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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Waldungen in erster Berathung an eine besondere Commission verwiesen und
sodann die dritte Lesung des Amtssprachegesetzes begonnen und zu Ende ge¬
bracht. Seitens der polnischen Abgeordneten wurde bei dieser Gelegenheit
eine sehr unziemliche Sprache geführt, die jedoch Herrn Windthorst bei weitem
zu übertreffen gelang. Man muß an das alte Wort des Lucian denken:
"Du hast Unrecht, Zeus, denn Du bist zornig." Die verlorenen Sachen werden
mit Schimpfworten vertheidigt und die Träger hoffnungsloser Bestrebungen
gesellen sich als ohnmächtige Bundesgenossen. -- Selten genug mögen in
Deutschland diejenigen sein, welche der polnischen Nation einen Grad von
Theilnahme bewahrt haben und derselben einen Rest von Hoffnung lassen
möchten. Der Verfasser dieser Briefe bekennt sich als Einen dieser Wenigen
Aber wenn es schwer ist, im Unglück sich würdig und tadellos zu betragen,
so ist das Allerschwerste. für diejenigen Unglücklichen nicht die Sympathie zu
verlieren, welche durch ihr Unglück zu keiner Zeit gehoben, sondern nur
tiefer in Leidenschaft und Maßlosigkeit hineingetrieben werden. Wenn die Polen
zum Werth ihrer Sprache und zur geistigen Anlage ihrer Natur Vertrauen
hätten, so könnten sie den Untergang derselben nicht davon befürchten, daß
die niederen Klassen in Posen zur Erlernung der deutschen Sprache genöthigt
werden. Eine Literatur und Sprache ist gerettet, so lange sie noch Blüthen
der Bildung treibt, während der Gebrauch als Volksdialekt durchaus keine
politische Bedeutung hat. So stören die zahlreichen Volksdialekte in Frank¬
reich die politische Einheit der Nation nicht, weil sie das unwiderstehliche
Uebergewicht der gebildeten Sprache nicht aufheben. --

Nunmehr beginnen auch die Sitzungen des Herrenhauses zahlreicher zu
werden, auf dessen Verhandlungen wir daher einen Blick werfen müssen.
Am 13. Mai handelte es sich theils um erste Berathungen, theils um tech¬
nische Gesetze. Am 18. Mai wurde das vom Abgeordnetenhaus herüberge¬
kommene Gesetz, betreffend die Uebertragung der Eisenbahnrechte des preußischen
Staates auf das Reich, berathen. Eine buntere Gegnerschaft, die zum Glück
eine kleine Minorität blieb, hat wohl selten ein Gesetz gefunden. Partikula¬
rsten vom reinsten Wasser, wie die Herren v. Senfft-Pilsach, Graf Lippe
und Kleist - Retzow, daneben der liberale Herr Hasselbach als Anwalt der
Privatbahninteressen und endlich der zäheste und confuseste aller Doktrinäre
Herr Georg Beseler. Dieses ehemalige Mitglied der erbkaiserlichen Partei zu
Frankfurt hat das seltsame Unglück, bei jeder Lebensfrage des nationalen
Gedankens sich so in den Schlingen seiner Doktrin zu fangen, daß er in die
Arme seiner eignen Gegner fällt. Diesmal kam er aus dem alten Schimmel
des correkten Bundesstaates angeritten, den wir längst durch den Gnadenstoß



D. R.

Waldungen in erster Berathung an eine besondere Commission verwiesen und
sodann die dritte Lesung des Amtssprachegesetzes begonnen und zu Ende ge¬
bracht. Seitens der polnischen Abgeordneten wurde bei dieser Gelegenheit
eine sehr unziemliche Sprache geführt, die jedoch Herrn Windthorst bei weitem
zu übertreffen gelang. Man muß an das alte Wort des Lucian denken:
„Du hast Unrecht, Zeus, denn Du bist zornig." Die verlorenen Sachen werden
mit Schimpfworten vertheidigt und die Träger hoffnungsloser Bestrebungen
gesellen sich als ohnmächtige Bundesgenossen. — Selten genug mögen in
Deutschland diejenigen sein, welche der polnischen Nation einen Grad von
Theilnahme bewahrt haben und derselben einen Rest von Hoffnung lassen
möchten. Der Verfasser dieser Briefe bekennt sich als Einen dieser Wenigen
Aber wenn es schwer ist, im Unglück sich würdig und tadellos zu betragen,
so ist das Allerschwerste. für diejenigen Unglücklichen nicht die Sympathie zu
verlieren, welche durch ihr Unglück zu keiner Zeit gehoben, sondern nur
tiefer in Leidenschaft und Maßlosigkeit hineingetrieben werden. Wenn die Polen
zum Werth ihrer Sprache und zur geistigen Anlage ihrer Natur Vertrauen
hätten, so könnten sie den Untergang derselben nicht davon befürchten, daß
die niederen Klassen in Posen zur Erlernung der deutschen Sprache genöthigt
werden. Eine Literatur und Sprache ist gerettet, so lange sie noch Blüthen
der Bildung treibt, während der Gebrauch als Volksdialekt durchaus keine
politische Bedeutung hat. So stören die zahlreichen Volksdialekte in Frank¬
reich die politische Einheit der Nation nicht, weil sie das unwiderstehliche
Uebergewicht der gebildeten Sprache nicht aufheben. —

Nunmehr beginnen auch die Sitzungen des Herrenhauses zahlreicher zu
werden, auf dessen Verhandlungen wir daher einen Blick werfen müssen.
Am 13. Mai handelte es sich theils um erste Berathungen, theils um tech¬
nische Gesetze. Am 18. Mai wurde das vom Abgeordnetenhaus herüberge¬
kommene Gesetz, betreffend die Uebertragung der Eisenbahnrechte des preußischen
Staates auf das Reich, berathen. Eine buntere Gegnerschaft, die zum Glück
eine kleine Minorität blieb, hat wohl selten ein Gesetz gefunden. Partikula¬
rsten vom reinsten Wasser, wie die Herren v. Senfft-Pilsach, Graf Lippe
und Kleist - Retzow, daneben der liberale Herr Hasselbach als Anwalt der
Privatbahninteressen und endlich der zäheste und confuseste aller Doktrinäre
Herr Georg Beseler. Dieses ehemalige Mitglied der erbkaiserlichen Partei zu
Frankfurt hat das seltsame Unglück, bei jeder Lebensfrage des nationalen
Gedankens sich so in den Schlingen seiner Doktrin zu fangen, daß er in die
Arme seiner eignen Gegner fällt. Diesmal kam er aus dem alten Schimmel
des correkten Bundesstaates angeritten, den wir längst durch den Gnadenstoß



D. R.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/360>, abgerufen am 27.11.2024.