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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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vie Indolenz des Volkes ertragen hat, ist allbekannt und darf daher hier
wohl übergangen werden. Bei andern Staatsactionen gleicher Art, welche
der Particularismus in Scene setzte, unterlief doch wohl noch insofern ein
bischen Idealismus, als man hohen Ortes durch die Spielerei mit parlamen¬
tarischen Formen oder durch ein näheres Bundesverhältniß mit Preußen und
andere "Opfer für die deutsche Sache" die unveräußerliche Majestät der kleinen
Krone verringert oder gar nur mit Katzengold vertauscht glaubte. Aber so ideal
dachte der König von Hannover nicht, der bereits als Herzog von Cumber-
land, wie der Volksmund sich ausdrückte, alle Verbrechen begangen außer
dem Selbstmord. Er hatte viel, sehr viel Schulden als englischer Prinz
contrahirt und bedürfte zur Befriedigung seiner englischen Gläubiger der
reichen hannöverschen Staatsdomänen, welche das Staatsgrundgesetz von 1833
für Staatseigenthum erklärt hatte. Grund genug, die Verfassung umzu¬
stoßen. Der Eid, den der Prinz von Cumberland gleich den übrigen welfischen
Agnaten auf die Verfassung geleistet, genirte den König nicht. Die Stände
wurden sofort beim Regierungsantritt des Königs außer Wirksamkeit gesetzt.
Ein Patent vom 6. Juli erklärte, daß das Staatsgrundgesetz den König in
keiner Weise binde und setzte eine Commission zur Prüfung der Rechtsbe-
ständigkeit der Verfassung ein. Die definitive Aufhebung der Verfassung er¬
folgte am 1. November.

Niemand im Land Hannover rührte eine Hand zur Rettung und Wah¬
rung des bedrohten Landesrechtes. Als die Krone im Juli deutlich ankündigte,
was sie thun werde, widersprach niemand. Proteste der zweiten Kammern in
Dresden, Karlsruhe und München und Rechtsgutachten deutscher Gelehrter,
welche sonnenklar bewiesen, daß Ernst August nicht schön gehandelt, waren
alles, was dem Verfassungsbruch in den Weg gelegt wurde. Bei dieser Sach¬
lage und dieser feigen Stimmung der Bevölkerung stellt sich das Verhalten
der sieben Göttinger Professoren erst in das wahre Licht. Sie allein wagten
es, den König an das Recht des Landes zu erinnern, als der Staatsstreich
noch nicht geschehen, den Eid und Gehorsam auszusagen und zu protestiren,
als Eid und Verfassung durch die Willkür des Monarchen gebrochen war.
Albrecht. Dcihlmann und Jacob. Grimm stellten bereits nach Bekanntwerden
des königlichen Julipatcntes den Antrag beim Senat der Universität, die
Gültigkeit des Patentes zu prüfen. Der Senat lehnte die Verhandlung
natürlich ab. da am 17. und 19. September das Jubiläum der Georgia
August" bevorstand und man dazu der guten Laune des Hofes bedürfte.

Daß die sieben Göttinger Professoren hiernach allein stehen würden in
der entscheidenden Stunde, daß der beleidigte König seiner Rache gegen die
ungehorsamen "königlichen Diener" sich schrankenlos hingeben werde, durfte
jeder von ihnen erwarten. Um so ruhmvoller war ihr Widerstand, ihr


vie Indolenz des Volkes ertragen hat, ist allbekannt und darf daher hier
wohl übergangen werden. Bei andern Staatsactionen gleicher Art, welche
der Particularismus in Scene setzte, unterlief doch wohl noch insofern ein
bischen Idealismus, als man hohen Ortes durch die Spielerei mit parlamen¬
tarischen Formen oder durch ein näheres Bundesverhältniß mit Preußen und
andere „Opfer für die deutsche Sache" die unveräußerliche Majestät der kleinen
Krone verringert oder gar nur mit Katzengold vertauscht glaubte. Aber so ideal
dachte der König von Hannover nicht, der bereits als Herzog von Cumber-
land, wie der Volksmund sich ausdrückte, alle Verbrechen begangen außer
dem Selbstmord. Er hatte viel, sehr viel Schulden als englischer Prinz
contrahirt und bedürfte zur Befriedigung seiner englischen Gläubiger der
reichen hannöverschen Staatsdomänen, welche das Staatsgrundgesetz von 1833
für Staatseigenthum erklärt hatte. Grund genug, die Verfassung umzu¬
stoßen. Der Eid, den der Prinz von Cumberland gleich den übrigen welfischen
Agnaten auf die Verfassung geleistet, genirte den König nicht. Die Stände
wurden sofort beim Regierungsantritt des Königs außer Wirksamkeit gesetzt.
Ein Patent vom 6. Juli erklärte, daß das Staatsgrundgesetz den König in
keiner Weise binde und setzte eine Commission zur Prüfung der Rechtsbe-
ständigkeit der Verfassung ein. Die definitive Aufhebung der Verfassung er¬
folgte am 1. November.

Niemand im Land Hannover rührte eine Hand zur Rettung und Wah¬
rung des bedrohten Landesrechtes. Als die Krone im Juli deutlich ankündigte,
was sie thun werde, widersprach niemand. Proteste der zweiten Kammern in
Dresden, Karlsruhe und München und Rechtsgutachten deutscher Gelehrter,
welche sonnenklar bewiesen, daß Ernst August nicht schön gehandelt, waren
alles, was dem Verfassungsbruch in den Weg gelegt wurde. Bei dieser Sach¬
lage und dieser feigen Stimmung der Bevölkerung stellt sich das Verhalten
der sieben Göttinger Professoren erst in das wahre Licht. Sie allein wagten
es, den König an das Recht des Landes zu erinnern, als der Staatsstreich
noch nicht geschehen, den Eid und Gehorsam auszusagen und zu protestiren,
als Eid und Verfassung durch die Willkür des Monarchen gebrochen war.
Albrecht. Dcihlmann und Jacob. Grimm stellten bereits nach Bekanntwerden
des königlichen Julipatcntes den Antrag beim Senat der Universität, die
Gültigkeit des Patentes zu prüfen. Der Senat lehnte die Verhandlung
natürlich ab. da am 17. und 19. September das Jubiläum der Georgia
August« bevorstand und man dazu der guten Laune des Hofes bedürfte.

Daß die sieben Göttinger Professoren hiernach allein stehen würden in
der entscheidenden Stunde, daß der beleidigte König seiner Rache gegen die
ungehorsamen „königlichen Diener" sich schrankenlos hingeben werde, durfte
jeder von ihnen erwarten. Um so ruhmvoller war ihr Widerstand, ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/368>, abgerufen am 28.07.2024.