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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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können, die aber das historische Urtheil über die Jahre 1807--1813 nicht
irreleiten darf. Im Gegensatze zu dieser seiner früheren Stellung befand seit
1816 Schön sich an der Spitze einer Provinz, mit eigener voller Verantwort¬
lichkeit, nach eigenen Ideen und Anschauungen handelnd und leitend. In
den Jahren seiner vollen Manneskraft und Reife muß ihn beobachten und
betrachten, wer ein begründetes Urtheil über ihn abgeben will. Gegenwärtig
ist ein solches Urtheil deshalb noch nicht möglich, weil über seine amtliche
Thätigkeit und Leistungen noch zu wenig authentisches bekannt ist. Einen
ersten Grundstein zu der wünschenswerthen Kenntniß begrüßen wir heute in
Schön's eigenen Darlegungen über diese Periode, welche die Selbstbiographie
von 1844 uns gebracht.

Gar manche Stelle derselben verdiente hier besprochen zu werden, z. B.
über die Heiratsgedanken des Königs 1817, über die Berathungen betreffs
der reichsständischen Projekte 1817. 1819. 1822, über Schön's Verhältniß
zu Niebuhr und zum Kronprinzen, über das Retablissement der Grundbesitzer
in Ostpreußen, über die Stellung des Staates zu der katholischen Kirche und
die kirchlichen Wirren in Köln, über die Cholera 1831 u. 1832, über die
Realschulen u. s. w. Nur drei Punkte glaube ich hervorheben zu sollen.

Schön's principielles Urtheil über das Verhalten des Staates zur katholi-
lischen Kirche und die auf dasselbe begründete scharfe Kritik der betreffenden
Regierungsmaßregeln von 1837 ff. darf heute nach den Erfahrungen unserer
Tage auf volle Zustimmung rechnen. Klar und bestimmt und praktisch
sind die Grundsätze, die er gewonnen und die er an seinem Theile in seiner
Provinz auch zur Richtschnur seines Auftretens sich gemacht. Es mag er¬
laubt sein eine Stelle zu addiren is. 65): "Bei der hohen Consequenz der
katholischen Kirche ist nichts leichter als sich mit der katholischen Geistlich-
keit gut zu stellen. Wo Mißverhältniße zwischen Staat und Kirche vor¬
kommen, hat der Erste in der Regel mehr als die Kirche gefehlt. Die
Beamten in protestantischen Staaten kennen die katholische Kirche in der
Regel nicht und wollen mit den Bischöfen negoziiren und machen in ein¬
zelnen Fällen Zumuthungen, auf welche der katholische Geistliche nicht ein¬
gehen kann. Ein Gouvernement kann Kenntniß von den obwaltenden Um¬
ständen von Männern aus dem Volk einziehen, es kann deren Rath fordern;
oder wie jede Negoziation mit dem Volke eine Verläugnung der Autorität
des Gouvernements an sich ist, so wird dies der katholischen Kirche gegenüber
zur vollendeten Schwäche. Wenn der Staat das in unserm Allgemeinen Landrecht
aufgestellte Prinzip hält, nehmlich von keiner Kirche Notiz zu nehmen, sondern
nur die Kirchengesellschaft wie sie im Staat vorhanden ist als Gesellschaft aner¬
kennt, dann ist keine Differenz mit der Kirche möglich." Schön meint mit Recht:
"Zu der Zeit Friedrich's II. als man nach meinen Prinzipien verfuhr, gab es keine


können, die aber das historische Urtheil über die Jahre 1807—1813 nicht
irreleiten darf. Im Gegensatze zu dieser seiner früheren Stellung befand seit
1816 Schön sich an der Spitze einer Provinz, mit eigener voller Verantwort¬
lichkeit, nach eigenen Ideen und Anschauungen handelnd und leitend. In
den Jahren seiner vollen Manneskraft und Reife muß ihn beobachten und
betrachten, wer ein begründetes Urtheil über ihn abgeben will. Gegenwärtig
ist ein solches Urtheil deshalb noch nicht möglich, weil über seine amtliche
Thätigkeit und Leistungen noch zu wenig authentisches bekannt ist. Einen
ersten Grundstein zu der wünschenswerthen Kenntniß begrüßen wir heute in
Schön's eigenen Darlegungen über diese Periode, welche die Selbstbiographie
von 1844 uns gebracht.

Gar manche Stelle derselben verdiente hier besprochen zu werden, z. B.
über die Heiratsgedanken des Königs 1817, über die Berathungen betreffs
der reichsständischen Projekte 1817. 1819. 1822, über Schön's Verhältniß
zu Niebuhr und zum Kronprinzen, über das Retablissement der Grundbesitzer
in Ostpreußen, über die Stellung des Staates zu der katholischen Kirche und
die kirchlichen Wirren in Köln, über die Cholera 1831 u. 1832, über die
Realschulen u. s. w. Nur drei Punkte glaube ich hervorheben zu sollen.

Schön's principielles Urtheil über das Verhalten des Staates zur katholi-
lischen Kirche und die auf dasselbe begründete scharfe Kritik der betreffenden
Regierungsmaßregeln von 1837 ff. darf heute nach den Erfahrungen unserer
Tage auf volle Zustimmung rechnen. Klar und bestimmt und praktisch
sind die Grundsätze, die er gewonnen und die er an seinem Theile in seiner
Provinz auch zur Richtschnur seines Auftretens sich gemacht. Es mag er¬
laubt sein eine Stelle zu addiren is. 65): „Bei der hohen Consequenz der
katholischen Kirche ist nichts leichter als sich mit der katholischen Geistlich-
keit gut zu stellen. Wo Mißverhältniße zwischen Staat und Kirche vor¬
kommen, hat der Erste in der Regel mehr als die Kirche gefehlt. Die
Beamten in protestantischen Staaten kennen die katholische Kirche in der
Regel nicht und wollen mit den Bischöfen negoziiren und machen in ein¬
zelnen Fällen Zumuthungen, auf welche der katholische Geistliche nicht ein¬
gehen kann. Ein Gouvernement kann Kenntniß von den obwaltenden Um¬
ständen von Männern aus dem Volk einziehen, es kann deren Rath fordern;
oder wie jede Negoziation mit dem Volke eine Verläugnung der Autorität
des Gouvernements an sich ist, so wird dies der katholischen Kirche gegenüber
zur vollendeten Schwäche. Wenn der Staat das in unserm Allgemeinen Landrecht
aufgestellte Prinzip hält, nehmlich von keiner Kirche Notiz zu nehmen, sondern
nur die Kirchengesellschaft wie sie im Staat vorhanden ist als Gesellschaft aner¬
kennt, dann ist keine Differenz mit der Kirche möglich." Schön meint mit Recht:
„Zu der Zeit Friedrich's II. als man nach meinen Prinzipien verfuhr, gab es keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/376>, abgerufen am 28.07.2024.