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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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In Stellen wie: "Gefolge von tausend Millionen, Steigt Gottes Sohn von
seinen Thronen," in seinen Ausführungen beipflichten. Unsere Classiker haben
aber auch nicht selten gegen den Geist der Sprache gesündigt, der heute der¬
selbe ist wie zu ihrer Zeit. Sie haben gewisse Präpositionen falsch ange¬
wendet. In "Wallenstein's Tod" lesen wir: "Tugenden, die Du in ihm
gepflanzt." Goethe schreibt in "W. Meisters Lehrjahre": "Ich übersehe, daß
ich auf gewissen Rechten strack- und streng halten muß." Im Briefwechsel
Goethe's mit Schiller begegnen wir Sätzen wie: "Auf ihren Aufsatz verlange
ich sehr" -- "Meine Frau befleißigt sich sehr aufs Singen" -- "Sehr er¬
wartend bin ich auf Ihre Meinung." Die Präposition "von" wird von Goethe,
von Schiller und von Lessing sehr oft in der Weise wie das französische av
gebraucht. Goethe sagt: "Von meiner Reise bin ich sehr wohlzufrieden"
(Briefw. in. Schiller), "Das sind nun wieder von Deinen Grillen" (Werther's
Leiden) und: "Mir bewies es, daß der Verfasser von denjenigen sei, die
meinen engsten Kreis bildeten" (Wahrheit und Dichtung). Schiller schreibt
an Körner: "Ich wünschte, Du könntest auch von seinen Zeichnungen sehen,"
und an Caroline v. Wolzogen: "Es ist keine Frage davon." "Ich will
von unsrer Chocolade machen lassen," sagt Franziska in der "Minna v. Barn¬
helm," und in der Hamb. Dramaturg, heißt es: "Seine Narren sind selten
von den behaglichen Narren, wie sie aus den Händen der Natur kommen."
Ebenfalls ganz undeutsch ist der Satz: "Utrecht und Middelburg sind von
den ersten, welche ihnen die Thore öffneten," dem wir in der Geschichte des
Abfalls der Niederlande begegnen.

Unsere Volksdialecte sind im Gebrauch des Conjunctiv und Conditionalis
wenig geübt, ja sie wählen oft den Indicativ des Jmperseets geradezu für
den Conjunctiv derselben Zeit. Wir finden das naiv, naturwüchsig und
nehmen daran keinen Anstoß. Was aber der Rede und dem Liede des Volkes
erlaubt ist, ist darum der gedankenmäßig durchgebildeten Schriftsprache noch
keineswegs gestattet, und wir müssen es mit Grube als Fehler bezeichnen,
wenn wir folgenden Sätzen begegnen: "Wahrscheinlich lebte er noch, wenn
er fortfuhr, schlechte Verse zu machen" (Goethe an Schiller, Briefwechsel).
"Man sei überzeugt, daß, wenn er zum Bewußtsein kam, wie ihm denn
das zuweilen zu geschehen Pflegte, er sich zu einem solchen Fund behaglich
Glück gewünscht habe" (Goethe in Wahrheit und Dichtung). "Bei Gott,
wenn dieser starke Arm mich nicht hereingeführt, ihr sahet nie den Rauch von
einem fränkischen Ofen steigen." In dem ersten Goethe'schen Satze muß es
heißen: "Wenn er fortgefahren hätte" -- im zweiten: "Wenn er zum Be¬
wußtsein gekommen wäre -- er sich behaglich Glück gewünscht haben würde."
Bet Schiller aber ist das Jmperfect des Indicativs zum Stellvertreter des
Conditionalis geworden: ihr fähet oder würdet sehen.


In Stellen wie: „Gefolge von tausend Millionen, Steigt Gottes Sohn von
seinen Thronen," in seinen Ausführungen beipflichten. Unsere Classiker haben
aber auch nicht selten gegen den Geist der Sprache gesündigt, der heute der¬
selbe ist wie zu ihrer Zeit. Sie haben gewisse Präpositionen falsch ange¬
wendet. In „Wallenstein's Tod" lesen wir: „Tugenden, die Du in ihm
gepflanzt." Goethe schreibt in „W. Meisters Lehrjahre": „Ich übersehe, daß
ich auf gewissen Rechten strack- und streng halten muß." Im Briefwechsel
Goethe's mit Schiller begegnen wir Sätzen wie: „Auf ihren Aufsatz verlange
ich sehr" — „Meine Frau befleißigt sich sehr aufs Singen" — „Sehr er¬
wartend bin ich auf Ihre Meinung." Die Präposition „von" wird von Goethe,
von Schiller und von Lessing sehr oft in der Weise wie das französische av
gebraucht. Goethe sagt: „Von meiner Reise bin ich sehr wohlzufrieden"
(Briefw. in. Schiller), „Das sind nun wieder von Deinen Grillen" (Werther's
Leiden) und: „Mir bewies es, daß der Verfasser von denjenigen sei, die
meinen engsten Kreis bildeten" (Wahrheit und Dichtung). Schiller schreibt
an Körner: „Ich wünschte, Du könntest auch von seinen Zeichnungen sehen,"
und an Caroline v. Wolzogen: „Es ist keine Frage davon." „Ich will
von unsrer Chocolade machen lassen," sagt Franziska in der „Minna v. Barn¬
helm," und in der Hamb. Dramaturg, heißt es: „Seine Narren sind selten
von den behaglichen Narren, wie sie aus den Händen der Natur kommen."
Ebenfalls ganz undeutsch ist der Satz: „Utrecht und Middelburg sind von
den ersten, welche ihnen die Thore öffneten," dem wir in der Geschichte des
Abfalls der Niederlande begegnen.

Unsere Volksdialecte sind im Gebrauch des Conjunctiv und Conditionalis
wenig geübt, ja sie wählen oft den Indicativ des Jmperseets geradezu für
den Conjunctiv derselben Zeit. Wir finden das naiv, naturwüchsig und
nehmen daran keinen Anstoß. Was aber der Rede und dem Liede des Volkes
erlaubt ist, ist darum der gedankenmäßig durchgebildeten Schriftsprache noch
keineswegs gestattet, und wir müssen es mit Grube als Fehler bezeichnen,
wenn wir folgenden Sätzen begegnen: „Wahrscheinlich lebte er noch, wenn
er fortfuhr, schlechte Verse zu machen" (Goethe an Schiller, Briefwechsel).
„Man sei überzeugt, daß, wenn er zum Bewußtsein kam, wie ihm denn
das zuweilen zu geschehen Pflegte, er sich zu einem solchen Fund behaglich
Glück gewünscht habe" (Goethe in Wahrheit und Dichtung). „Bei Gott,
wenn dieser starke Arm mich nicht hereingeführt, ihr sahet nie den Rauch von
einem fränkischen Ofen steigen." In dem ersten Goethe'schen Satze muß es
heißen: „Wenn er fortgefahren hätte" — im zweiten: „Wenn er zum Be¬
wußtsein gekommen wäre — er sich behaglich Glück gewünscht haben würde."
Bet Schiller aber ist das Jmperfect des Indicativs zum Stellvertreter des
Conditionalis geworden: ihr fähet oder würdet sehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/320>, abgerufen am 27.11.2024.