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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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sammensetzungen reiner und unreiner Elemente, so daß im Gold das reine,
adelnde Element am reinsten zur Erscheinung kam.

Hier nun ist es, wo umgekehrt im Mittelalter die christlichen Ideen
appereipirend auf hellenische Vorstellungen wirkten. Im Hellenismus war das
fünfte Element, der Aether, das reinste und als unmittelbar der
himmlischen Region entstammend, göttlicher Natur theil¬
haftig. Solche Vorstellung konnte der christliche Monotheismus nicht gelten
lassen; der Aether ward daher zu einem Element so mechanisch, physi¬
kalisch und chemisch wie Luft und Erde. Und während die Griechen
in ihrer Scheu vor der göttlichen Natur des Aethers nicht denken konnten,
daß er experimentell zu fangen sei, so erwachte im Mittelalter die Vorstellung
daß er darstellbar sei, wie Feuer aus Holz. Da überdies der Aether im
Uebrigen ganz in der ästhetisirenden Weise der Griechen festgehalten wurde,
als das rein machende, adelnde Element u. s. w., so ist daraus die alche¬
mistische Hast und Jagd nach diesem Glück und Reichthum bringenden Stoff
erklärlich, den man als Quinta Essentia, als Quintessenz, als Stein der Weisen
fassen zu können meinte.

Man sagt heutzutage oft, die Alchemie sei eine mittelalterliche Versündi¬
gung an der Chemie. Aber in Wahrheit lebten in dieser Alchemie nur die
griechischen ästhetisirenden Vorstellungen über die Materie mit ihren reinen
und unreinen Elementen weiter, und ein Fortschritt geschah im Mittel-
alter gerade durch den appercipirenden Einfluß der christlichen Ideen, welche
den Aether entgötterten. Der Muth lebte damit auf, diese Quintessenz zu
greifen, und die Nutzlosigkeit dieser Experimente ließ endlich auch das Falsche
jener Annahme unsinnlicher Urelemente erkennen. 1661 sagte endlich Robert
Boyle, was die Chemie heute noch sagt, Element ist jeder sinnliche Körper,
der chemisch nicht weiter zerlegbar ist, also auch die Metalle.

Zur Zeit der Reformation begann siegreicher eine Freimachung von der
mittelalterlich augustinischen Gottesidee aufzuleben. Die Zuversicht erfüllte
wieder die Gemüther, daß Gott ein persönlich lebendiges Wesen sei voll
Schaffensfreude und sittlicher Thatkraft. An Stelle der heidnisch platonischen
Anschauung, welche die Natur verachtete, weil sie die Erscheinungsweise der
Zischen, himmlische Reinheit trübenden, göttlichem Gesetz widerstrebenden
Materie sei, trat jetzt die Anschauung, daß die Materie eine frei gewollte,
gesetzliche Schöpfung sei; die Naturfreude erwachte dabei, und mit ihr die
Naturerforschung. Denn gerade Männer, wie Galilei, wollten die sinnliche
AZelt erforschen in der innigsten, fröhlichsten Ueberzeugung, daß diese Welt
sinnlicher Erfahrung ein Werk von Gottes Liebe und Weisheit sei. Sie
wollten Gesetz, Maß und Ordnung in dieser Schöpfung erforschen. Natur
war ihnen die durch Gottes Willen gewordene und gesetzlich verharrende Be-


sammensetzungen reiner und unreiner Elemente, so daß im Gold das reine,
adelnde Element am reinsten zur Erscheinung kam.

Hier nun ist es, wo umgekehrt im Mittelalter die christlichen Ideen
appereipirend auf hellenische Vorstellungen wirkten. Im Hellenismus war das
fünfte Element, der Aether, das reinste und als unmittelbar der
himmlischen Region entstammend, göttlicher Natur theil¬
haftig. Solche Vorstellung konnte der christliche Monotheismus nicht gelten
lassen; der Aether ward daher zu einem Element so mechanisch, physi¬
kalisch und chemisch wie Luft und Erde. Und während die Griechen
in ihrer Scheu vor der göttlichen Natur des Aethers nicht denken konnten,
daß er experimentell zu fangen sei, so erwachte im Mittelalter die Vorstellung
daß er darstellbar sei, wie Feuer aus Holz. Da überdies der Aether im
Uebrigen ganz in der ästhetisirenden Weise der Griechen festgehalten wurde,
als das rein machende, adelnde Element u. s. w., so ist daraus die alche¬
mistische Hast und Jagd nach diesem Glück und Reichthum bringenden Stoff
erklärlich, den man als Quinta Essentia, als Quintessenz, als Stein der Weisen
fassen zu können meinte.

Man sagt heutzutage oft, die Alchemie sei eine mittelalterliche Versündi¬
gung an der Chemie. Aber in Wahrheit lebten in dieser Alchemie nur die
griechischen ästhetisirenden Vorstellungen über die Materie mit ihren reinen
und unreinen Elementen weiter, und ein Fortschritt geschah im Mittel-
alter gerade durch den appercipirenden Einfluß der christlichen Ideen, welche
den Aether entgötterten. Der Muth lebte damit auf, diese Quintessenz zu
greifen, und die Nutzlosigkeit dieser Experimente ließ endlich auch das Falsche
jener Annahme unsinnlicher Urelemente erkennen. 1661 sagte endlich Robert
Boyle, was die Chemie heute noch sagt, Element ist jeder sinnliche Körper,
der chemisch nicht weiter zerlegbar ist, also auch die Metalle.

Zur Zeit der Reformation begann siegreicher eine Freimachung von der
mittelalterlich augustinischen Gottesidee aufzuleben. Die Zuversicht erfüllte
wieder die Gemüther, daß Gott ein persönlich lebendiges Wesen sei voll
Schaffensfreude und sittlicher Thatkraft. An Stelle der heidnisch platonischen
Anschauung, welche die Natur verachtete, weil sie die Erscheinungsweise der
Zischen, himmlische Reinheit trübenden, göttlichem Gesetz widerstrebenden
Materie sei, trat jetzt die Anschauung, daß die Materie eine frei gewollte,
gesetzliche Schöpfung sei; die Naturfreude erwachte dabei, und mit ihr die
Naturerforschung. Denn gerade Männer, wie Galilei, wollten die sinnliche
AZelt erforschen in der innigsten, fröhlichsten Ueberzeugung, daß diese Welt
sinnlicher Erfahrung ein Werk von Gottes Liebe und Weisheit sei. Sie
wollten Gesetz, Maß und Ordnung in dieser Schöpfung erforschen. Natur
war ihnen die durch Gottes Willen gewordene und gesetzlich verharrende Be-


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[0329] sammensetzungen reiner und unreiner Elemente, so daß im Gold das reine, adelnde Element am reinsten zur Erscheinung kam. Hier nun ist es, wo umgekehrt im Mittelalter die christlichen Ideen appereipirend auf hellenische Vorstellungen wirkten. Im Hellenismus war das fünfte Element, der Aether, das reinste und als unmittelbar der himmlischen Region entstammend, göttlicher Natur theil¬ haftig. Solche Vorstellung konnte der christliche Monotheismus nicht gelten lassen; der Aether ward daher zu einem Element so mechanisch, physi¬ kalisch und chemisch wie Luft und Erde. Und während die Griechen in ihrer Scheu vor der göttlichen Natur des Aethers nicht denken konnten, daß er experimentell zu fangen sei, so erwachte im Mittelalter die Vorstellung daß er darstellbar sei, wie Feuer aus Holz. Da überdies der Aether im Uebrigen ganz in der ästhetisirenden Weise der Griechen festgehalten wurde, als das rein machende, adelnde Element u. s. w., so ist daraus die alche¬ mistische Hast und Jagd nach diesem Glück und Reichthum bringenden Stoff erklärlich, den man als Quinta Essentia, als Quintessenz, als Stein der Weisen fassen zu können meinte. Man sagt heutzutage oft, die Alchemie sei eine mittelalterliche Versündi¬ gung an der Chemie. Aber in Wahrheit lebten in dieser Alchemie nur die griechischen ästhetisirenden Vorstellungen über die Materie mit ihren reinen und unreinen Elementen weiter, und ein Fortschritt geschah im Mittel- alter gerade durch den appercipirenden Einfluß der christlichen Ideen, welche den Aether entgötterten. Der Muth lebte damit auf, diese Quintessenz zu greifen, und die Nutzlosigkeit dieser Experimente ließ endlich auch das Falsche jener Annahme unsinnlicher Urelemente erkennen. 1661 sagte endlich Robert Boyle, was die Chemie heute noch sagt, Element ist jeder sinnliche Körper, der chemisch nicht weiter zerlegbar ist, also auch die Metalle. Zur Zeit der Reformation begann siegreicher eine Freimachung von der mittelalterlich augustinischen Gottesidee aufzuleben. Die Zuversicht erfüllte wieder die Gemüther, daß Gott ein persönlich lebendiges Wesen sei voll Schaffensfreude und sittlicher Thatkraft. An Stelle der heidnisch platonischen Anschauung, welche die Natur verachtete, weil sie die Erscheinungsweise der Zischen, himmlische Reinheit trübenden, göttlichem Gesetz widerstrebenden Materie sei, trat jetzt die Anschauung, daß die Materie eine frei gewollte, gesetzliche Schöpfung sei; die Naturfreude erwachte dabei, und mit ihr die Naturerforschung. Denn gerade Männer, wie Galilei, wollten die sinnliche AZelt erforschen in der innigsten, fröhlichsten Ueberzeugung, daß diese Welt sinnlicher Erfahrung ein Werk von Gottes Liebe und Weisheit sei. Sie wollten Gesetz, Maß und Ordnung in dieser Schöpfung erforschen. Natur war ihnen die durch Gottes Willen gewordene und gesetzlich verharrende Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/329>, abgerufen am 24.11.2024.