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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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unter seinem Klöstern amen Abraham a Sancta Clara. Seinen Pre¬
digten ist große Menschenkenntniß und rücksichtsloser Freimuth nachzurühmen,
bis zu einem gewissen Grade auch ein tüchtiger Verstand. Im Uebrigen er¬
scheint er als ein überaus beweglicher und phantasiereicher Geist mit einer
starken satirischen Ader, deren Ergüsse fast immer barock, bisweilen sehr
komisch, mitunter auch sehr unreinlich sind. Abschweifen und Ueber den
Strang schlagen ist bei ihm die Regel. Manche seiner Predigten haben Stellen
voll Feuer und Schwung, viele einen guten Kern, einige sind fast nur ein
Gemisch von possirlichen Anekdoten, abgeschmackten Legenden, Zoten, Wort¬
spielen, Reimen, die mitunter nach der Regel, "der Bien muß" mit den Haaren
herbeigezogen sind, guten und schlechten Witzen und kräftigen Schimpfreden.
Die Absicht mag auch hier gut sein, aber sie erstickt in den Allotriis. Die
Predigt wird bunt, zu bunt, sie wird zur Harlekinade.

Von dem Gewimmel seiner Wortspiele nur einige Proben. "Ja, Obolus
(er spricht vom Gelde) und Diabolus ist fast ein Ding." "Corpus in einem
Anagramma heißt Porcus, diesem Thiere ist nichts lieber, als sich in dem
Koth wälzen; das Mörtel Leib in Buchstabenwechsel Blei, man besudelt sich
durch das bloße Anrühren mit diesem Metall." "Zuweilen sieht man einen
groben Gesellen, der mehr einem Schuhmeister als einen Schulmeister gleichet,
weil er das Klopfholz immer in Händen trägt;" "und ist er seiner kupf-
rigem Nase wegen mehr schandroth als schamroth." "O wie oft sind die
Aceidentia lauter Occidentia, die manchen um Leib und Seele bringen!" "Von
vielen Jahren her ist das römische Reich schier römisch arm geworden durch stete
Krieg*), von etlichen Jahren her ist Niederland noch niederer geworden durch
stete Krieg, Elsaß ist ein Elendsaß, der Rheinstrom ist ein Peinstrom ge¬
worden durch lauter Krieg, Ungarn führt ein doppeltes Kreuz im Wappen
und bisher hat es viel tausend Kreuz ausgestanden durch lauter Krieg." Aber
wer verursacht so langwierige, klägliche, schmerzliche Kriegsempörungen? Wer?
der; nein, sondern die, die Sünde." Das Aergste aber, was der spielerische
Redner in dieser Hinsicht geleistet hat. ist wohl seine Aufzählung der Ver¬
luste, welche die Pest in Wien angerichtet hat, nach Plätzen und Straßen.
.In der Herrengasse hat der Tod geherrschet", "in der Bognergasse hat der
Tod ziemlich seinen Bogen abgeschossen, auf der Singerstraße hat der Tod
vielen das Requiem gesungen, in der Reimerstraße hat der Tod aus fremden
Häuten Riemen geschnitten", "auf dem alten Fleischmarkt hat der Tod auch
seine Fleischbank gehabt", "auf der Seilerstadt hat der Tod vielen Fallstricke
gelegt," "auf dem Salzgries hat's der Tod manchem versalzen, auf dem Katzen-



*) Diese von Schiller benutzte Stelle befindet sich in der Predigtsammlung "Reim Dich
oder ich lies Dich" (Sämmtliche Werke, Passau, S. 364 des 8. Bandes).

unter seinem Klöstern amen Abraham a Sancta Clara. Seinen Pre¬
digten ist große Menschenkenntniß und rücksichtsloser Freimuth nachzurühmen,
bis zu einem gewissen Grade auch ein tüchtiger Verstand. Im Uebrigen er¬
scheint er als ein überaus beweglicher und phantasiereicher Geist mit einer
starken satirischen Ader, deren Ergüsse fast immer barock, bisweilen sehr
komisch, mitunter auch sehr unreinlich sind. Abschweifen und Ueber den
Strang schlagen ist bei ihm die Regel. Manche seiner Predigten haben Stellen
voll Feuer und Schwung, viele einen guten Kern, einige sind fast nur ein
Gemisch von possirlichen Anekdoten, abgeschmackten Legenden, Zoten, Wort¬
spielen, Reimen, die mitunter nach der Regel, „der Bien muß" mit den Haaren
herbeigezogen sind, guten und schlechten Witzen und kräftigen Schimpfreden.
Die Absicht mag auch hier gut sein, aber sie erstickt in den Allotriis. Die
Predigt wird bunt, zu bunt, sie wird zur Harlekinade.

Von dem Gewimmel seiner Wortspiele nur einige Proben. „Ja, Obolus
(er spricht vom Gelde) und Diabolus ist fast ein Ding." „Corpus in einem
Anagramma heißt Porcus, diesem Thiere ist nichts lieber, als sich in dem
Koth wälzen; das Mörtel Leib in Buchstabenwechsel Blei, man besudelt sich
durch das bloße Anrühren mit diesem Metall." „Zuweilen sieht man einen
groben Gesellen, der mehr einem Schuhmeister als einen Schulmeister gleichet,
weil er das Klopfholz immer in Händen trägt;" „und ist er seiner kupf-
rigem Nase wegen mehr schandroth als schamroth." „O wie oft sind die
Aceidentia lauter Occidentia, die manchen um Leib und Seele bringen!" „Von
vielen Jahren her ist das römische Reich schier römisch arm geworden durch stete
Krieg*), von etlichen Jahren her ist Niederland noch niederer geworden durch
stete Krieg, Elsaß ist ein Elendsaß, der Rheinstrom ist ein Peinstrom ge¬
worden durch lauter Krieg, Ungarn führt ein doppeltes Kreuz im Wappen
und bisher hat es viel tausend Kreuz ausgestanden durch lauter Krieg." Aber
wer verursacht so langwierige, klägliche, schmerzliche Kriegsempörungen? Wer?
der; nein, sondern die, die Sünde." Das Aergste aber, was der spielerische
Redner in dieser Hinsicht geleistet hat. ist wohl seine Aufzählung der Ver¬
luste, welche die Pest in Wien angerichtet hat, nach Plätzen und Straßen.
.In der Herrengasse hat der Tod geherrschet", „in der Bognergasse hat der
Tod ziemlich seinen Bogen abgeschossen, auf der Singerstraße hat der Tod
vielen das Requiem gesungen, in der Reimerstraße hat der Tod aus fremden
Häuten Riemen geschnitten", „auf dem alten Fleischmarkt hat der Tod auch
seine Fleischbank gehabt", „auf der Seilerstadt hat der Tod vielen Fallstricke
gelegt," „auf dem Salzgries hat's der Tod manchem versalzen, auf dem Katzen-



*) Diese von Schiller benutzte Stelle befindet sich in der Predigtsammlung „Reim Dich
oder ich lies Dich" (Sämmtliche Werke, Passau, S. 364 des 8. Bandes).
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[0289] unter seinem Klöstern amen Abraham a Sancta Clara. Seinen Pre¬ digten ist große Menschenkenntniß und rücksichtsloser Freimuth nachzurühmen, bis zu einem gewissen Grade auch ein tüchtiger Verstand. Im Uebrigen er¬ scheint er als ein überaus beweglicher und phantasiereicher Geist mit einer starken satirischen Ader, deren Ergüsse fast immer barock, bisweilen sehr komisch, mitunter auch sehr unreinlich sind. Abschweifen und Ueber den Strang schlagen ist bei ihm die Regel. Manche seiner Predigten haben Stellen voll Feuer und Schwung, viele einen guten Kern, einige sind fast nur ein Gemisch von possirlichen Anekdoten, abgeschmackten Legenden, Zoten, Wort¬ spielen, Reimen, die mitunter nach der Regel, „der Bien muß" mit den Haaren herbeigezogen sind, guten und schlechten Witzen und kräftigen Schimpfreden. Die Absicht mag auch hier gut sein, aber sie erstickt in den Allotriis. Die Predigt wird bunt, zu bunt, sie wird zur Harlekinade. Von dem Gewimmel seiner Wortspiele nur einige Proben. „Ja, Obolus (er spricht vom Gelde) und Diabolus ist fast ein Ding." „Corpus in einem Anagramma heißt Porcus, diesem Thiere ist nichts lieber, als sich in dem Koth wälzen; das Mörtel Leib in Buchstabenwechsel Blei, man besudelt sich durch das bloße Anrühren mit diesem Metall." „Zuweilen sieht man einen groben Gesellen, der mehr einem Schuhmeister als einen Schulmeister gleichet, weil er das Klopfholz immer in Händen trägt;" „und ist er seiner kupf- rigem Nase wegen mehr schandroth als schamroth." „O wie oft sind die Aceidentia lauter Occidentia, die manchen um Leib und Seele bringen!" „Von vielen Jahren her ist das römische Reich schier römisch arm geworden durch stete Krieg*), von etlichen Jahren her ist Niederland noch niederer geworden durch stete Krieg, Elsaß ist ein Elendsaß, der Rheinstrom ist ein Peinstrom ge¬ worden durch lauter Krieg, Ungarn führt ein doppeltes Kreuz im Wappen und bisher hat es viel tausend Kreuz ausgestanden durch lauter Krieg." Aber wer verursacht so langwierige, klägliche, schmerzliche Kriegsempörungen? Wer? der; nein, sondern die, die Sünde." Das Aergste aber, was der spielerische Redner in dieser Hinsicht geleistet hat. ist wohl seine Aufzählung der Ver¬ luste, welche die Pest in Wien angerichtet hat, nach Plätzen und Straßen. .In der Herrengasse hat der Tod geherrschet", „in der Bognergasse hat der Tod ziemlich seinen Bogen abgeschossen, auf der Singerstraße hat der Tod vielen das Requiem gesungen, in der Reimerstraße hat der Tod aus fremden Häuten Riemen geschnitten", „auf dem alten Fleischmarkt hat der Tod auch seine Fleischbank gehabt", „auf der Seilerstadt hat der Tod vielen Fallstricke gelegt," „auf dem Salzgries hat's der Tod manchem versalzen, auf dem Katzen- *) Diese von Schiller benutzte Stelle befindet sich in der Predigtsammlung „Reim Dich oder ich lies Dich" (Sämmtliche Werke, Passau, S. 364 des 8. Bandes).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/289>, abgerufen am 27.11.2024.