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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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geführt habe. Dabei werden eine Anzahl Namen, z. B. Abraham, Moses,
Gottfried, Ulrich, Katharina, Agnes angeführt, ihr Sinn erläutert und die
Ermahnung hinzugefügt, daß man nach demselben leben möge. Daran
schließt sich eine Geschichte vom Papst Marcellus, und auf diese folgt eine
Suppe von lateinischen Versen und Floskeln, wie sie dem Prediger gerade
einfallen. Beim zweiten Theile aber führt er aus, daß man die Namen der
Borältern weder verändern noch ablegen soll, was mit dem Beispiele Cicero's,
des jüdischen Historikers Josephus und Anderer bewiesen wird. Dann giebt
es noch ein paar Anekdoten, und hierauf kommt der würdige Hirt
der Seelen Meißens kurz und rund zum Schlüsse: "Genug auf dießmal! Ihr
habt gehört 1) wer Jonas gewesen, 2) wem er angehört. Gott helfe, daß
wir's behalten und selig brauchen mögen! Amen!" Behalten wird man von
diesem abgeschmackten Allerlei schwerlich viel haben, und wie man es selig ge¬
braucht haben sollte, wird kaum jemand errathen können.

Die Witzelei und Wortspielerei Abraham's a Sancta Clara kommt in
der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts auch auf protestantischen
Kanzeln vor, doch ist der Ton fast durchgehends ernster. Hier und da aber
huldigen Prediger um diese Zeit schon den süßlichen Bilderschwulst, von dem
später manche Pietisten und namentlich die Herrnhuter überfließen.

Valerius Herberger behandelt in einer 1611 gehaltenen Predigt
das Thema: "Geistlicher kräftiger Rosenzucker für schwindsüchtige Leute, zu¬
gerichtet aus etlichen Trosttropfen des 39. Psalmen." "Ich will berichten",
sagte er: "1) Was alle Gottliebenden Herzen bei allen Krankheiten und
demnach auch bei der Schwindsucht sollen wissen und bedenken; 2) wie sich
ein frommes christliches Herz bei der Schwindsucht löblich soll verhalten,
damit es Gott nicht erzürne, sondern desto mehr seiner Gnade sich zu trösten
habe." Schluß der Predigt: "Suchet Herfür die Krüglein und Näpflein,
eures Gedächtnisses; ich als ein geistlicher Apotheker will mit Gottes Hülfe
und Beistand eure Herzen stillen, daß sie von Lehr und Trost unten und
oben voll sein sollen. Amen." Ein ander Mal predigte er über "die blut¬
saure Bauersarbeit unsers Herrn Jesu Christi, des allerbereitsamsten Bauers
des geistlichen Kirchenackers der werthen Christenheit." Dergleichen Geblümel
wuchs in dieser Zeit an vielen Orten, später vorzüglich im Paradies-Gärtlein
und vor dem Lämmleinpferch der Zinzendorfischen, wo auch die geistliche Poesie
anmuthige Blüthen trieb, z. B. die folgende:


"Was ist ein Kreuzlufthühnelein?
Sollt's auch ein Kreuzluftputtchen sein.
Ein Thierlein, so die Henne reucht,
Mit welcher sich das Lamm vergleicht
Dort bei Jerusalem."

geführt habe. Dabei werden eine Anzahl Namen, z. B. Abraham, Moses,
Gottfried, Ulrich, Katharina, Agnes angeführt, ihr Sinn erläutert und die
Ermahnung hinzugefügt, daß man nach demselben leben möge. Daran
schließt sich eine Geschichte vom Papst Marcellus, und auf diese folgt eine
Suppe von lateinischen Versen und Floskeln, wie sie dem Prediger gerade
einfallen. Beim zweiten Theile aber führt er aus, daß man die Namen der
Borältern weder verändern noch ablegen soll, was mit dem Beispiele Cicero's,
des jüdischen Historikers Josephus und Anderer bewiesen wird. Dann giebt
es noch ein paar Anekdoten, und hierauf kommt der würdige Hirt
der Seelen Meißens kurz und rund zum Schlüsse: „Genug auf dießmal! Ihr
habt gehört 1) wer Jonas gewesen, 2) wem er angehört. Gott helfe, daß
wir's behalten und selig brauchen mögen! Amen!" Behalten wird man von
diesem abgeschmackten Allerlei schwerlich viel haben, und wie man es selig ge¬
braucht haben sollte, wird kaum jemand errathen können.

Die Witzelei und Wortspielerei Abraham's a Sancta Clara kommt in
der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts auch auf protestantischen
Kanzeln vor, doch ist der Ton fast durchgehends ernster. Hier und da aber
huldigen Prediger um diese Zeit schon den süßlichen Bilderschwulst, von dem
später manche Pietisten und namentlich die Herrnhuter überfließen.

Valerius Herberger behandelt in einer 1611 gehaltenen Predigt
das Thema: „Geistlicher kräftiger Rosenzucker für schwindsüchtige Leute, zu¬
gerichtet aus etlichen Trosttropfen des 39. Psalmen." „Ich will berichten",
sagte er: „1) Was alle Gottliebenden Herzen bei allen Krankheiten und
demnach auch bei der Schwindsucht sollen wissen und bedenken; 2) wie sich
ein frommes christliches Herz bei der Schwindsucht löblich soll verhalten,
damit es Gott nicht erzürne, sondern desto mehr seiner Gnade sich zu trösten
habe." Schluß der Predigt: „Suchet Herfür die Krüglein und Näpflein,
eures Gedächtnisses; ich als ein geistlicher Apotheker will mit Gottes Hülfe
und Beistand eure Herzen stillen, daß sie von Lehr und Trost unten und
oben voll sein sollen. Amen." Ein ander Mal predigte er über „die blut¬
saure Bauersarbeit unsers Herrn Jesu Christi, des allerbereitsamsten Bauers
des geistlichen Kirchenackers der werthen Christenheit." Dergleichen Geblümel
wuchs in dieser Zeit an vielen Orten, später vorzüglich im Paradies-Gärtlein
und vor dem Lämmleinpferch der Zinzendorfischen, wo auch die geistliche Poesie
anmuthige Blüthen trieb, z. B. die folgende:


„Was ist ein Kreuzlufthühnelein?
Sollt's auch ein Kreuzluftputtchen sein.
Ein Thierlein, so die Henne reucht,
Mit welcher sich das Lamm vergleicht
Dort bei Jerusalem."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/342>, abgerufen am 28.07.2024.