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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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denen sie die alleinigen Herren sind, nach ihrem Bedürfniß und ihrer Eigenart
sich einzurichten. Die Ortsnamen sollen in den östlichen Grenzlanden Preußens
deutsch werden, weil es der dort wohnenden oder auch nur vorübergehend
dorthin kommenden Deutschen unwürdig ist, eine fremde Sprache theilweise
ju erlernen, um diese Namen auszusprechen, und weil es Pflicht der Staats¬
regierung ist, sie vor der damit beginnenden Entfremdung zu bewahren. Er¬
heben die dort wohnenden Deutschen Widerstand gegen diese Maßregel, so ist
das ein Beweis, daß die Entfremdung und die Abstumpfung des deutschen
Nationalgefühls bereits eingetreten ist, und es darf darauf gar keine Rück¬
sicht genommen werden. Kleine Mißgriffe, die bei der Ortsnamen-Verdeutsch¬
ung vorkommen, Geschmacklosigkeiten in der Auswahl, Nichtbeachtung uner¬
heblicher geschichtlicher Erinnerungen der alten Namen u. s. w. sind große
Nebensachen, die der Hauptsache, der Verdeutschung, gegenüber gar nicht in
Betracht kommen und der Freude des Patrioten über das rasche Fortschreiten
derselben in Westpreußen und Posen keinen Eintrag thun.

Nur von Westpreußen und Posen habe ich bisher gesprochen, nur von
diesen Provinzen kann ich das rasche Fortschreiten auf der Bahn rühmen.
Es ist Zeit, auch über die Lage der Dinge in Oberschlesi^n Auskunft zu
geben. --

Sonderbar! Die Oberschlesier, wenigstens Mittel- und höhere Stände,
sind so gute Preußen und Deutsche, wie sie nur noch in den beiden anderen
Regierungsbezirken der Provinz gleich eifrig und hingebend, sonst aber nirgends
in Preußen zu finden sind. An der Ueberzahl von unaussprechlichen oder
doch widerwärtig klingenden polnischen Ortsnamen nimmt ihr Nationalgefühl
jedoch keinen Anstoß, und sie werden ein Jahrzehnt nach dem andern weiter
geduldet, höchstens zu einem Mischgebilde umgeformt, welches noch widerwär¬
tiger klingt. Besonders erscheint die vorwiegend slawische Endung witz den
Dberschlesiern unvermeidlich, und sie wird deshalb auch deutschen Stamm-
rvörtern angehängt, wie bei Falkowitz, Himmelwitz, Gottschalkowitz, letzteres
sogar polnisch "Goczalkowitz" geschrieben -- und das ist nicht ein abgelegenes
Dorf, sondern ein vielbesuchter Badeort. Ob andere Deutsche mit regem
Nationalgefühl außer Oberschlesiern hingehen, weiß ich nicht; jene dürften
leicht durch den Namen, der ihnen oberschlesische Halbkultur und Unsauber-
keit anzukündigen scheint, abgeschreckt werden.

Während meiner 2V"jährigen Wirksamkeit als Redakteur der "Ober-
Wesischen Grenzzeitung" habe ich oft auf diese nationale Lässigkeit aufmerk¬
sam gemacht und mit Entschiedenheit darauf gedrungen, daß man auch durch
Verdeutschung der Ortsnamen seine gute deutsche Gesinnung bekunden möge
aber ohne jeden Erfolg. Es blieb überall still, die übrigen oberschlesischen
Lokal-Blätter unterstützten mich nicht, ebensowenig die großen Provinzial-


denen sie die alleinigen Herren sind, nach ihrem Bedürfniß und ihrer Eigenart
sich einzurichten. Die Ortsnamen sollen in den östlichen Grenzlanden Preußens
deutsch werden, weil es der dort wohnenden oder auch nur vorübergehend
dorthin kommenden Deutschen unwürdig ist, eine fremde Sprache theilweise
ju erlernen, um diese Namen auszusprechen, und weil es Pflicht der Staats¬
regierung ist, sie vor der damit beginnenden Entfremdung zu bewahren. Er¬
heben die dort wohnenden Deutschen Widerstand gegen diese Maßregel, so ist
das ein Beweis, daß die Entfremdung und die Abstumpfung des deutschen
Nationalgefühls bereits eingetreten ist, und es darf darauf gar keine Rück¬
sicht genommen werden. Kleine Mißgriffe, die bei der Ortsnamen-Verdeutsch¬
ung vorkommen, Geschmacklosigkeiten in der Auswahl, Nichtbeachtung uner¬
heblicher geschichtlicher Erinnerungen der alten Namen u. s. w. sind große
Nebensachen, die der Hauptsache, der Verdeutschung, gegenüber gar nicht in
Betracht kommen und der Freude des Patrioten über das rasche Fortschreiten
derselben in Westpreußen und Posen keinen Eintrag thun.

Nur von Westpreußen und Posen habe ich bisher gesprochen, nur von
diesen Provinzen kann ich das rasche Fortschreiten auf der Bahn rühmen.
Es ist Zeit, auch über die Lage der Dinge in Oberschlesi^n Auskunft zu
geben. —

Sonderbar! Die Oberschlesier, wenigstens Mittel- und höhere Stände,
sind so gute Preußen und Deutsche, wie sie nur noch in den beiden anderen
Regierungsbezirken der Provinz gleich eifrig und hingebend, sonst aber nirgends
in Preußen zu finden sind. An der Ueberzahl von unaussprechlichen oder
doch widerwärtig klingenden polnischen Ortsnamen nimmt ihr Nationalgefühl
jedoch keinen Anstoß, und sie werden ein Jahrzehnt nach dem andern weiter
geduldet, höchstens zu einem Mischgebilde umgeformt, welches noch widerwär¬
tiger klingt. Besonders erscheint die vorwiegend slawische Endung witz den
Dberschlesiern unvermeidlich, und sie wird deshalb auch deutschen Stamm-
rvörtern angehängt, wie bei Falkowitz, Himmelwitz, Gottschalkowitz, letzteres
sogar polnisch „Goczalkowitz" geschrieben — und das ist nicht ein abgelegenes
Dorf, sondern ein vielbesuchter Badeort. Ob andere Deutsche mit regem
Nationalgefühl außer Oberschlesiern hingehen, weiß ich nicht; jene dürften
leicht durch den Namen, der ihnen oberschlesische Halbkultur und Unsauber-
keit anzukündigen scheint, abgeschreckt werden.

Während meiner 2V»jährigen Wirksamkeit als Redakteur der „Ober-
Wesischen Grenzzeitung" habe ich oft auf diese nationale Lässigkeit aufmerk¬
sam gemacht und mit Entschiedenheit darauf gedrungen, daß man auch durch
Verdeutschung der Ortsnamen seine gute deutsche Gesinnung bekunden möge
aber ohne jeden Erfolg. Es blieb überall still, die übrigen oberschlesischen
Lokal-Blätter unterstützten mich nicht, ebensowenig die großen Provinzial-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/303>, abgerufen am 27.11.2024.