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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Liebe, ein Reich, dessen Macht und Mittel die sittliche Bestimmung der Mensch¬
heit zu verwirklichen gerade da anfangen, wo die des Staates aufhören, und
das darum die Fähigkeit hat, sich mit dem Staate, dem mächtigen Gebieter
auf Erden, in aller Demuth zu vertragen, aber auch das Bedürfniß, in seiner
eigenthümlichen Sphäre mit ihm unverworren lediglich seinen eignen höchst
unschuldigen Gesetzen zu folgen. Es ist demnach die innerste Natur der
Kirche, die uns gegen ihre Vermischung mit dem Staate protestiren, die
uns die Forderung der Freiheit der Kirche, des Selbstbestimmungsrechtes
in ihren eigenthümlichen Angelegenheiten erheben läßt. Es ist keine erst
Moderne, erst Schleiermacher'sche Idee, diese Freiheit der Kirche; auch
Luther hat sie gehegt, so wenig er sie verwirklichen konnte, wenn er den
Satan darin findet, daß wie im Papstthum die Kirche in die Politik, nun¬
wehr die Politik in die Kirche sich mische, wenn er das weltliche Regiment,
dessen göttlichen Ursprung er wieder auf den Leuchter gesteckt, doch beschränkt
auf "Leib, Gut und was äußerlich ist auf Erden", und den Versuch "der
Seele Gesetze zu geben" einen seelenverderblichen Eingriff in Gottes Regiment
nennt; -- "darum muß man diese beiden Regimenter mit Fleiß scheiden, und
beides bleiben lassen, eines, das fromm macht, das andere, das äußerlich
Frieden schafft und bösen Werken wehrt". Aber schon lange vor Luther hat
ein höherer Mund, ein Mund, dessen Worte uns Christen mehr gelten als
alle Stimmen der Weltweisheit, beide Sphären, die des Staates und die der
Religion, ein für allemal auseinandergesetzt und gegen alle Vermischung der¬
selben, deren die vorchristliche Welt voll war, den unvergänglichen Protest er¬
hoben: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gotte, was Gottes ist."

Was wir aus diesen Sätzen folgern, liegt gleichwohl von dem, was
unser Verfasser will, so weit nicht ab, als es scheinen könnte; er hätte nur
statt der "Staatskirche", die ein Bastardbegriff ist. die Volkskirche, die Natio¬
nalkirche setzen sollen. Nicht im Staate liegt die Einheit der sittlichen Func-
tionen. oder es liegt in ihm doch nur die rechtliche Einheit derselben, indem
er allerdings, der allein souveraine Gesetzgeber auf Erden, allem was sich auf
seinem Gebiete entfalten will, auch der Freiheit der Kirche, die Schranken der
freien Bewegung zu ziehen formell berechtigt und berufen ist; -- die lebendige
Einheit der sittlichen Functionen liegt in dem Volksgeiste, auf dessen Boden
sich Staat und Kirche begegnen. Und wenn nun Zucht und Glaube, Gesetz
und Evangelium, Staat und Kirche die beiden wesentlichen und nothwendigen
Centren der irdischen Ellipse sind, so wird es keine inconsequente Folgerung
aus unseren Prämissen sein, wenn wir ein richtiges und positives wechsel¬
seitiges Verhältniß zwischen diesen beiden Centren fordern. Man soll zwar
den Staatsbegriff nicht so, wie der Verfasser thut, lediglich dem deutschen
Volke auf den Leib zuschneiden, so daß er auf die Verhältnisse keiner andern


Liebe, ein Reich, dessen Macht und Mittel die sittliche Bestimmung der Mensch¬
heit zu verwirklichen gerade da anfangen, wo die des Staates aufhören, und
das darum die Fähigkeit hat, sich mit dem Staate, dem mächtigen Gebieter
auf Erden, in aller Demuth zu vertragen, aber auch das Bedürfniß, in seiner
eigenthümlichen Sphäre mit ihm unverworren lediglich seinen eignen höchst
unschuldigen Gesetzen zu folgen. Es ist demnach die innerste Natur der
Kirche, die uns gegen ihre Vermischung mit dem Staate protestiren, die
uns die Forderung der Freiheit der Kirche, des Selbstbestimmungsrechtes
in ihren eigenthümlichen Angelegenheiten erheben läßt. Es ist keine erst
Moderne, erst Schleiermacher'sche Idee, diese Freiheit der Kirche; auch
Luther hat sie gehegt, so wenig er sie verwirklichen konnte, wenn er den
Satan darin findet, daß wie im Papstthum die Kirche in die Politik, nun¬
wehr die Politik in die Kirche sich mische, wenn er das weltliche Regiment,
dessen göttlichen Ursprung er wieder auf den Leuchter gesteckt, doch beschränkt
auf „Leib, Gut und was äußerlich ist auf Erden", und den Versuch „der
Seele Gesetze zu geben" einen seelenverderblichen Eingriff in Gottes Regiment
nennt; — „darum muß man diese beiden Regimenter mit Fleiß scheiden, und
beides bleiben lassen, eines, das fromm macht, das andere, das äußerlich
Frieden schafft und bösen Werken wehrt". Aber schon lange vor Luther hat
ein höherer Mund, ein Mund, dessen Worte uns Christen mehr gelten als
alle Stimmen der Weltweisheit, beide Sphären, die des Staates und die der
Religion, ein für allemal auseinandergesetzt und gegen alle Vermischung der¬
selben, deren die vorchristliche Welt voll war, den unvergänglichen Protest er¬
hoben: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gotte, was Gottes ist."

Was wir aus diesen Sätzen folgern, liegt gleichwohl von dem, was
unser Verfasser will, so weit nicht ab, als es scheinen könnte; er hätte nur
statt der „Staatskirche", die ein Bastardbegriff ist. die Volkskirche, die Natio¬
nalkirche setzen sollen. Nicht im Staate liegt die Einheit der sittlichen Func-
tionen. oder es liegt in ihm doch nur die rechtliche Einheit derselben, indem
er allerdings, der allein souveraine Gesetzgeber auf Erden, allem was sich auf
seinem Gebiete entfalten will, auch der Freiheit der Kirche, die Schranken der
freien Bewegung zu ziehen formell berechtigt und berufen ist; — die lebendige
Einheit der sittlichen Functionen liegt in dem Volksgeiste, auf dessen Boden
sich Staat und Kirche begegnen. Und wenn nun Zucht und Glaube, Gesetz
und Evangelium, Staat und Kirche die beiden wesentlichen und nothwendigen
Centren der irdischen Ellipse sind, so wird es keine inconsequente Folgerung
aus unseren Prämissen sein, wenn wir ein richtiges und positives wechsel¬
seitiges Verhältniß zwischen diesen beiden Centren fordern. Man soll zwar
den Staatsbegriff nicht so, wie der Verfasser thut, lediglich dem deutschen
Volke auf den Leib zuschneiden, so daß er auf die Verhältnisse keiner andern


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[0263] Liebe, ein Reich, dessen Macht und Mittel die sittliche Bestimmung der Mensch¬ heit zu verwirklichen gerade da anfangen, wo die des Staates aufhören, und das darum die Fähigkeit hat, sich mit dem Staate, dem mächtigen Gebieter auf Erden, in aller Demuth zu vertragen, aber auch das Bedürfniß, in seiner eigenthümlichen Sphäre mit ihm unverworren lediglich seinen eignen höchst unschuldigen Gesetzen zu folgen. Es ist demnach die innerste Natur der Kirche, die uns gegen ihre Vermischung mit dem Staate protestiren, die uns die Forderung der Freiheit der Kirche, des Selbstbestimmungsrechtes in ihren eigenthümlichen Angelegenheiten erheben läßt. Es ist keine erst Moderne, erst Schleiermacher'sche Idee, diese Freiheit der Kirche; auch Luther hat sie gehegt, so wenig er sie verwirklichen konnte, wenn er den Satan darin findet, daß wie im Papstthum die Kirche in die Politik, nun¬ wehr die Politik in die Kirche sich mische, wenn er das weltliche Regiment, dessen göttlichen Ursprung er wieder auf den Leuchter gesteckt, doch beschränkt auf „Leib, Gut und was äußerlich ist auf Erden", und den Versuch „der Seele Gesetze zu geben" einen seelenverderblichen Eingriff in Gottes Regiment nennt; — „darum muß man diese beiden Regimenter mit Fleiß scheiden, und beides bleiben lassen, eines, das fromm macht, das andere, das äußerlich Frieden schafft und bösen Werken wehrt". Aber schon lange vor Luther hat ein höherer Mund, ein Mund, dessen Worte uns Christen mehr gelten als alle Stimmen der Weltweisheit, beide Sphären, die des Staates und die der Religion, ein für allemal auseinandergesetzt und gegen alle Vermischung der¬ selben, deren die vorchristliche Welt voll war, den unvergänglichen Protest er¬ hoben: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gotte, was Gottes ist." Was wir aus diesen Sätzen folgern, liegt gleichwohl von dem, was unser Verfasser will, so weit nicht ab, als es scheinen könnte; er hätte nur statt der „Staatskirche", die ein Bastardbegriff ist. die Volkskirche, die Natio¬ nalkirche setzen sollen. Nicht im Staate liegt die Einheit der sittlichen Func- tionen. oder es liegt in ihm doch nur die rechtliche Einheit derselben, indem er allerdings, der allein souveraine Gesetzgeber auf Erden, allem was sich auf seinem Gebiete entfalten will, auch der Freiheit der Kirche, die Schranken der freien Bewegung zu ziehen formell berechtigt und berufen ist; — die lebendige Einheit der sittlichen Functionen liegt in dem Volksgeiste, auf dessen Boden sich Staat und Kirche begegnen. Und wenn nun Zucht und Glaube, Gesetz und Evangelium, Staat und Kirche die beiden wesentlichen und nothwendigen Centren der irdischen Ellipse sind, so wird es keine inconsequente Folgerung aus unseren Prämissen sein, wenn wir ein richtiges und positives wechsel¬ seitiges Verhältniß zwischen diesen beiden Centren fordern. Man soll zwar den Staatsbegriff nicht so, wie der Verfasser thut, lediglich dem deutschen Volke auf den Leib zuschneiden, so daß er auf die Verhältnisse keiner andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/263>, abgerufen am 27.11.2024.