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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Noch mühevoller aber, als der Kampf mit den grünen Stämmen ist es,
das geschlagene Holz nun zu Thal zu bringen, und hier bieten uns die dichten
Wälder, die die Grenze zwischen Elsaß und Lothringen bedecken, manch originelles
Bild. Es sind eigene Pfade angelegt, förmliche Geleise, auf denen die schwere
Last in Schlitten hinabgezogen wird. Thurmhoch ist das Fahrzeug geladen
und eine riesige Kraft braucht der, der den Schlitten führt. Man nennt
solche Leute mit einem Wort, das ebenso auf der Grenze zweier Sprachen
steht, wie die Sache selbst aus der Grenze zweier Länder: Schlitteurs; ihre
Redeweise ist überwiegend mit französischen Elementen versetzt, doch die Ge¬
müthswelt, in der sie stehen, die Märchen die sie erzählen, sind ebenso über¬
wiegend deutsch. Diejenigen, deren Waldgebiet sich mehr den großen Ver¬
kehrswegen nähert, haben natürlich manches von ihrer Echtheit abgestreift,
allein noch immer gibt es in den Vogesen weite Strecken, wo lautlose Ein¬
samkeit die hundertjährige Sitte schützt, und wo selbst die furchtbaren Wetter -
schlüge von 1870 nur ein fernes Echo fanden.

Auf diesem Boden hier stehen auch die glänzenden Bilder, welche Erk-
mann-Chatrian hat. Die Zeit, in welcher die Erzählungen des geistvollen
Meisterpaares spielen, ist nicht selten die Epoche des ersten Kaiserreichs; ihre
Bühne aber ist die tief verschneite eisfunkelnde Winterlandschaft der Vogesen.
Das Drama, das der Krieg von 1813 und der Januar 1814 in diese stillen
Thäler trug, wird mitten um uns lebendig. Wir sehen das alte hagere Weib,
das wie eine Druide die Truppen über den Saumpfad leitet, wir sehen, wie
die weltgeschichtlichen Ereignisse in der Seele des schlichten Mannes nach¬
klingen, wie der furchtbare Stoß, den Revolution und Kaiserthum in das
Herz von Frankreich geführt, sich bis an die Peripherien fortpflanzt. So
spricht uns die "Geschichte eines Rekruten" an. Napoleon rüstet sich zum
russischen Feldzug. durch alle Dörfer im Elsaß ziehen die Soldaten, und neu¬
gierig blicken die Leute durchs Fenster, wie immer neue und neue Massen
kommen. Dem kleinen Bürger wird bange vor so viel Größe; auch er ist
zwar halb berauscht von dem süßen Gift, von der epidemischen Gewalt der
Glotre, aber dennoch geht durch sein schlichtes und deshalb richtiger empfin¬
dendes Gemüth die Ahnung, daß das Unheil nahe ist. Immer tiefer greifen
die Hiobsposten, die aus den Schneefeldern von Rußland kommen, in alles
Denken, Leben der Familien ein; blutjunge Knaben werden ausgehoben, kein
Alter, kein Gebrechen schützt mehr vor der Unersättlichkeit des Krieges. All
das und alles was die Soldaten jener Zeit erlebt (wenn sie es überlebten)
die ganze Stufenleiter, vom Delirium des Kampfes bis zur stumpfen hoff"
nungslosen Wiederkehr, ist mit einer vollendeten Meisterschaft, mit einer auf¬
regenden Wahrheit geschildert, und dennoch sind die großen fernliegendem Ein¬
drücke immer wieder auf den lokalen kleinen Kreis zurückgeführt und in das


Noch mühevoller aber, als der Kampf mit den grünen Stämmen ist es,
das geschlagene Holz nun zu Thal zu bringen, und hier bieten uns die dichten
Wälder, die die Grenze zwischen Elsaß und Lothringen bedecken, manch originelles
Bild. Es sind eigene Pfade angelegt, förmliche Geleise, auf denen die schwere
Last in Schlitten hinabgezogen wird. Thurmhoch ist das Fahrzeug geladen
und eine riesige Kraft braucht der, der den Schlitten führt. Man nennt
solche Leute mit einem Wort, das ebenso auf der Grenze zweier Sprachen
steht, wie die Sache selbst aus der Grenze zweier Länder: Schlitteurs; ihre
Redeweise ist überwiegend mit französischen Elementen versetzt, doch die Ge¬
müthswelt, in der sie stehen, die Märchen die sie erzählen, sind ebenso über¬
wiegend deutsch. Diejenigen, deren Waldgebiet sich mehr den großen Ver¬
kehrswegen nähert, haben natürlich manches von ihrer Echtheit abgestreift,
allein noch immer gibt es in den Vogesen weite Strecken, wo lautlose Ein¬
samkeit die hundertjährige Sitte schützt, und wo selbst die furchtbaren Wetter -
schlüge von 1870 nur ein fernes Echo fanden.

Auf diesem Boden hier stehen auch die glänzenden Bilder, welche Erk-
mann-Chatrian hat. Die Zeit, in welcher die Erzählungen des geistvollen
Meisterpaares spielen, ist nicht selten die Epoche des ersten Kaiserreichs; ihre
Bühne aber ist die tief verschneite eisfunkelnde Winterlandschaft der Vogesen.
Das Drama, das der Krieg von 1813 und der Januar 1814 in diese stillen
Thäler trug, wird mitten um uns lebendig. Wir sehen das alte hagere Weib,
das wie eine Druide die Truppen über den Saumpfad leitet, wir sehen, wie
die weltgeschichtlichen Ereignisse in der Seele des schlichten Mannes nach¬
klingen, wie der furchtbare Stoß, den Revolution und Kaiserthum in das
Herz von Frankreich geführt, sich bis an die Peripherien fortpflanzt. So
spricht uns die „Geschichte eines Rekruten" an. Napoleon rüstet sich zum
russischen Feldzug. durch alle Dörfer im Elsaß ziehen die Soldaten, und neu¬
gierig blicken die Leute durchs Fenster, wie immer neue und neue Massen
kommen. Dem kleinen Bürger wird bange vor so viel Größe; auch er ist
zwar halb berauscht von dem süßen Gift, von der epidemischen Gewalt der
Glotre, aber dennoch geht durch sein schlichtes und deshalb richtiger empfin¬
dendes Gemüth die Ahnung, daß das Unheil nahe ist. Immer tiefer greifen
die Hiobsposten, die aus den Schneefeldern von Rußland kommen, in alles
Denken, Leben der Familien ein; blutjunge Knaben werden ausgehoben, kein
Alter, kein Gebrechen schützt mehr vor der Unersättlichkeit des Krieges. All
das und alles was die Soldaten jener Zeit erlebt (wenn sie es überlebten)
die ganze Stufenleiter, vom Delirium des Kampfes bis zur stumpfen hoff"
nungslosen Wiederkehr, ist mit einer vollendeten Meisterschaft, mit einer auf¬
regenden Wahrheit geschildert, und dennoch sind die großen fernliegendem Ein¬
drücke immer wieder auf den lokalen kleinen Kreis zurückgeführt und in das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/352>, abgerufen am 27.11.2024.