Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.seines Nachbars, auf Lützelhart gefangen sei, der Wächter war einer seiner Als dieser seinen Herrn erkannt, bot er ihm willig seine Hülfe zur Noch eine andere Burg, die am Eingang des Zornthals liegt, sei hier Die Kapelle, an die wir nun gelangen, ist Se. Veit gewidmet, sie ist
Die wunderbare Heilung, welche so viele Besessene hier fanden, hat dem seines Nachbars, auf Lützelhart gefangen sei, der Wächter war einer seiner Als dieser seinen Herrn erkannt, bot er ihm willig seine Hülfe zur Noch eine andere Burg, die am Eingang des Zornthals liegt, sei hier Die Kapelle, an die wir nun gelangen, ist Se. Veit gewidmet, sie ist
Die wunderbare Heilung, welche so viele Besessene hier fanden, hat dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135931"/> <p xml:id="ID_1145" prev="#ID_1144"> seines Nachbars, auf Lützelhart gefangen sei, der Wächter war einer seiner<lb/> eigenen Mannen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1146"> Als dieser seinen Herrn erkannt, bot er ihm willig seine Hülfe zur<lb/> Flucht; an einem Festtag, da fast Alles gen Selbach zur Kirche zog, und<lb/> auch der Ritter von Lützelhart selber „nicht anheimisch was", stiegen sie über<lb/> die Mauer und kamen sachte vor das Thor zu Geroldseck. Weib und Kinder<lb/> kannten ihn nimmer, den abgehärmten bleichen Mann, der da vor ihre Augen<lb/> trat, ja man hielt ihn sogar für einen Betrüger, bis er begann, der Mutter<lb/> leise Worte ins Ohr zu flüstern aus den geheimen Erinnerungen ihres Glücks,<lb/> von allen Sorgen und Freuden, die sie jemals getheilt. Nun fiel sie ihm<lb/> schluchzend um den Hals, die tapferen Söhne aber griffen nach Schild und<lb/> Schwert und riefen alle Vettern und Freunde zusammen, um das Leid ihres<lb/> Vaters zu rächen. Schloß Lützelhart, vor das sie zogen, ward eingenommen<lb/> und „zerbrochen".</p><lb/> <p xml:id="ID_1147"> Noch eine andere Burg, die am Eingang des Zornthals liegt, sei hier<lb/> erwähnt: ihr Name ist Greifenstein und auch auf ihren Mauern liegt noch<lb/> die Last schwerer Schuld, vergeblich harrt die bleiche weiße Frau, die da am<lb/> Rande der Felsen wandelt, auf ihre Erlösung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1148"> Die Kapelle, an die wir nun gelangen, ist Se. Veit gewidmet, sie ist<lb/> ein Wallfahrtsort, der noch jetzt vielfach besucht wird, obwohl ihre historische<lb/> Bedeutung in jene Zeit fällt, da die Tanzwuth epidemisch die Massen ergriff.<lb/> Schon 1417 und noch einmal später 1318 war dies Uebel in Straßburg so<lb/> schlimm geworden, daß man die Kranken auf eigene Wagen lud und Hieher<lb/> verbrachte; auch alle Chroniken der Zeit verzeichnen die merkwürdige Erschei¬<lb/> nung und sprechen nur mit leisem Grauen von einer Krankheit, die man<lb/> direkt auf den Einfluß des Teufels schob.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_8" type="poem"> <l> „Viel hundert fingen zu Straßburg an<lb/> Zu tanzen und springen, Frau und Mann<lb/> An offenem Markt, Gassen und Straßen,<lb/> Tag und Nacht ihrer viel nicht aßen<lb/> Bis ihnen das Wüthen wieder gelag<lb/> Se. Vitus-Tanz ward genannt die Plag."</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1149" next="#ID_1150"> Die wunderbare Heilung, welche so viele Besessene hier fanden, hat dem<lb/> stillen Heiligthum zuerst den Ruf geheimer Wunderkraft gewährt. Zahlreiche<lb/> Votivgeschenke, die in der Kapelle verwahrt sind, geben davon Zeugniß, sie<lb/> tragen meist die Form von eisernen Kröten; denn eben dies Thier hat eine<lb/> uralte symbolische Beziehung zum Weibe. Eine geläufige Sitte war es<lb/> auch, daß Pilger, die mit irgend welcher Krankheit Hieher kamen, ihre Stöcke<lb/> in der Nähe der Kirche zurückließen, wer dieselben zufällig aufnahm, auf den<lb/> sollte die Krankheit übergehen, von der sie selber genasen. Solch menschen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0350]
seines Nachbars, auf Lützelhart gefangen sei, der Wächter war einer seiner
eigenen Mannen.
Als dieser seinen Herrn erkannt, bot er ihm willig seine Hülfe zur
Flucht; an einem Festtag, da fast Alles gen Selbach zur Kirche zog, und
auch der Ritter von Lützelhart selber „nicht anheimisch was", stiegen sie über
die Mauer und kamen sachte vor das Thor zu Geroldseck. Weib und Kinder
kannten ihn nimmer, den abgehärmten bleichen Mann, der da vor ihre Augen
trat, ja man hielt ihn sogar für einen Betrüger, bis er begann, der Mutter
leise Worte ins Ohr zu flüstern aus den geheimen Erinnerungen ihres Glücks,
von allen Sorgen und Freuden, die sie jemals getheilt. Nun fiel sie ihm
schluchzend um den Hals, die tapferen Söhne aber griffen nach Schild und
Schwert und riefen alle Vettern und Freunde zusammen, um das Leid ihres
Vaters zu rächen. Schloß Lützelhart, vor das sie zogen, ward eingenommen
und „zerbrochen".
Noch eine andere Burg, die am Eingang des Zornthals liegt, sei hier
erwähnt: ihr Name ist Greifenstein und auch auf ihren Mauern liegt noch
die Last schwerer Schuld, vergeblich harrt die bleiche weiße Frau, die da am
Rande der Felsen wandelt, auf ihre Erlösung.
Die Kapelle, an die wir nun gelangen, ist Se. Veit gewidmet, sie ist
ein Wallfahrtsort, der noch jetzt vielfach besucht wird, obwohl ihre historische
Bedeutung in jene Zeit fällt, da die Tanzwuth epidemisch die Massen ergriff.
Schon 1417 und noch einmal später 1318 war dies Uebel in Straßburg so
schlimm geworden, daß man die Kranken auf eigene Wagen lud und Hieher
verbrachte; auch alle Chroniken der Zeit verzeichnen die merkwürdige Erschei¬
nung und sprechen nur mit leisem Grauen von einer Krankheit, die man
direkt auf den Einfluß des Teufels schob.
„Viel hundert fingen zu Straßburg an
Zu tanzen und springen, Frau und Mann
An offenem Markt, Gassen und Straßen,
Tag und Nacht ihrer viel nicht aßen
Bis ihnen das Wüthen wieder gelag
Se. Vitus-Tanz ward genannt die Plag."
Die wunderbare Heilung, welche so viele Besessene hier fanden, hat dem
stillen Heiligthum zuerst den Ruf geheimer Wunderkraft gewährt. Zahlreiche
Votivgeschenke, die in der Kapelle verwahrt sind, geben davon Zeugniß, sie
tragen meist die Form von eisernen Kröten; denn eben dies Thier hat eine
uralte symbolische Beziehung zum Weibe. Eine geläufige Sitte war es
auch, daß Pilger, die mit irgend welcher Krankheit Hieher kamen, ihre Stöcke
in der Nähe der Kirche zurückließen, wer dieselben zufällig aufnahm, auf den
sollte die Krankheit übergehen, von der sie selber genasen. Solch menschen-
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