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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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hinter die Pforte gesteckt; als er aber mit eingelegtem Kreuz gegen letztere
anrannte, und Thür und Angel davon aufsprangen, stieß er den beiden Teu¬
feln die Nasen ab.

Es hielt schwer, aus diesen Elementen einigermaßen leidliche Kanzelredner
zu bilden; was sich sonst zu dem Zwecke bot, Tischler, Schneider, Leinweber
war kaum mehr werth, da alle Bildung fehlte, und schließlich mußte
auch das Volk sich erst allmälig daran gewöhnen, an einer Predigt, die nicht
aus Späßen. Scheltworten und Geschichtchen bestand, sondern einen bestimmten
Gedanken entwickelte. Geschmack zu finden. "Wenn man vom Artikel der
Justification prediget." sagt Luther, der in der ersten Zeit nach dieser Richtung
hin ebenfalls mit sich zu thun hatte, "so schläft das Volk und hustet; wenn
man aber anfahet, Historien und Exempel zu sagen, da reales beide Ohren
auf. ist still und höret fleißig zu." Erst nach Verlauf von Jahrzehnten
gingen aus den Leuten, die selbst zu den Füßen der Reformatoren gesessen
hatten, tüchtige Geistliche hervor, sodaß die Kanzeln mit einem würdigen
Geschlechte besetzt werden konnten. Inzwischen half man sich mit dem Vor¬
lesen von Predigten aus den Postillen aus, die Luther und Andere als Esels¬
brücken für geistig unvermögende Pfarrer geliefert hatten. Luther konnte zu¬
weilen verdrießlich und malitiös werden, wenn man ihn von allen Seiten
her um tüchtige Prediger anging, wie er denn einmal hochlöblichen Rathe
einer Stadt einen solchen auf ein Stück Papier malte und dazu schrieb, er
"sehe wohl, daß die Herren einen Prediger gemalet haben wollten, da schickte
er nun einen, den möchten sie gesund brauchen." Erst in der zweiten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts sehen wir in den Städten (auf dem Lande wird
es noch sehr lange schlimm bestellt gewesen sein) die Namen bedeutender
Kanzelredner zunehmen, die nach Luther's und Melanchthon's Anweisungen
predigten und Späterkommenden treffliche Vorbilder wurden.

Vermuthlich wäre es rascher damit gegangen, wenn nicht die widerwärtige
Seuche, welche die sogenannten Streittheologen erzeugte, einen großen Theil
der lutherischen Kirche ergriffen und viele talentvolle Geistliche in scheltende
polternde Wüthriche gegen die Calvinisten und Kryptocalvtnisten verwandelt
hätte. Eine gute Charakteristik dieser zelotischer Kampfhähne und Ketzerriecher
sieht bei Calinich der Dresdener Hofprediger Pierius, wenn er sagt: "Er
trete in der Woche ein, zwei Mal auf die Kanzel, bringe eine halbe Predigt
ZU mit Lügen, Lästern und Verdammung anderer ausländischer Christen, er
schäume für Bosheit wie ein Eber, schraube, bis ihm der Schweiß ausbricht,
schreie, daß ihm der Hals wehthut, so bekommt er von seinen Zuhörern das
Lob eines treuen lutherischen Predigers."

Ein solcher Fanatiker war der Pfarrer Artomedes, der um 1590 in
Königsberg in schwungvollen Predigten gegen die Calvinisten zu Felde zog.


hinter die Pforte gesteckt; als er aber mit eingelegtem Kreuz gegen letztere
anrannte, und Thür und Angel davon aufsprangen, stieß er den beiden Teu¬
feln die Nasen ab.

Es hielt schwer, aus diesen Elementen einigermaßen leidliche Kanzelredner
zu bilden; was sich sonst zu dem Zwecke bot, Tischler, Schneider, Leinweber
war kaum mehr werth, da alle Bildung fehlte, und schließlich mußte
auch das Volk sich erst allmälig daran gewöhnen, an einer Predigt, die nicht
aus Späßen. Scheltworten und Geschichtchen bestand, sondern einen bestimmten
Gedanken entwickelte. Geschmack zu finden. „Wenn man vom Artikel der
Justification prediget." sagt Luther, der in der ersten Zeit nach dieser Richtung
hin ebenfalls mit sich zu thun hatte, „so schläft das Volk und hustet; wenn
man aber anfahet, Historien und Exempel zu sagen, da reales beide Ohren
auf. ist still und höret fleißig zu." Erst nach Verlauf von Jahrzehnten
gingen aus den Leuten, die selbst zu den Füßen der Reformatoren gesessen
hatten, tüchtige Geistliche hervor, sodaß die Kanzeln mit einem würdigen
Geschlechte besetzt werden konnten. Inzwischen half man sich mit dem Vor¬
lesen von Predigten aus den Postillen aus, die Luther und Andere als Esels¬
brücken für geistig unvermögende Pfarrer geliefert hatten. Luther konnte zu¬
weilen verdrießlich und malitiös werden, wenn man ihn von allen Seiten
her um tüchtige Prediger anging, wie er denn einmal hochlöblichen Rathe
einer Stadt einen solchen auf ein Stück Papier malte und dazu schrieb, er
»sehe wohl, daß die Herren einen Prediger gemalet haben wollten, da schickte
er nun einen, den möchten sie gesund brauchen." Erst in der zweiten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts sehen wir in den Städten (auf dem Lande wird
es noch sehr lange schlimm bestellt gewesen sein) die Namen bedeutender
Kanzelredner zunehmen, die nach Luther's und Melanchthon's Anweisungen
predigten und Späterkommenden treffliche Vorbilder wurden.

Vermuthlich wäre es rascher damit gegangen, wenn nicht die widerwärtige
Seuche, welche die sogenannten Streittheologen erzeugte, einen großen Theil
der lutherischen Kirche ergriffen und viele talentvolle Geistliche in scheltende
polternde Wüthriche gegen die Calvinisten und Kryptocalvtnisten verwandelt
hätte. Eine gute Charakteristik dieser zelotischer Kampfhähne und Ketzerriecher
sieht bei Calinich der Dresdener Hofprediger Pierius, wenn er sagt: „Er
trete in der Woche ein, zwei Mal auf die Kanzel, bringe eine halbe Predigt
ZU mit Lügen, Lästern und Verdammung anderer ausländischer Christen, er
schäume für Bosheit wie ein Eber, schraube, bis ihm der Schweiß ausbricht,
schreie, daß ihm der Hals wehthut, so bekommt er von seinen Zuhörern das
Lob eines treuen lutherischen Predigers."

Ein solcher Fanatiker war der Pfarrer Artomedes, der um 1590 in
Königsberg in schwungvollen Predigten gegen die Calvinisten zu Felde zog.


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[0337] hinter die Pforte gesteckt; als er aber mit eingelegtem Kreuz gegen letztere anrannte, und Thür und Angel davon aufsprangen, stieß er den beiden Teu¬ feln die Nasen ab. Es hielt schwer, aus diesen Elementen einigermaßen leidliche Kanzelredner zu bilden; was sich sonst zu dem Zwecke bot, Tischler, Schneider, Leinweber war kaum mehr werth, da alle Bildung fehlte, und schließlich mußte auch das Volk sich erst allmälig daran gewöhnen, an einer Predigt, die nicht aus Späßen. Scheltworten und Geschichtchen bestand, sondern einen bestimmten Gedanken entwickelte. Geschmack zu finden. „Wenn man vom Artikel der Justification prediget." sagt Luther, der in der ersten Zeit nach dieser Richtung hin ebenfalls mit sich zu thun hatte, „so schläft das Volk und hustet; wenn man aber anfahet, Historien und Exempel zu sagen, da reales beide Ohren auf. ist still und höret fleißig zu." Erst nach Verlauf von Jahrzehnten gingen aus den Leuten, die selbst zu den Füßen der Reformatoren gesessen hatten, tüchtige Geistliche hervor, sodaß die Kanzeln mit einem würdigen Geschlechte besetzt werden konnten. Inzwischen half man sich mit dem Vor¬ lesen von Predigten aus den Postillen aus, die Luther und Andere als Esels¬ brücken für geistig unvermögende Pfarrer geliefert hatten. Luther konnte zu¬ weilen verdrießlich und malitiös werden, wenn man ihn von allen Seiten her um tüchtige Prediger anging, wie er denn einmal hochlöblichen Rathe einer Stadt einen solchen auf ein Stück Papier malte und dazu schrieb, er »sehe wohl, daß die Herren einen Prediger gemalet haben wollten, da schickte er nun einen, den möchten sie gesund brauchen." Erst in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts sehen wir in den Städten (auf dem Lande wird es noch sehr lange schlimm bestellt gewesen sein) die Namen bedeutender Kanzelredner zunehmen, die nach Luther's und Melanchthon's Anweisungen predigten und Späterkommenden treffliche Vorbilder wurden. Vermuthlich wäre es rascher damit gegangen, wenn nicht die widerwärtige Seuche, welche die sogenannten Streittheologen erzeugte, einen großen Theil der lutherischen Kirche ergriffen und viele talentvolle Geistliche in scheltende polternde Wüthriche gegen die Calvinisten und Kryptocalvtnisten verwandelt hätte. Eine gute Charakteristik dieser zelotischer Kampfhähne und Ketzerriecher sieht bei Calinich der Dresdener Hofprediger Pierius, wenn er sagt: „Er trete in der Woche ein, zwei Mal auf die Kanzel, bringe eine halbe Predigt ZU mit Lügen, Lästern und Verdammung anderer ausländischer Christen, er schäume für Bosheit wie ein Eber, schraube, bis ihm der Schweiß ausbricht, schreie, daß ihm der Hals wehthut, so bekommt er von seinen Zuhörern das Lob eines treuen lutherischen Predigers." Ein solcher Fanatiker war der Pfarrer Artomedes, der um 1590 in Königsberg in schwungvollen Predigten gegen die Calvinisten zu Felde zog.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/337>, abgerufen am 27.11.2024.