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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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in diesem Sinne. "Man findet nicht einerley sondern mancherlei Volk in
diesem Lande; aus Schwaben, Bayern, Burgund und Lothringen lauffen sie
darein und kommen selten wieder darauß."

Und dieser Wandertrieb war denn auch jetzt, nachdem das Elsaß wieder
deutsch geworden, mächtig erwacht; ob er indeß die Wünsche beider Theile
erfüllt hat, ist freilich eine andere Frage. Nicht minder wird der Einfluß,
den der große Umschwung von 1870 auf die socialen und geselligen Ver¬
hältnisse übt, noch lange fühlbar sein, wenn auch durch Vereine aller Art das
möglichste geschieht, um ihn auszugleichen und die verschiedenen Elemente ein¬
ander zu nähern.

Und so bietet Zabern in seiner äußeren Erscheinung, wie die meisten
Schwesterstädte eben auch nur das Bild einer anspruchslosen Kleinstadt, die
freilich an historischem Bewußtsein wie an landschaftlichen Reiz gar vielen
Nachbarstädten hoch überlegen ist. Die drei Theile, in welche sie sich einst
so stolz gegliedert, sind jetzt zusammengewachsen oder zusammengeschrumpft;
nur ein großer Platz, nur eine "(Z^anas rue" ist übrig geblieben und auf
diesen drängt sich alles bunte Leben des Volkes; da steht man am Abend die
Alten plaudern und böse Buben ihre Spiele treiben, die den Fremdling er¬
götzen. "Imbeeilk" hörte ich einen rothbackigen Jungen einer Gruppe ent¬
gegenrufen, die in eifriges Gespräch vertieft schien und mit einemmale wandte
sich ein halb Dutzend Köpfe nach dem Rufer, der sich vor Lachen nicht
fassen wollte.


------ ich dacht' es wär einer nur
Nun seh ich wohl sie sind es alle.

In der Stadtkirche von Zabern, die den Styl mehrerer Epochen darstellt,
steht eine Kanzel aus hochberühmter Hand, Hans Hammerer, derselbe Meister,
von dem die Kanzel im Straßburger Münster stammt, hat sie geschaffen.
Obwohl weit einfacher als die letztere ist die Ornamentik doch ungemein zierlich
und zart; die Jahrzahl lautet 1499.

Seit uralter Zeit war das Geschick Zaberns verknüpft mit dem Geschicke
von Straßburg, dessen Bischöfe ja seine Herren waren. Diese Abhängigkeit
indeß hat sich mehr und mehr gelöst im Lauf der Jahrhunderte, bis es endlich
frei, nur auf die eigene Kraft verwiesen, in der Geschichte stand. Aber in
einem Sinne mögen die alten Traditionen noch dauern; an dem Aufschwung
und der Blüthe, welcher Straßburg entgegengeht, möge auch Zabern sein
Theil haben!




in diesem Sinne. „Man findet nicht einerley sondern mancherlei Volk in
diesem Lande; aus Schwaben, Bayern, Burgund und Lothringen lauffen sie
darein und kommen selten wieder darauß."

Und dieser Wandertrieb war denn auch jetzt, nachdem das Elsaß wieder
deutsch geworden, mächtig erwacht; ob er indeß die Wünsche beider Theile
erfüllt hat, ist freilich eine andere Frage. Nicht minder wird der Einfluß,
den der große Umschwung von 1870 auf die socialen und geselligen Ver¬
hältnisse übt, noch lange fühlbar sein, wenn auch durch Vereine aller Art das
möglichste geschieht, um ihn auszugleichen und die verschiedenen Elemente ein¬
ander zu nähern.

Und so bietet Zabern in seiner äußeren Erscheinung, wie die meisten
Schwesterstädte eben auch nur das Bild einer anspruchslosen Kleinstadt, die
freilich an historischem Bewußtsein wie an landschaftlichen Reiz gar vielen
Nachbarstädten hoch überlegen ist. Die drei Theile, in welche sie sich einst
so stolz gegliedert, sind jetzt zusammengewachsen oder zusammengeschrumpft;
nur ein großer Platz, nur eine „(Z^anas rue" ist übrig geblieben und auf
diesen drängt sich alles bunte Leben des Volkes; da steht man am Abend die
Alten plaudern und böse Buben ihre Spiele treiben, die den Fremdling er¬
götzen. «Imbeeilk" hörte ich einen rothbackigen Jungen einer Gruppe ent¬
gegenrufen, die in eifriges Gespräch vertieft schien und mit einemmale wandte
sich ein halb Dutzend Köpfe nach dem Rufer, der sich vor Lachen nicht
fassen wollte.


—--— ich dacht' es wär einer nur
Nun seh ich wohl sie sind es alle.

In der Stadtkirche von Zabern, die den Styl mehrerer Epochen darstellt,
steht eine Kanzel aus hochberühmter Hand, Hans Hammerer, derselbe Meister,
von dem die Kanzel im Straßburger Münster stammt, hat sie geschaffen.
Obwohl weit einfacher als die letztere ist die Ornamentik doch ungemein zierlich
und zart; die Jahrzahl lautet 1499.

Seit uralter Zeit war das Geschick Zaberns verknüpft mit dem Geschicke
von Straßburg, dessen Bischöfe ja seine Herren waren. Diese Abhängigkeit
indeß hat sich mehr und mehr gelöst im Lauf der Jahrhunderte, bis es endlich
frei, nur auf die eigene Kraft verwiesen, in der Geschichte stand. Aber in
einem Sinne mögen die alten Traditionen noch dauern; an dem Aufschwung
und der Blüthe, welcher Straßburg entgegengeht, möge auch Zabern sein
Theil haben!




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[0312] in diesem Sinne. „Man findet nicht einerley sondern mancherlei Volk in diesem Lande; aus Schwaben, Bayern, Burgund und Lothringen lauffen sie darein und kommen selten wieder darauß." Und dieser Wandertrieb war denn auch jetzt, nachdem das Elsaß wieder deutsch geworden, mächtig erwacht; ob er indeß die Wünsche beider Theile erfüllt hat, ist freilich eine andere Frage. Nicht minder wird der Einfluß, den der große Umschwung von 1870 auf die socialen und geselligen Ver¬ hältnisse übt, noch lange fühlbar sein, wenn auch durch Vereine aller Art das möglichste geschieht, um ihn auszugleichen und die verschiedenen Elemente ein¬ ander zu nähern. Und so bietet Zabern in seiner äußeren Erscheinung, wie die meisten Schwesterstädte eben auch nur das Bild einer anspruchslosen Kleinstadt, die freilich an historischem Bewußtsein wie an landschaftlichen Reiz gar vielen Nachbarstädten hoch überlegen ist. Die drei Theile, in welche sie sich einst so stolz gegliedert, sind jetzt zusammengewachsen oder zusammengeschrumpft; nur ein großer Platz, nur eine „(Z^anas rue" ist übrig geblieben und auf diesen drängt sich alles bunte Leben des Volkes; da steht man am Abend die Alten plaudern und böse Buben ihre Spiele treiben, die den Fremdling er¬ götzen. «Imbeeilk" hörte ich einen rothbackigen Jungen einer Gruppe ent¬ gegenrufen, die in eifriges Gespräch vertieft schien und mit einemmale wandte sich ein halb Dutzend Köpfe nach dem Rufer, der sich vor Lachen nicht fassen wollte. —--— ich dacht' es wär einer nur Nun seh ich wohl sie sind es alle. In der Stadtkirche von Zabern, die den Styl mehrerer Epochen darstellt, steht eine Kanzel aus hochberühmter Hand, Hans Hammerer, derselbe Meister, von dem die Kanzel im Straßburger Münster stammt, hat sie geschaffen. Obwohl weit einfacher als die letztere ist die Ornamentik doch ungemein zierlich und zart; die Jahrzahl lautet 1499. Seit uralter Zeit war das Geschick Zaberns verknüpft mit dem Geschicke von Straßburg, dessen Bischöfe ja seine Herren waren. Diese Abhängigkeit indeß hat sich mehr und mehr gelöst im Lauf der Jahrhunderte, bis es endlich frei, nur auf die eigene Kraft verwiesen, in der Geschichte stand. Aber in einem Sinne mögen die alten Traditionen noch dauern; an dem Aufschwung und der Blüthe, welcher Straßburg entgegengeht, möge auch Zabern sein Theil haben!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/312>, abgerufen am 27.11.2024.