Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Den Ausschlag aber, diesen Rathschlägen Gehör zu schenken, gab bei Albrecht
ein Colleg über Wechselrecht. "Das Wechselrecht war meine erste Liebe",
Pflegte er noch als alter Herr mit feurigem Ernst zu versichern. Und die¬
jenigen, welche das wirklich seltene Glück hatten, sein Obligationenrecht, seine
geistvollen Vorträge über Wechsel, Jnhaberpaviere u. s. w. zu hören, -- die
er so selten las -- werden einen Abglanz dieser "ersten Liebe", dieser ent¬
scheidenden Stunde, welche Albrecht dem Lehrstuhl des deutschen Rechtes ge¬
wann, empfunden haben. Nirgend zeigte sich die reife Frucht der köstlichen
Gedankenarbeit, die Albrecht ebenso auszeichnete, als sie ihm Bedürfniß war,
schöner als hier. Die besondere Vorliebe für ein behagliches elegantes Nach¬
denken, die in seiner Natur lag, ist sicherlich das Haupthinderniß für eine
größere Productivität in literarischen Werken gewesen. Seine academische
Wirksamkeit hat sie dagegen außerordentlich erfolgreich gemacht, weil seine
Natur ihn nöthigte, immer von neuem, und unter Anlehnung an das Neueste
in der Literatur und im Leben der Nation, die von ihm erkannten Grund¬
wahrheiten des Rechtes durchzuarbeiten.

Als ein blutjunger Primaner war Albrecht nach der Universität abge¬
gangen. Und trotz seines für damalige Zeiten ungewöhnlich langen Studi¬
ums in Königsberg, Berlin und Göttingen, betrat er doch als ein für unsere
Begriffe noch blutjunger Privatdocent und Doctor der Rechte die academische
Laufbahn. Die Mitte der zwanziger Jahre hatte er kaum erreicht. Und
siebenundzwanzig Jahre zählte er erst, als seine klassische Schrift "die Gewere"
zum Druck ging und seinen Namen in alle Lande trug. Er war damals
schon Professor in Königsberg und sah den jugendlichen Eduard Simson
unter seinen ersten Schülern. Im Jahre 1830 folgte er dem Rufe nach
Göttingen, die durch den Abgang Eichhorn's nach Berlin erledigte Professur
und einen Sitz im Spruchcollegium anzunehmen. Sieben Jahre lang las er
hier unter wachsendem Andrang der studirenden Jugend, fern von jeder directen
Theilnahme an den Fragen und Bewegungen der Politik, welche seit 1833
durch die veränderten hannöverschen Versassungsverhältnifse die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich zogen.

Es gehörte in der That die göttliche Verblendung eines Welsen dazu, um
einen Mann wie Albrecht in die Opposition zu drängen, zu öffentlicher ent¬
schiedenster Parteinahme wider das gesetzlose Treiben der Krone zu nöthigen.
Aber andrerseits konnte auch niemand, der Albrecht kannte, daran zweifeln,
daß er männlich und entschieden Meineid Meineid und Versassungsbruch
Verfassungsbruch nennen werde, wenn man ihn persönlich in die hannöverschen
Verfassungswirren hineinzog. Die Geschichte des hannöverschen Staats¬
streiches von 1837, einem der häßlichsten Stücke, welches die Ruchlosigkeit und
Frechheit des dynastischen Particularismus in Deutschland aufgeführt, und


Den Ausschlag aber, diesen Rathschlägen Gehör zu schenken, gab bei Albrecht
ein Colleg über Wechselrecht. „Das Wechselrecht war meine erste Liebe",
Pflegte er noch als alter Herr mit feurigem Ernst zu versichern. Und die¬
jenigen, welche das wirklich seltene Glück hatten, sein Obligationenrecht, seine
geistvollen Vorträge über Wechsel, Jnhaberpaviere u. s. w. zu hören, — die
er so selten las — werden einen Abglanz dieser „ersten Liebe", dieser ent¬
scheidenden Stunde, welche Albrecht dem Lehrstuhl des deutschen Rechtes ge¬
wann, empfunden haben. Nirgend zeigte sich die reife Frucht der köstlichen
Gedankenarbeit, die Albrecht ebenso auszeichnete, als sie ihm Bedürfniß war,
schöner als hier. Die besondere Vorliebe für ein behagliches elegantes Nach¬
denken, die in seiner Natur lag, ist sicherlich das Haupthinderniß für eine
größere Productivität in literarischen Werken gewesen. Seine academische
Wirksamkeit hat sie dagegen außerordentlich erfolgreich gemacht, weil seine
Natur ihn nöthigte, immer von neuem, und unter Anlehnung an das Neueste
in der Literatur und im Leben der Nation, die von ihm erkannten Grund¬
wahrheiten des Rechtes durchzuarbeiten.

Als ein blutjunger Primaner war Albrecht nach der Universität abge¬
gangen. Und trotz seines für damalige Zeiten ungewöhnlich langen Studi¬
ums in Königsberg, Berlin und Göttingen, betrat er doch als ein für unsere
Begriffe noch blutjunger Privatdocent und Doctor der Rechte die academische
Laufbahn. Die Mitte der zwanziger Jahre hatte er kaum erreicht. Und
siebenundzwanzig Jahre zählte er erst, als seine klassische Schrift „die Gewere"
zum Druck ging und seinen Namen in alle Lande trug. Er war damals
schon Professor in Königsberg und sah den jugendlichen Eduard Simson
unter seinen ersten Schülern. Im Jahre 1830 folgte er dem Rufe nach
Göttingen, die durch den Abgang Eichhorn's nach Berlin erledigte Professur
und einen Sitz im Spruchcollegium anzunehmen. Sieben Jahre lang las er
hier unter wachsendem Andrang der studirenden Jugend, fern von jeder directen
Theilnahme an den Fragen und Bewegungen der Politik, welche seit 1833
durch die veränderten hannöverschen Versassungsverhältnifse die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich zogen.

Es gehörte in der That die göttliche Verblendung eines Welsen dazu, um
einen Mann wie Albrecht in die Opposition zu drängen, zu öffentlicher ent¬
schiedenster Parteinahme wider das gesetzlose Treiben der Krone zu nöthigen.
Aber andrerseits konnte auch niemand, der Albrecht kannte, daran zweifeln,
daß er männlich und entschieden Meineid Meineid und Versassungsbruch
Verfassungsbruch nennen werde, wenn man ihn persönlich in die hannöverschen
Verfassungswirren hineinzog. Die Geschichte des hannöverschen Staats¬
streiches von 1837, einem der häßlichsten Stücke, welches die Ruchlosigkeit und
Frechheit des dynastischen Particularismus in Deutschland aufgeführt, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135948"/>
          <p xml:id="ID_1219" prev="#ID_1218"> Den Ausschlag aber, diesen Rathschlägen Gehör zu schenken, gab bei Albrecht<lb/>
ein Colleg über Wechselrecht. &#x201E;Das Wechselrecht war meine erste Liebe",<lb/>
Pflegte er noch als alter Herr mit feurigem Ernst zu versichern. Und die¬<lb/>
jenigen, welche das wirklich seltene Glück hatten, sein Obligationenrecht, seine<lb/>
geistvollen Vorträge über Wechsel, Jnhaberpaviere u. s. w. zu hören, &#x2014; die<lb/>
er so selten las &#x2014; werden einen Abglanz dieser &#x201E;ersten Liebe", dieser ent¬<lb/>
scheidenden Stunde, welche Albrecht dem Lehrstuhl des deutschen Rechtes ge¬<lb/>
wann, empfunden haben. Nirgend zeigte sich die reife Frucht der köstlichen<lb/>
Gedankenarbeit, die Albrecht ebenso auszeichnete, als sie ihm Bedürfniß war,<lb/>
schöner als hier. Die besondere Vorliebe für ein behagliches elegantes Nach¬<lb/>
denken, die in seiner Natur lag, ist sicherlich das Haupthinderniß für eine<lb/>
größere Productivität in literarischen Werken gewesen. Seine academische<lb/>
Wirksamkeit hat sie dagegen außerordentlich erfolgreich gemacht, weil seine<lb/>
Natur ihn nöthigte, immer von neuem, und unter Anlehnung an das Neueste<lb/>
in der Literatur und im Leben der Nation, die von ihm erkannten Grund¬<lb/>
wahrheiten des Rechtes durchzuarbeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1220"> Als ein blutjunger Primaner war Albrecht nach der Universität abge¬<lb/>
gangen. Und trotz seines für damalige Zeiten ungewöhnlich langen Studi¬<lb/>
ums in Königsberg, Berlin und Göttingen, betrat er doch als ein für unsere<lb/>
Begriffe noch blutjunger Privatdocent und Doctor der Rechte die academische<lb/>
Laufbahn. Die Mitte der zwanziger Jahre hatte er kaum erreicht. Und<lb/>
siebenundzwanzig Jahre zählte er erst, als seine klassische Schrift &#x201E;die Gewere"<lb/>
zum Druck ging und seinen Namen in alle Lande trug. Er war damals<lb/>
schon Professor in Königsberg und sah den jugendlichen Eduard Simson<lb/>
unter seinen ersten Schülern. Im Jahre 1830 folgte er dem Rufe nach<lb/>
Göttingen, die durch den Abgang Eichhorn's nach Berlin erledigte Professur<lb/>
und einen Sitz im Spruchcollegium anzunehmen. Sieben Jahre lang las er<lb/>
hier unter wachsendem Andrang der studirenden Jugend, fern von jeder directen<lb/>
Theilnahme an den Fragen und Bewegungen der Politik, welche seit 1833<lb/>
durch die veränderten hannöverschen Versassungsverhältnifse die allgemeine<lb/>
Aufmerksamkeit auf sich zogen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1221" next="#ID_1222"> Es gehörte in der That die göttliche Verblendung eines Welsen dazu, um<lb/>
einen Mann wie Albrecht in die Opposition zu drängen, zu öffentlicher ent¬<lb/>
schiedenster Parteinahme wider das gesetzlose Treiben der Krone zu nöthigen.<lb/>
Aber andrerseits konnte auch niemand, der Albrecht kannte, daran zweifeln,<lb/>
daß er männlich und entschieden Meineid Meineid und Versassungsbruch<lb/>
Verfassungsbruch nennen werde, wenn man ihn persönlich in die hannöverschen<lb/>
Verfassungswirren hineinzog. Die Geschichte des hannöverschen Staats¬<lb/>
streiches von 1837, einem der häßlichsten Stücke, welches die Ruchlosigkeit und<lb/>
Frechheit des dynastischen Particularismus in Deutschland aufgeführt, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0367] Den Ausschlag aber, diesen Rathschlägen Gehör zu schenken, gab bei Albrecht ein Colleg über Wechselrecht. „Das Wechselrecht war meine erste Liebe", Pflegte er noch als alter Herr mit feurigem Ernst zu versichern. Und die¬ jenigen, welche das wirklich seltene Glück hatten, sein Obligationenrecht, seine geistvollen Vorträge über Wechsel, Jnhaberpaviere u. s. w. zu hören, — die er so selten las — werden einen Abglanz dieser „ersten Liebe", dieser ent¬ scheidenden Stunde, welche Albrecht dem Lehrstuhl des deutschen Rechtes ge¬ wann, empfunden haben. Nirgend zeigte sich die reife Frucht der köstlichen Gedankenarbeit, die Albrecht ebenso auszeichnete, als sie ihm Bedürfniß war, schöner als hier. Die besondere Vorliebe für ein behagliches elegantes Nach¬ denken, die in seiner Natur lag, ist sicherlich das Haupthinderniß für eine größere Productivität in literarischen Werken gewesen. Seine academische Wirksamkeit hat sie dagegen außerordentlich erfolgreich gemacht, weil seine Natur ihn nöthigte, immer von neuem, und unter Anlehnung an das Neueste in der Literatur und im Leben der Nation, die von ihm erkannten Grund¬ wahrheiten des Rechtes durchzuarbeiten. Als ein blutjunger Primaner war Albrecht nach der Universität abge¬ gangen. Und trotz seines für damalige Zeiten ungewöhnlich langen Studi¬ ums in Königsberg, Berlin und Göttingen, betrat er doch als ein für unsere Begriffe noch blutjunger Privatdocent und Doctor der Rechte die academische Laufbahn. Die Mitte der zwanziger Jahre hatte er kaum erreicht. Und siebenundzwanzig Jahre zählte er erst, als seine klassische Schrift „die Gewere" zum Druck ging und seinen Namen in alle Lande trug. Er war damals schon Professor in Königsberg und sah den jugendlichen Eduard Simson unter seinen ersten Schülern. Im Jahre 1830 folgte er dem Rufe nach Göttingen, die durch den Abgang Eichhorn's nach Berlin erledigte Professur und einen Sitz im Spruchcollegium anzunehmen. Sieben Jahre lang las er hier unter wachsendem Andrang der studirenden Jugend, fern von jeder directen Theilnahme an den Fragen und Bewegungen der Politik, welche seit 1833 durch die veränderten hannöverschen Versassungsverhältnifse die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Es gehörte in der That die göttliche Verblendung eines Welsen dazu, um einen Mann wie Albrecht in die Opposition zu drängen, zu öffentlicher ent¬ schiedenster Parteinahme wider das gesetzlose Treiben der Krone zu nöthigen. Aber andrerseits konnte auch niemand, der Albrecht kannte, daran zweifeln, daß er männlich und entschieden Meineid Meineid und Versassungsbruch Verfassungsbruch nennen werde, wenn man ihn persönlich in die hannöverschen Verfassungswirren hineinzog. Die Geschichte des hannöverschen Staats¬ streiches von 1837, einem der häßlichsten Stücke, welches die Ruchlosigkeit und Frechheit des dynastischen Particularismus in Deutschland aufgeführt, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/367
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/367>, abgerufen am 27.11.2024.