen und Bestrebungen jener Jahre sind hier zu finden. Schön's Charakter tritt dem historischen und menschlichen Verständniß hier sehr nahe. Daß Schön's berufene Brochure — Woher und Wohin? — mit abge¬ druckt ist (S. 230—239) erscheint völlig gerechtfertigt und wird der Mehr¬ zahl der Leser sehr erwünscht sein. Ebenso erfreulich ist es, daß das Facsimile, das Schön 1840 von seinem ersten Concept des sog. Se ein'sehen Testa¬ mentes von 1808 anfertigen und an seine Freunde vertheilen ließ, gegen¬ wärtig der vollen Oeffentlichkeit übergeben wird. Ein interessanter Folio¬ bogen, der hier in unsere Hände gelangt! Unzweifelhaft (übrigens auch neuerdings gar nicht mehr bestritten) ist die Thatsache, daß Schön die Feder vor dem Rücktritte Stein's 1808 angesetzt, um eine systematische Zusammen¬ fassung des Stein'schen Reformprogrammes, das theilweise verwirklicht war, theilweise der Verwirklichung noch harrte, den Nachfolgern Stein's zu unter- breiten. Möglich daß der systematische theoretische Vortrag, daß Stil und Redaction Schön's Eigenthum ist*), wie er es damals 1840 behauptete (der Beihülfe von Nicolovius und der Bemerkungen des Grafen Dohna- Wundlacken giebt er an, sich bedient zu haben); die Thesis aber, die Schön mit jener ersten Behauptung verbinden und durch sie vorbereiten wollte, der Satz, daß das Stein'sche Testament nicht sowohl Stein's als Schön's Ideen enthalte, denen Stein's innerste Richtung sogar entgegengesetzt gewesen — dieser Satz ist mit Nichten durch die Vorlage des facsimilirten Conceptes bewiesen, ebenso wenig als durch seine eigenen späteren Erzählungen und die Betheurungen derjenigen die ihm blindlings Glauben geschenkt. Wer die anderen großen Denkschriften Stein's mit dem Testamente vergleicht, wird der Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit des geistigen Inhaltes in allen einzelnen Schriftstücken sein Auge sofort eröffnen. In der nächsten Zeit nach dem Erlaß jenes Testamentes hat Schön in ganz unzweideutiger Weise selbst die geistige Vaterschaft Stein's bei dem Kinde, das er 1840 als sein Kind reclamirte (III- 229), bezeugt; so in der Tagebuchnotiz zum 5. Dezember 1808, als er Stein's Abreise aus Memel anmerkte („Stein fuhr ab; ich sah ihm nach. Er nimmt viel mit. die Anhänglichkeit aller rechtlichen Menschen. Stein schickte seinen beiliegenden Abschied; er enthält Alles und der große Vgl. zu dieser Frage die Aeußerung von Gneist in dem Miirzhest 187«! der Preuß. Jahrbücher, S. 279.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/380>, abgerufen am 27.07.2024.