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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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den Erwerb nicht machen kann oder will, kommt der preußische Staat in
Frage. Darum hat die preußische Regierung sich die Vollmacht erbeten, dem
Reich ihren Staatsbahnbesitz als Kern eines zu consolidirenden Retchsbahn-
besitzes anzutragen. -- Die Vollmacht ist auch in dritter Lesung ertheilt
worden, mit noch etwas größerer Majorität -- 216 gegen 160 Stimmen --
als bei der zweiten Lesung. Unter den Rednern war diesmal Heinrich von
Sybel als Anwalt der Vorlage am glücklichsten. Dem Für und Wider im
Einzelnen zu folgen, unterlasse ich aus dem schon angegebenen Grunde, da
sämmtliche Redner die Vollmacht nicht vom preußischen Standpunkte, sondern
vom deutschen besprachen.

An diesen ersten Sieg der Regierung in dieser großen Frage, an welcher
die hochheilsamsten Folgen in vielfacher Beziehung hängen, knüpft sich bereits
jetzt eine erfreuliche und heilsame Folge. DasBandzwischen dernatio-
nalenPartei und demKanzler, das vor einiger Zeit gelockert
schien, ist wieder geschlossen und, irren wir nicht, fester als
je geschlossen. Die nationale Partei hat gezeigt, daß, wo es sich um die
wahren Lebensfragen des Reiches, um die Lebenskraft der Einheitsinstitutionen
handelt, sie den guten scharfen Jnstinct sich bewahrt und ebenso den Muth,
nach diesem Jnstinct zu handeln. Vortrefflich sagte Laster am 26. April: es
kommt daraus an, dem Reich mehr unmittelbaren staatlichen Inhalt zu
geben; warum man vor diesem Inhalt zurückschrecke, wenn man Freund des
Reiches sein wolle? Mit dieser Erkenntniß und mit diesem Streben wird die
nationale Partei die wahre Stütze des Kanzlers im Volke bleiben, die seinem
Werke unentbehrlich ist.

Die Gegner, des Kanzlers freilich wußten eine unerwünschte Folge des
Reichsbahnsystems schon jetzt namhaft zu machen. In der stärksten Weise
erklärte der Kanzler am 26. April, daß der Rücktritt des Ministers Delbrück
nicht durch irgend eine Differenz in der Behandlung der Reichsgeschäfte her¬
beigeführt sei. Aber Redner und Blätter des Centrums und des Fortschritts
Wetteifern, den Minister Delbrück zum Märtyrer des Reichsbahnplanes zu
wachen. Gegen einen solchen Willen ist einstweilen nichts auszurichten. Die
Stunde wird kommen, wie wir glauben, wo Herr Delbrück selbst für die Be¬
gründung des Reichsbahnbesitzes eintritt. Wenn aber die Gegner fragen.
Warum er das nicht sofort gethan, auch wenn er aus andern Gründen gehen
wußte, so ist die Antwort: daß das Eintreten Delbrück's in einem entscheiden¬
deren Stadium wichtiger ist für den Plan, als im gegenwärtigen Moment
des Vorstadiums, dessen glückliche Zurücklegung gesichert war. Ueberdies hat
Herr Delbrück, obschon preußischer Staatsminister, diese Eigenschaft stets als
Accidens seiner Reichsdienerstellung betrachtet; als Reichsdiener aber hatte
er im Landtag nicht das Wort zu nehmen.


den Erwerb nicht machen kann oder will, kommt der preußische Staat in
Frage. Darum hat die preußische Regierung sich die Vollmacht erbeten, dem
Reich ihren Staatsbahnbesitz als Kern eines zu consolidirenden Retchsbahn-
besitzes anzutragen. — Die Vollmacht ist auch in dritter Lesung ertheilt
worden, mit noch etwas größerer Majorität — 216 gegen 160 Stimmen —
als bei der zweiten Lesung. Unter den Rednern war diesmal Heinrich von
Sybel als Anwalt der Vorlage am glücklichsten. Dem Für und Wider im
Einzelnen zu folgen, unterlasse ich aus dem schon angegebenen Grunde, da
sämmtliche Redner die Vollmacht nicht vom preußischen Standpunkte, sondern
vom deutschen besprachen.

An diesen ersten Sieg der Regierung in dieser großen Frage, an welcher
die hochheilsamsten Folgen in vielfacher Beziehung hängen, knüpft sich bereits
jetzt eine erfreuliche und heilsame Folge. DasBandzwischen dernatio-
nalenPartei und demKanzler, das vor einiger Zeit gelockert
schien, ist wieder geschlossen und, irren wir nicht, fester als
je geschlossen. Die nationale Partei hat gezeigt, daß, wo es sich um die
wahren Lebensfragen des Reiches, um die Lebenskraft der Einheitsinstitutionen
handelt, sie den guten scharfen Jnstinct sich bewahrt und ebenso den Muth,
nach diesem Jnstinct zu handeln. Vortrefflich sagte Laster am 26. April: es
kommt daraus an, dem Reich mehr unmittelbaren staatlichen Inhalt zu
geben; warum man vor diesem Inhalt zurückschrecke, wenn man Freund des
Reiches sein wolle? Mit dieser Erkenntniß und mit diesem Streben wird die
nationale Partei die wahre Stütze des Kanzlers im Volke bleiben, die seinem
Werke unentbehrlich ist.

Die Gegner, des Kanzlers freilich wußten eine unerwünschte Folge des
Reichsbahnsystems schon jetzt namhaft zu machen. In der stärksten Weise
erklärte der Kanzler am 26. April, daß der Rücktritt des Ministers Delbrück
nicht durch irgend eine Differenz in der Behandlung der Reichsgeschäfte her¬
beigeführt sei. Aber Redner und Blätter des Centrums und des Fortschritts
Wetteifern, den Minister Delbrück zum Märtyrer des Reichsbahnplanes zu
wachen. Gegen einen solchen Willen ist einstweilen nichts auszurichten. Die
Stunde wird kommen, wie wir glauben, wo Herr Delbrück selbst für die Be¬
gründung des Reichsbahnbesitzes eintritt. Wenn aber die Gegner fragen.
Warum er das nicht sofort gethan, auch wenn er aus andern Gründen gehen
wußte, so ist die Antwort: daß das Eintreten Delbrück's in einem entscheiden¬
deren Stadium wichtiger ist für den Plan, als im gegenwärtigen Moment
des Vorstadiums, dessen glückliche Zurücklegung gesichert war. Ueberdies hat
Herr Delbrück, obschon preußischer Staatsminister, diese Eigenschaft stets als
Accidens seiner Reichsdienerstellung betrachtet; als Reichsdiener aber hatte
er im Landtag nicht das Wort zu nehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/271>, abgerufen am 27.11.2024.