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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Differenz des Staates mit der Kirche." Und seine Kritik über die Ma߬
regeln der Regierung in der Kölner Angelegenheit erscheint uns als eine
wohl begründete und zu rechtfertigende (S. 126--130); grade im Gegensatz
zu Bunsen's Anschauungen spricht er seine Maxime aus. "Die katholische
Kirche giebt niemals ein Prinzip auf und jedes negotiiren ist zwecklos.
Findet es statt, so kann es nur gute Folgen für die Kirche haben. Nimmt
man aber von der katholischen Kirche und deren Oberhaupt gar keine Notiz
und kennt von Seiten des Staates nur die katholische Kirchengesellschaft,
welche im Staate ist, und setzt dieser Prinzipe mit der Forderung des unbe¬
dingten Gehorsams entgegen, so glaubt sich die Kirchengesellschaft im Zu¬
stande des Zwanges, läßt ihr kirchliches Princip, dem die Norm des Staates
entgegen ist, auf sich beruhen und sucht selbst Ausgleichung auszumitteln,
wozu die katholische Kirche an sich und vorzugsweise der Jesuitismus ganz
geeignet ist." Er beruft sich auf seine Erfahrung: "in dieser Art hatte ich
mich durch eine lange Reihe von Jahren mit acht katholischen Bischöfen ge¬
stellt und unser Verhältniß war bis auf ein paar Fälle, welche aber auch
bald ausgeglichen wurden, sehr gut."

Bekannt ist auch in weiteren Kreisen der Zusammenstoß Schön's mit
den ostpreußischen "Muckern". Sehr auffallend erscheint mir das Still¬
schweigen der Selbstbiographie über diese ganze Angelegenheit. Hat etwa der
Herausgeber aus irgend welchen Rücksichten geglaubt, die Mittheilung sei
"für jetzt nicht zulässig"? Bei der persönlichen Erregtheit, mit welcher offen¬
bar Schön gegen die ihm theilweise persönlich so nahestehende und gesell-
schaftlich ihm so nahe kommende Sekte oder Gesellschaft vorgegangen ist, wird
man es kaum glaubhaft finden, daß er 1844 diese Sache ganz übergangen
haben sollte. Oder hat er vielleicht in einer gesonderten Aufzeichnung sich
darüber ausgelassen? Jedenfalls muß sein Nachlaß Material zur Geschichte
der Muckerei enthalten, auf das wir im Interesse der Geschichte nicht gern
Verzicht leisten.

Bei einer aufmerksamen und die sonst bekannte Zeitgeschichte überall
heranziehenden historischen Lectüre dieser Aufzeichnungen erwehrt man nicht
leicht sich der Reflexion, wie mächtig doch in Schön das Verlangen vorhanden
gewesen, auf die Centralregierung des preußischen Staates maßgebenden Ein-
fluß zu gewinnen. Zwei Seelen wohnten auch in dieses Mannes Brust:
der Ostpreuße war als ziemlich selbständiger Herrscher der Provinz Preußen
Wohl befriedigt, der preußische Staatsmann aber strebte nach Leitung des
Staatsganzen; wie oft er auch sich gegen solche Meinung verwahrt, immer
wieder bricht selbst in dem alten Herrn von 1844 dies Gefühl durch und
giebt seiner ganzen Darstellung einen eigenthümlich bewegten Charakter.
Und das ist auch außer Frage: er hätte ins Ministerium gehört, er würde


Differenz des Staates mit der Kirche." Und seine Kritik über die Ma߬
regeln der Regierung in der Kölner Angelegenheit erscheint uns als eine
wohl begründete und zu rechtfertigende (S. 126—130); grade im Gegensatz
zu Bunsen's Anschauungen spricht er seine Maxime aus. „Die katholische
Kirche giebt niemals ein Prinzip auf und jedes negotiiren ist zwecklos.
Findet es statt, so kann es nur gute Folgen für die Kirche haben. Nimmt
man aber von der katholischen Kirche und deren Oberhaupt gar keine Notiz
und kennt von Seiten des Staates nur die katholische Kirchengesellschaft,
welche im Staate ist, und setzt dieser Prinzipe mit der Forderung des unbe¬
dingten Gehorsams entgegen, so glaubt sich die Kirchengesellschaft im Zu¬
stande des Zwanges, läßt ihr kirchliches Princip, dem die Norm des Staates
entgegen ist, auf sich beruhen und sucht selbst Ausgleichung auszumitteln,
wozu die katholische Kirche an sich und vorzugsweise der Jesuitismus ganz
geeignet ist." Er beruft sich auf seine Erfahrung: „in dieser Art hatte ich
mich durch eine lange Reihe von Jahren mit acht katholischen Bischöfen ge¬
stellt und unser Verhältniß war bis auf ein paar Fälle, welche aber auch
bald ausgeglichen wurden, sehr gut."

Bekannt ist auch in weiteren Kreisen der Zusammenstoß Schön's mit
den ostpreußischen „Muckern". Sehr auffallend erscheint mir das Still¬
schweigen der Selbstbiographie über diese ganze Angelegenheit. Hat etwa der
Herausgeber aus irgend welchen Rücksichten geglaubt, die Mittheilung sei
„für jetzt nicht zulässig"? Bei der persönlichen Erregtheit, mit welcher offen¬
bar Schön gegen die ihm theilweise persönlich so nahestehende und gesell-
schaftlich ihm so nahe kommende Sekte oder Gesellschaft vorgegangen ist, wird
man es kaum glaubhaft finden, daß er 1844 diese Sache ganz übergangen
haben sollte. Oder hat er vielleicht in einer gesonderten Aufzeichnung sich
darüber ausgelassen? Jedenfalls muß sein Nachlaß Material zur Geschichte
der Muckerei enthalten, auf das wir im Interesse der Geschichte nicht gern
Verzicht leisten.

Bei einer aufmerksamen und die sonst bekannte Zeitgeschichte überall
heranziehenden historischen Lectüre dieser Aufzeichnungen erwehrt man nicht
leicht sich der Reflexion, wie mächtig doch in Schön das Verlangen vorhanden
gewesen, auf die Centralregierung des preußischen Staates maßgebenden Ein-
fluß zu gewinnen. Zwei Seelen wohnten auch in dieses Mannes Brust:
der Ostpreuße war als ziemlich selbständiger Herrscher der Provinz Preußen
Wohl befriedigt, der preußische Staatsmann aber strebte nach Leitung des
Staatsganzen; wie oft er auch sich gegen solche Meinung verwahrt, immer
wieder bricht selbst in dem alten Herrn von 1844 dies Gefühl durch und
giebt seiner ganzen Darstellung einen eigenthümlich bewegten Charakter.
Und das ist auch außer Frage: er hätte ins Ministerium gehört, er würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/377>, abgerufen am 27.11.2024.