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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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wieder nach Cuxhafen zu segeln, wurde er von der Cholera ergriffen, seine
Frau vom Typhus, und nach wenigen Tagen waren beide todt. -- Daran
anknüpfend, sprach er von einem andern deutschen Maler seiner Bekanntschaft,
der als Aquarellmaler großes Glück in London gemacht hatte. Er hieß Haag,
und hatte in Fürth einen der englischen Prinzen kennen gelernt, der sich auf
einer Wanderung verirrt hatte. Der Prinz fand Gefallen an ihm und for¬
derte ihn auf, nach England zu kommen, wo er bald durch seine Empfehlung
bei Hofe und in den Kreisen der höchsten Aristokratie reichlich zu thun fand.

"Er war früher ein rother Republikaner. Als ich 1848 zum ersten Mal
wieder nach Deutschland zurückkehrte, weil jetzt meiner Rückkehr nichts mehr
im Wege stand, hielt ich es doch für räthlich mir einen preußischen Paß geben
zu lassen, da man in Holland zuweilen aus Schwierigkeiten stieß. Die Ge¬
sandtschaft in London zeigte sich indessen etwas bedenklich, und das veran¬
laßte mich an Bunsen zu schreiben, es könne mir der Paß nicht verweigert
werden, ich würde am andern Tage hinkommen und hoffte alsdann ihn bereit
zu finden. Ich nahm Haag als Zeugen mit mir nach der Gesandtschaft,
und erhielt auch von Bunsen den gewünschten Paß, den er mir mit diplo¬
matisch sauer - süßer Miene einhändigte. Auch er hatte sich zu diesem Rendez¬
vous einen Zeugen bestellt, den Gesandtschaftsattache' N., ein kleines Männchen,
das in einem großen Fauteuil vergraben lag."

Wir kamen dann aus die gegenwärtigen Literaturzustände in Deutsch¬
land zu sprechen.

Ich habe, sagte ich, mit großer Genugthuung die Abfertigung gelesen,
die Sie kürzlich in der "Gegenwart" Paul Lindau's Ernst Eckstein zu Theil
werden ließen*). Ganz abgesehen von der sprachlichen Blöße, die er sich gab,
indem er sein Original gar nicht verstand, verdiente er die Zurechtweisung
auch des verkehrten Princips wegen, das er vertritt. Als wenn dem Ueber¬
setzer das Recht zustände, in dieser Weise sein Original zu verbessern.

In diesem Falle zu schlimmbessern, bemerkte Frau Freiligrath.

"Ich freute mich, daß ganz unabhängig von mir Gisbert Vtncke gleich¬
zeitig dasselbe äußerte", sagte Freiligrath. "Mir kam es vor, wie die Contra-
signatur eines Ministers."

Die Schläge von den beiden Westfalen werden doch wohl etwas gewirkt
haben, fügte seine Frau hinzu.

Freiligrath äußerte sich über den übermüthigen und pietätlosen Ton, der
unter unsern jüngsten Schriftstellern in der Beurtheilung älterer Dichter
herrscht. "Lesen Sie die Deutsche Dichterhalle?" fragte er mich.



") Eckstein hatte Longfellow's "?fallu ok Likv" übersetzt und glaubte dem Dichter ver¬
schiedene Schiefheiten, falsche Bilder u. tgi. nachweisen zu können, die er in seiner Ueber-
setzung bessern zu müssen glaubte.

wieder nach Cuxhafen zu segeln, wurde er von der Cholera ergriffen, seine
Frau vom Typhus, und nach wenigen Tagen waren beide todt. — Daran
anknüpfend, sprach er von einem andern deutschen Maler seiner Bekanntschaft,
der als Aquarellmaler großes Glück in London gemacht hatte. Er hieß Haag,
und hatte in Fürth einen der englischen Prinzen kennen gelernt, der sich auf
einer Wanderung verirrt hatte. Der Prinz fand Gefallen an ihm und for¬
derte ihn auf, nach England zu kommen, wo er bald durch seine Empfehlung
bei Hofe und in den Kreisen der höchsten Aristokratie reichlich zu thun fand.

„Er war früher ein rother Republikaner. Als ich 1848 zum ersten Mal
wieder nach Deutschland zurückkehrte, weil jetzt meiner Rückkehr nichts mehr
im Wege stand, hielt ich es doch für räthlich mir einen preußischen Paß geben
zu lassen, da man in Holland zuweilen aus Schwierigkeiten stieß. Die Ge¬
sandtschaft in London zeigte sich indessen etwas bedenklich, und das veran¬
laßte mich an Bunsen zu schreiben, es könne mir der Paß nicht verweigert
werden, ich würde am andern Tage hinkommen und hoffte alsdann ihn bereit
zu finden. Ich nahm Haag als Zeugen mit mir nach der Gesandtschaft,
und erhielt auch von Bunsen den gewünschten Paß, den er mir mit diplo¬
matisch sauer - süßer Miene einhändigte. Auch er hatte sich zu diesem Rendez¬
vous einen Zeugen bestellt, den Gesandtschaftsattache' N., ein kleines Männchen,
das in einem großen Fauteuil vergraben lag."

Wir kamen dann aus die gegenwärtigen Literaturzustände in Deutsch¬
land zu sprechen.

Ich habe, sagte ich, mit großer Genugthuung die Abfertigung gelesen,
die Sie kürzlich in der „Gegenwart" Paul Lindau's Ernst Eckstein zu Theil
werden ließen*). Ganz abgesehen von der sprachlichen Blöße, die er sich gab,
indem er sein Original gar nicht verstand, verdiente er die Zurechtweisung
auch des verkehrten Princips wegen, das er vertritt. Als wenn dem Ueber¬
setzer das Recht zustände, in dieser Weise sein Original zu verbessern.

In diesem Falle zu schlimmbessern, bemerkte Frau Freiligrath.

„Ich freute mich, daß ganz unabhängig von mir Gisbert Vtncke gleich¬
zeitig dasselbe äußerte", sagte Freiligrath. „Mir kam es vor, wie die Contra-
signatur eines Ministers."

Die Schläge von den beiden Westfalen werden doch wohl etwas gewirkt
haben, fügte seine Frau hinzu.

Freiligrath äußerte sich über den übermüthigen und pietätlosen Ton, der
unter unsern jüngsten Schriftstellern in der Beurtheilung älterer Dichter
herrscht. „Lesen Sie die Deutsche Dichterhalle?" fragte er mich.



") Eckstein hatte Longfellow's „?fallu ok Likv« übersetzt und glaubte dem Dichter ver¬
schiedene Schiefheiten, falsche Bilder u. tgi. nachweisen zu können, die er in seiner Ueber-
setzung bessern zu müssen glaubte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/275>, abgerufen am 24.11.2024.