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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Heimathsgefühl, in die subjektive Anschauung der handelnden und redenden
Gestalten mit unsichtbaren Fäden verschlungen.

Mit ähnlicher Kraft ist die "Belagerung von Pfalzburg" und die
Katastrophe "Waterloo" geschrieben. Von anderen Erzählungen heben wir
nur die "lliswire ü'un jsuns Komme an peuplv" und die "Histoirs ä'un
pÄ^San" hervor, die beide, wenn wir nicht irren, in die Sammlung der natio¬
nalen Romane aufgenommen sind.

Obwohl dieselben französisch geschrieben sind, und stellenweise in der
Malerei den Franzosen unverkennbar zeichnen, so zeigen sie doch anderseits
einen tiefen Anklang an deutsches Wesen. Wir meinen damit vor allem
jenen Sinn für das Kleine, der in die Jndtvidualisirung hinuntersteigt, und
die Reflexe großer weltbewegender Thatsachen in der Tiefe des einzelnen
Herzens sucht. Was den Verfasser indessen noch mehr dem deutschen Leser
nähert, das ist die Wahrheit seiner Gestalten und die Treue seiner Zeichnung;
es ist nicht die Feder des Parisers, die hier schreibt, sondern es ist die Stimme
des Elsässers, der geistig und auch stofflich auf seinem eigenen Boden bleibt. --

Nicht weit von Höh Barr, wo wir unsere Umschau begonnen, stand
einst der Markstein, der das Gebiet der Bischöfe von dem der Aebte zu
Maursmünster schied. Die Gründung dieses Stiftes wird bis in die früheste
Zeit gerückt. Schon im Jahre SSL soll die erste Kirche daselbst geweiht
worden sein, andere Zeugnisse greifen auf das Jahr 724 und Thatsache ist
jedenfalls der große Brand, der zur Zeit Ludwig des Frommen den schon
historischen Bau zerstörte. Drogo der Bischof von Metz, ein natürlicher Sohn
Karl's des Großen, weihte dqs Stift von neuem, das bald nicht nur für eine
der ältesten, sondern auch für eine der mächtigsten Abteien im Elsaß galt.

Die jetzige Kirche, die als ein "Kleinod der kirchlichen Architektur im
Elsaß" betrachtet wird, mag in ihren ältesten Theilen etwa aus dem XII. Jahr¬
hundert stammen, die übrigen wurden später hinzugebaut, ohne jedoch den
entschiedenen Eindruck romanischen Sryles, den die Facade macht, zu verdrängen.
Die Eingangshalle zeigt drei herrliche Bogen, aber die Fenster sind so klein,
daß sie nur wie Ritzen in der Mauer erscheinen; nur zwei davon haben reiche
Ornamente.

Die Oberhoheit über die gesammte Abtei hatten die Bischöfe von Metz
und der strenge Brauch jener Zeiten wollte, daß jeder neue Abt vor dem
Bischof auf die Knie sank, wenn er das erstemal kam um ihm zu huldigen.

Um so mehr waren sie my.es unten hin auf ihrem weiten Besitze und
gegen ihre zahllosen Hörigen allmächtige Gebieter. Das Rechtsverhältniß, wie
es sich hier zu Land und Leuten entwickelt hatte, tritt uns aus einer Reihe
von Urkunden entgegen, die vor etwa zwölf Jahren veröffentlicht worden sind*).^



') Bgl. vllriositös a'^Isavö II. 1863.

Heimathsgefühl, in die subjektive Anschauung der handelnden und redenden
Gestalten mit unsichtbaren Fäden verschlungen.

Mit ähnlicher Kraft ist die „Belagerung von Pfalzburg" und die
Katastrophe „Waterloo" geschrieben. Von anderen Erzählungen heben wir
nur die „lliswire ü'un jsuns Komme an peuplv" und die „Histoirs ä'un
pÄ^San" hervor, die beide, wenn wir nicht irren, in die Sammlung der natio¬
nalen Romane aufgenommen sind.

Obwohl dieselben französisch geschrieben sind, und stellenweise in der
Malerei den Franzosen unverkennbar zeichnen, so zeigen sie doch anderseits
einen tiefen Anklang an deutsches Wesen. Wir meinen damit vor allem
jenen Sinn für das Kleine, der in die Jndtvidualisirung hinuntersteigt, und
die Reflexe großer weltbewegender Thatsachen in der Tiefe des einzelnen
Herzens sucht. Was den Verfasser indessen noch mehr dem deutschen Leser
nähert, das ist die Wahrheit seiner Gestalten und die Treue seiner Zeichnung;
es ist nicht die Feder des Parisers, die hier schreibt, sondern es ist die Stimme
des Elsässers, der geistig und auch stofflich auf seinem eigenen Boden bleibt. —

Nicht weit von Höh Barr, wo wir unsere Umschau begonnen, stand
einst der Markstein, der das Gebiet der Bischöfe von dem der Aebte zu
Maursmünster schied. Die Gründung dieses Stiftes wird bis in die früheste
Zeit gerückt. Schon im Jahre SSL soll die erste Kirche daselbst geweiht
worden sein, andere Zeugnisse greifen auf das Jahr 724 und Thatsache ist
jedenfalls der große Brand, der zur Zeit Ludwig des Frommen den schon
historischen Bau zerstörte. Drogo der Bischof von Metz, ein natürlicher Sohn
Karl's des Großen, weihte dqs Stift von neuem, das bald nicht nur für eine
der ältesten, sondern auch für eine der mächtigsten Abteien im Elsaß galt.

Die jetzige Kirche, die als ein „Kleinod der kirchlichen Architektur im
Elsaß" betrachtet wird, mag in ihren ältesten Theilen etwa aus dem XII. Jahr¬
hundert stammen, die übrigen wurden später hinzugebaut, ohne jedoch den
entschiedenen Eindruck romanischen Sryles, den die Facade macht, zu verdrängen.
Die Eingangshalle zeigt drei herrliche Bogen, aber die Fenster sind so klein,
daß sie nur wie Ritzen in der Mauer erscheinen; nur zwei davon haben reiche
Ornamente.

Die Oberhoheit über die gesammte Abtei hatten die Bischöfe von Metz
und der strenge Brauch jener Zeiten wollte, daß jeder neue Abt vor dem
Bischof auf die Knie sank, wenn er das erstemal kam um ihm zu huldigen.

Um so mehr waren sie my.es unten hin auf ihrem weiten Besitze und
gegen ihre zahllosen Hörigen allmächtige Gebieter. Das Rechtsverhältniß, wie
es sich hier zu Land und Leuten entwickelt hatte, tritt uns aus einer Reihe
von Urkunden entgegen, die vor etwa zwölf Jahren veröffentlicht worden sind*).^



') Bgl. vllriositös a'^Isavö II. 1863.
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[0353] Heimathsgefühl, in die subjektive Anschauung der handelnden und redenden Gestalten mit unsichtbaren Fäden verschlungen. Mit ähnlicher Kraft ist die „Belagerung von Pfalzburg" und die Katastrophe „Waterloo" geschrieben. Von anderen Erzählungen heben wir nur die „lliswire ü'un jsuns Komme an peuplv" und die „Histoirs ä'un pÄ^San" hervor, die beide, wenn wir nicht irren, in die Sammlung der natio¬ nalen Romane aufgenommen sind. Obwohl dieselben französisch geschrieben sind, und stellenweise in der Malerei den Franzosen unverkennbar zeichnen, so zeigen sie doch anderseits einen tiefen Anklang an deutsches Wesen. Wir meinen damit vor allem jenen Sinn für das Kleine, der in die Jndtvidualisirung hinuntersteigt, und die Reflexe großer weltbewegender Thatsachen in der Tiefe des einzelnen Herzens sucht. Was den Verfasser indessen noch mehr dem deutschen Leser nähert, das ist die Wahrheit seiner Gestalten und die Treue seiner Zeichnung; es ist nicht die Feder des Parisers, die hier schreibt, sondern es ist die Stimme des Elsässers, der geistig und auch stofflich auf seinem eigenen Boden bleibt. — Nicht weit von Höh Barr, wo wir unsere Umschau begonnen, stand einst der Markstein, der das Gebiet der Bischöfe von dem der Aebte zu Maursmünster schied. Die Gründung dieses Stiftes wird bis in die früheste Zeit gerückt. Schon im Jahre SSL soll die erste Kirche daselbst geweiht worden sein, andere Zeugnisse greifen auf das Jahr 724 und Thatsache ist jedenfalls der große Brand, der zur Zeit Ludwig des Frommen den schon historischen Bau zerstörte. Drogo der Bischof von Metz, ein natürlicher Sohn Karl's des Großen, weihte dqs Stift von neuem, das bald nicht nur für eine der ältesten, sondern auch für eine der mächtigsten Abteien im Elsaß galt. Die jetzige Kirche, die als ein „Kleinod der kirchlichen Architektur im Elsaß" betrachtet wird, mag in ihren ältesten Theilen etwa aus dem XII. Jahr¬ hundert stammen, die übrigen wurden später hinzugebaut, ohne jedoch den entschiedenen Eindruck romanischen Sryles, den die Facade macht, zu verdrängen. Die Eingangshalle zeigt drei herrliche Bogen, aber die Fenster sind so klein, daß sie nur wie Ritzen in der Mauer erscheinen; nur zwei davon haben reiche Ornamente. Die Oberhoheit über die gesammte Abtei hatten die Bischöfe von Metz und der strenge Brauch jener Zeiten wollte, daß jeder neue Abt vor dem Bischof auf die Knie sank, wenn er das erstemal kam um ihm zu huldigen. Um so mehr waren sie my.es unten hin auf ihrem weiten Besitze und gegen ihre zahllosen Hörigen allmächtige Gebieter. Das Rechtsverhältniß, wie es sich hier zu Land und Leuten entwickelt hatte, tritt uns aus einer Reihe von Urkunden entgegen, die vor etwa zwölf Jahren veröffentlicht worden sind*).^ ') Bgl. vllriositös a'^Isavö II. 1863.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/353>, abgerufen am 28.07.2024.