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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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ihm dagegen auf, daß er ihm zu Ehren schuldigen Gehorsam und Dankbar¬
keit nur ein Pflaumfederlein alle Tage ein Feldweges tragen oder sich mit
einer Stecknadel ein wenig ritzen und einstechen lassen soll, daß das Blut hernach
ginge, und ein Mensch wollt sich deß beschweren, murren und fluchen wider
seinen Erlöser, Lieber, was würde es doch für ein Ansehen haben? Wäre ein
solcher Erzbösewicht und undankbarer Schelm nicht werth, daß man ihm
Land, Leute, Geld, Gut wiedernähme und ihn dem Henker am Strick über¬
antwortet? Wie viel mehr aber sind die ungeschlachten Hölzlein der ewigen
höllischen Verdammniß werth, welche der Herr Christus von ewiger höllischer
Marter, Qual und Pein allergnädigst erlöset und sie zu Himmelsfürsten
gemacht."

Der Kanzler zu Tübingen, Jacob Heerbrand (um 1577) sagt in einer
Predigt vom Wege zum ewigen Leben: "Welche diesen Weg nicht gehen wol¬
len, die kommen nicht in Himmel, sondern in nobis Haus, da man die
Aepfel auf den Simsen brät und die Flaum zum Fenster hinausschlägt.
Da wird sein ewig Weh und Ach, Weinen, Zittern, Zagen, Zähnklopfen."
An einer andern Stelle vergleicht er den alten Adam mit einem faulen Esel,
der nirgend fort will, den man für und für schlagen, mit der Gerten stupsen,
mit den Sporen anbauen und treiben muß", was Gott mit uns auch thun
müsse.

Ferner erinnert Calinich an eine Predigt des Magisters Johannes
Giges (um 1368) über den jüngsten Tag. Dieselbe beginnt mit der Er¬
mahnung, sein Lebelang für und für an drei Dinge zu gedenken; an die
Sündfluth, Christi Kreuzestod und an den jüngsten Tag, "da Alles durch
Feuer schmelzen, ausgefegt und spann neu werden wird." Dann zeigt er im
ersten Theil, "an welchen Zeichen gewißlich abzunehmen, daß der jüngste Tag
gewißlich vor der Thür." Das Alter der Welt solle sechstausend Jahre sein,
und jetzt schreibe man schon 5533. Dann aber habe Christus gesagt, die
Zeit solle um der Auserwählten willen verkürzt werden. Weiter sage Pau¬
lus, man werde vom Glauben abfallen, und das sei geschehen; denn "die
sürnehmsten Lande sind türkisch oder papistisch geworden. Was setzt Christus
für Zeichen? Es werden oft die Sterne sich putzen und reinigen, der fromme
Himmel wird oft traurig sein und zu verstehen geben, daß er gerne seines
Dienstes los wäre. Man wird sehen Kometen und mancherlei wunderliche
Gesicht am Himmel, das eben viele Jahre her häufig und oft geschehen."
"Aber", so fährt er im zweiten Theile fort, "der jüngste Tag ist der Christen
Ruh-, Freud- und Erlösungstag." -- "Deßwegen, liebe Christen, wenn ihr
sehet den Himmel oft trauern und weinen, ihr höret ungewöhnliche Winde
blasen, sausen und summen, ihr höret von Theuerung, Krieg, Pestilenz, Zwie¬
tracht und Meuterei, ihr sehet, daß wenig Gerechtigkeit und Liebe vorhanden,"


ihm dagegen auf, daß er ihm zu Ehren schuldigen Gehorsam und Dankbar¬
keit nur ein Pflaumfederlein alle Tage ein Feldweges tragen oder sich mit
einer Stecknadel ein wenig ritzen und einstechen lassen soll, daß das Blut hernach
ginge, und ein Mensch wollt sich deß beschweren, murren und fluchen wider
seinen Erlöser, Lieber, was würde es doch für ein Ansehen haben? Wäre ein
solcher Erzbösewicht und undankbarer Schelm nicht werth, daß man ihm
Land, Leute, Geld, Gut wiedernähme und ihn dem Henker am Strick über¬
antwortet? Wie viel mehr aber sind die ungeschlachten Hölzlein der ewigen
höllischen Verdammniß werth, welche der Herr Christus von ewiger höllischer
Marter, Qual und Pein allergnädigst erlöset und sie zu Himmelsfürsten
gemacht."

Der Kanzler zu Tübingen, Jacob Heerbrand (um 1577) sagt in einer
Predigt vom Wege zum ewigen Leben: „Welche diesen Weg nicht gehen wol¬
len, die kommen nicht in Himmel, sondern in nobis Haus, da man die
Aepfel auf den Simsen brät und die Flaum zum Fenster hinausschlägt.
Da wird sein ewig Weh und Ach, Weinen, Zittern, Zagen, Zähnklopfen."
An einer andern Stelle vergleicht er den alten Adam mit einem faulen Esel,
der nirgend fort will, den man für und für schlagen, mit der Gerten stupsen,
mit den Sporen anbauen und treiben muß", was Gott mit uns auch thun
müsse.

Ferner erinnert Calinich an eine Predigt des Magisters Johannes
Giges (um 1368) über den jüngsten Tag. Dieselbe beginnt mit der Er¬
mahnung, sein Lebelang für und für an drei Dinge zu gedenken; an die
Sündfluth, Christi Kreuzestod und an den jüngsten Tag, „da Alles durch
Feuer schmelzen, ausgefegt und spann neu werden wird." Dann zeigt er im
ersten Theil, „an welchen Zeichen gewißlich abzunehmen, daß der jüngste Tag
gewißlich vor der Thür." Das Alter der Welt solle sechstausend Jahre sein,
und jetzt schreibe man schon 5533. Dann aber habe Christus gesagt, die
Zeit solle um der Auserwählten willen verkürzt werden. Weiter sage Pau¬
lus, man werde vom Glauben abfallen, und das sei geschehen; denn „die
sürnehmsten Lande sind türkisch oder papistisch geworden. Was setzt Christus
für Zeichen? Es werden oft die Sterne sich putzen und reinigen, der fromme
Himmel wird oft traurig sein und zu verstehen geben, daß er gerne seines
Dienstes los wäre. Man wird sehen Kometen und mancherlei wunderliche
Gesicht am Himmel, das eben viele Jahre her häufig und oft geschehen."
„Aber", so fährt er im zweiten Theile fort, „der jüngste Tag ist der Christen
Ruh-, Freud- und Erlösungstag." — „Deßwegen, liebe Christen, wenn ihr
sehet den Himmel oft trauern und weinen, ihr höret ungewöhnliche Winde
blasen, sausen und summen, ihr höret von Theuerung, Krieg, Pestilenz, Zwie¬
tracht und Meuterei, ihr sehet, daß wenig Gerechtigkeit und Liebe vorhanden,"


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[0340] ihm dagegen auf, daß er ihm zu Ehren schuldigen Gehorsam und Dankbar¬ keit nur ein Pflaumfederlein alle Tage ein Feldweges tragen oder sich mit einer Stecknadel ein wenig ritzen und einstechen lassen soll, daß das Blut hernach ginge, und ein Mensch wollt sich deß beschweren, murren und fluchen wider seinen Erlöser, Lieber, was würde es doch für ein Ansehen haben? Wäre ein solcher Erzbösewicht und undankbarer Schelm nicht werth, daß man ihm Land, Leute, Geld, Gut wiedernähme und ihn dem Henker am Strick über¬ antwortet? Wie viel mehr aber sind die ungeschlachten Hölzlein der ewigen höllischen Verdammniß werth, welche der Herr Christus von ewiger höllischer Marter, Qual und Pein allergnädigst erlöset und sie zu Himmelsfürsten gemacht." Der Kanzler zu Tübingen, Jacob Heerbrand (um 1577) sagt in einer Predigt vom Wege zum ewigen Leben: „Welche diesen Weg nicht gehen wol¬ len, die kommen nicht in Himmel, sondern in nobis Haus, da man die Aepfel auf den Simsen brät und die Flaum zum Fenster hinausschlägt. Da wird sein ewig Weh und Ach, Weinen, Zittern, Zagen, Zähnklopfen." An einer andern Stelle vergleicht er den alten Adam mit einem faulen Esel, der nirgend fort will, den man für und für schlagen, mit der Gerten stupsen, mit den Sporen anbauen und treiben muß", was Gott mit uns auch thun müsse. Ferner erinnert Calinich an eine Predigt des Magisters Johannes Giges (um 1368) über den jüngsten Tag. Dieselbe beginnt mit der Er¬ mahnung, sein Lebelang für und für an drei Dinge zu gedenken; an die Sündfluth, Christi Kreuzestod und an den jüngsten Tag, „da Alles durch Feuer schmelzen, ausgefegt und spann neu werden wird." Dann zeigt er im ersten Theil, „an welchen Zeichen gewißlich abzunehmen, daß der jüngste Tag gewißlich vor der Thür." Das Alter der Welt solle sechstausend Jahre sein, und jetzt schreibe man schon 5533. Dann aber habe Christus gesagt, die Zeit solle um der Auserwählten willen verkürzt werden. Weiter sage Pau¬ lus, man werde vom Glauben abfallen, und das sei geschehen; denn „die sürnehmsten Lande sind türkisch oder papistisch geworden. Was setzt Christus für Zeichen? Es werden oft die Sterne sich putzen und reinigen, der fromme Himmel wird oft traurig sein und zu verstehen geben, daß er gerne seines Dienstes los wäre. Man wird sehen Kometen und mancherlei wunderliche Gesicht am Himmel, das eben viele Jahre her häufig und oft geschehen." „Aber", so fährt er im zweiten Theile fort, „der jüngste Tag ist der Christen Ruh-, Freud- und Erlösungstag." — „Deßwegen, liebe Christen, wenn ihr sehet den Himmel oft trauern und weinen, ihr höret ungewöhnliche Winde blasen, sausen und summen, ihr höret von Theuerung, Krieg, Pestilenz, Zwie¬ tracht und Meuterei, ihr sehet, daß wenig Gerechtigkeit und Liebe vorhanden,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/340>, abgerufen am 28.07.2024.