Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.Bequemlichkeit des Lebens und die Möglichkeit materieller Genüsse steigert, Richard Türschmann, der Ende Januar dieses Jahres Stettin zum In wie genialer Weise Türschmann Tragödien überhaupt sich zu Grenzboten II. 1876. 4
Bequemlichkeit des Lebens und die Möglichkeit materieller Genüsse steigert, Richard Türschmann, der Ende Januar dieses Jahres Stettin zum In wie genialer Weise Türschmann Tragödien überhaupt sich zu Grenzboten II. 1876. 4
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Bequemlichkeit des Lebens und die Möglichkeit materieller Genüsse steigert,
desto mehr sollte es ihn hinziehen in das Reich des Ideals, wo die erreichten
Zwecke nicht wieder Mittel werden, um neue Ziele zu erringen, sondern die
unruhige Menschenseele einmal tiefen Frieden und völliges Genügen findet.
Aus dumpfer Erdenschwüle will die Seele doch zuweilen ausathmen im reinen
Aether des Ideals; und warum sollte es unmöglich sein, daß neben unserer
heimischen Dichtung, durch welche das griechische Kunstideal mittelbar wirkt,
die griechische Dichtung zu weiteren Kreisen zuweilen auch unmittelbar spreche.
Wie wirksam dadurch samische Aufführung antiker Dramen, die hin und
wieder versucht worden ist, geschehen könne, und ob nicht in ihr die fremd¬
artige äußere Erscheinung den innern, ewig gültigen poetischen Gehalt über¬
wuchert und die Wirkung beeinträchtigt, darüber steht mir kein Urtheil zu;
wohl aber weiß ich, daß eine geistvolle und lebendige Recitation derselben
einen Eindruck hervorzurufen im Stande ist, wie ich ihn früher nicht für
möglich gehalten hätte.
Richard Türschmann, der Ende Januar dieses Jahres Stettin zum
ersten Male besuchte, hatte, wie überall, wo er recitirte, so auch hier durch
seinen Bortrag des Hamlet und Macbeth ungetheilte Bewunderung geerntet;
und da nun bekannt wurde, daß er auch Sophokleische Dramen in sein Re«
pertoir aufgenommen hat, wurde der Wunsch rege, auch diese einmal von ihm
vorgetragen zu hören. Türschmann ging bereitwillig darauf ein und versprach
an drei Abenden den König Oedipus, den Oedipus auf Kolonos und die
Antigone zu recitiren, wenn ihm eine gebildete und empfängliche Zuhörer¬
schaft gesichert sei. Denn gerade für diese Dramen konnte ein lebendiges
Interesse auch von Seiten eines kunstsinnigen Publikums nicht so ohne
Weiteres vorausgesetzt werden, wie für Recitationen moderner Tragödien.
Die Directoren der beiden Gymnasien Stettins nahmen die Sache in die
Hand, und überraschend schnell war mehr als die erforderliche Zahl von Zu¬
hörern für diesen Cyclus aus den Kreisen der Lehrer und gereifteren Schüler
gesichert. So weit der Raum, die Aula des Marienstiftsgymnasiums, es
gestattete, erhielten noch andere Zuhörer Zutritt, so daß die Zahl sämmt¬
licher Zuhörer fünfhundert betrug, die mit verschwindenden Ausnahmen sich
von vorn herein für alle drei Abende verpflichtet hatten.
In wie genialer Weise Türschmann Tragödien überhaupt sich zu
völligem geistigen Eigenthum macht und reproducirt, welche ungewöhnlichen
Vorzüge alle seine Recitationen durch lebendige Veranschaulichung, und feine
Nüancirung besitzen, darauf brauche ich um so weniger einzugehen, weil das
in dieser Zeitschrift selber mit beredten Worten bereits früher geschildert ist.
und die gebildeten Kreise in vielen Städten Deutschlands den unmittelbaren
Eindruck davon erfahren haben. Weniger aber bekannt mag die Art sein, in
Grenzboten II. 1876. 4
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