Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

werden, das -- freilich in anderer als in der herkömmlichen methodistischen
Weise -- Seelsorge treibe, und diesem amtlichen Diaconat sollen freiwillige
Kräfte aus der Gemeinde, echte "Presbyter", sich anschließen. -- So gewinnt
der Verfasser zugleich in den Pastoren (Liturgen), Lehrgeistlichen, Diaconen
und Presbytern die Elemente, aus denen er ohne das ihm widerwärtige
Wahlsystem die Vorstände der Gemeinden und mittelst dieser in aufsteigender
Auswahl die Synoden hervorgehen lassen kann. Und indem er diese mit
dem Kirchenregiment des Königs zusammenfaßt, das nach seiner Idee un¬
wandelbar in bisheriger Entstehung und Gestalt verbleiben und auch zu allen
diesen staatskirchlichen Reformen die Initiative ergreifen soll, hat er in ähn¬
licher, nur entschieden gebundnerer Weise als unsere Kirchenordnung ihn
gibt, den Bau der kirchlichen Verfassung fertig, in deren näherer Erörterung
schließlich die Kirchenzucht, die Ausschließung der Taus- und Trauungsver¬
ächter und die ausnahmslose Nichtwiedertrauung der Geschiedenen mit einem
den Zeitgeist energisch ins Gesicht schlagenden Rigorismus betont wird. --

Einigermaßen schwindelt doch auch uns, indem wir diese praktischen
Schlußantrage des geiht- und charaktervoller Buches überlegen. Wir fürchten,
ein gutes Theil der Zeitgenossen, die von demselben Notiz nehmen, werden
an dem Utopismus dieser Schlußrathschläge den willkommenen Vorwand
finden, die ernsten tiefeinschneidender Wahrheiten, die ihnen zur Grundlage
dienen, von sich abzuschütteln; wiewohl das nichts anderes wäre, als die pla¬
tonische Philosophie verachten, weil sie in das Traumbild eines Staates aus¬
läuft, der eben "platonische Republik" bleibt. Daß freilich der evangelisch,
christliche und -kirchliche Staat unsres Verfassers in dieser Form und Gestalt
Platonische Republik bleiben wird, wer könnte darüber einen Augenblick in
Zweifel sein? Wollte der Staat wirklich der evangelischen Kirche diese Stellung
geben, -- sie würde, wie sie nun einmal ist, in aller ihrer Uneinigkeit darin
einig sein sie abzulehnen. Oder wäre die evangelische Kirche morgen wirklich
in der Stimmung, sich vom Staate eine solche Stellung auszubitten, es fiele
dem Staate, wie er nun einmal ist, gar nicht ein, sie ihr zu geben; und wenn
ein König, ein Ministerium in der That Neigung hätte, ihr zu willfahren,
welcher Land- und Reichstag, welcher Kreis oder Stand unsres Volkes würde
nicht dagegen Protestiren? Und da nun nach Hegel das Wirkliche auch das
Vernünftige ist, so müssen solche schlechterdings in die Wirklichkeit nicht ein¬
zuführenden Ideen bei allem ihrem Wahrheitsgehalt doch tief von einem ver¬
borgenen Faden des Irrthums durchzogen sein, und es scheint uns in unserm
Falle auch nicht allzuschwer, wenigstens das dicke Ende dieses Fadens aufzu-
finden. Sieht der verehrte Verfasser denn nicht, daß er mit seinen Vorschlägen
den gordischen Knoten zerhaue, der eben zu lösen wäre? daß er von Insti¬
tutionen, Staatsmaaßregeln erwartet, was nur der Geist in seinem freien


werden, das — freilich in anderer als in der herkömmlichen methodistischen
Weise — Seelsorge treibe, und diesem amtlichen Diaconat sollen freiwillige
Kräfte aus der Gemeinde, echte „Presbyter", sich anschließen. — So gewinnt
der Verfasser zugleich in den Pastoren (Liturgen), Lehrgeistlichen, Diaconen
und Presbytern die Elemente, aus denen er ohne das ihm widerwärtige
Wahlsystem die Vorstände der Gemeinden und mittelst dieser in aufsteigender
Auswahl die Synoden hervorgehen lassen kann. Und indem er diese mit
dem Kirchenregiment des Königs zusammenfaßt, das nach seiner Idee un¬
wandelbar in bisheriger Entstehung und Gestalt verbleiben und auch zu allen
diesen staatskirchlichen Reformen die Initiative ergreifen soll, hat er in ähn¬
licher, nur entschieden gebundnerer Weise als unsere Kirchenordnung ihn
gibt, den Bau der kirchlichen Verfassung fertig, in deren näherer Erörterung
schließlich die Kirchenzucht, die Ausschließung der Taus- und Trauungsver¬
ächter und die ausnahmslose Nichtwiedertrauung der Geschiedenen mit einem
den Zeitgeist energisch ins Gesicht schlagenden Rigorismus betont wird. —

Einigermaßen schwindelt doch auch uns, indem wir diese praktischen
Schlußantrage des geiht- und charaktervoller Buches überlegen. Wir fürchten,
ein gutes Theil der Zeitgenossen, die von demselben Notiz nehmen, werden
an dem Utopismus dieser Schlußrathschläge den willkommenen Vorwand
finden, die ernsten tiefeinschneidender Wahrheiten, die ihnen zur Grundlage
dienen, von sich abzuschütteln; wiewohl das nichts anderes wäre, als die pla¬
tonische Philosophie verachten, weil sie in das Traumbild eines Staates aus¬
läuft, der eben „platonische Republik" bleibt. Daß freilich der evangelisch,
christliche und -kirchliche Staat unsres Verfassers in dieser Form und Gestalt
Platonische Republik bleiben wird, wer könnte darüber einen Augenblick in
Zweifel sein? Wollte der Staat wirklich der evangelischen Kirche diese Stellung
geben, — sie würde, wie sie nun einmal ist, in aller ihrer Uneinigkeit darin
einig sein sie abzulehnen. Oder wäre die evangelische Kirche morgen wirklich
in der Stimmung, sich vom Staate eine solche Stellung auszubitten, es fiele
dem Staate, wie er nun einmal ist, gar nicht ein, sie ihr zu geben; und wenn
ein König, ein Ministerium in der That Neigung hätte, ihr zu willfahren,
welcher Land- und Reichstag, welcher Kreis oder Stand unsres Volkes würde
nicht dagegen Protestiren? Und da nun nach Hegel das Wirkliche auch das
Vernünftige ist, so müssen solche schlechterdings in die Wirklichkeit nicht ein¬
zuführenden Ideen bei allem ihrem Wahrheitsgehalt doch tief von einem ver¬
borgenen Faden des Irrthums durchzogen sein, und es scheint uns in unserm
Falle auch nicht allzuschwer, wenigstens das dicke Ende dieses Fadens aufzu-
finden. Sieht der verehrte Verfasser denn nicht, daß er mit seinen Vorschlägen
den gordischen Knoten zerhaue, der eben zu lösen wäre? daß er von Insti¬
tutionen, Staatsmaaßregeln erwartet, was nur der Geist in seinem freien


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135838"/>
          <p xml:id="ID_813" prev="#ID_812"> werden, das &#x2014; freilich in anderer als in der herkömmlichen methodistischen<lb/>
Weise &#x2014; Seelsorge treibe, und diesem amtlichen Diaconat sollen freiwillige<lb/>
Kräfte aus der Gemeinde, echte &#x201E;Presbyter", sich anschließen. &#x2014; So gewinnt<lb/>
der Verfasser zugleich in den Pastoren (Liturgen), Lehrgeistlichen, Diaconen<lb/>
und Presbytern die Elemente, aus denen er ohne das ihm widerwärtige<lb/>
Wahlsystem die Vorstände der Gemeinden und mittelst dieser in aufsteigender<lb/>
Auswahl die Synoden hervorgehen lassen kann. Und indem er diese mit<lb/>
dem Kirchenregiment des Königs zusammenfaßt, das nach seiner Idee un¬<lb/>
wandelbar in bisheriger Entstehung und Gestalt verbleiben und auch zu allen<lb/>
diesen staatskirchlichen Reformen die Initiative ergreifen soll, hat er in ähn¬<lb/>
licher, nur entschieden gebundnerer Weise als unsere Kirchenordnung ihn<lb/>
gibt, den Bau der kirchlichen Verfassung fertig, in deren näherer Erörterung<lb/>
schließlich die Kirchenzucht, die Ausschließung der Taus- und Trauungsver¬<lb/>
ächter und die ausnahmslose Nichtwiedertrauung der Geschiedenen mit einem<lb/>
den Zeitgeist energisch ins Gesicht schlagenden Rigorismus betont wird. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_814" next="#ID_815"> Einigermaßen schwindelt doch auch uns, indem wir diese praktischen<lb/>
Schlußantrage des geiht- und charaktervoller Buches überlegen. Wir fürchten,<lb/>
ein gutes Theil der Zeitgenossen, die von demselben Notiz nehmen, werden<lb/>
an dem Utopismus dieser Schlußrathschläge den willkommenen Vorwand<lb/>
finden, die ernsten tiefeinschneidender Wahrheiten, die ihnen zur Grundlage<lb/>
dienen, von sich abzuschütteln; wiewohl das nichts anderes wäre, als die pla¬<lb/>
tonische Philosophie verachten, weil sie in das Traumbild eines Staates aus¬<lb/>
läuft, der eben &#x201E;platonische Republik" bleibt. Daß freilich der evangelisch,<lb/>
christliche und -kirchliche Staat unsres Verfassers in dieser Form und Gestalt<lb/>
Platonische Republik bleiben wird, wer könnte darüber einen Augenblick in<lb/>
Zweifel sein? Wollte der Staat wirklich der evangelischen Kirche diese Stellung<lb/>
geben, &#x2014; sie würde, wie sie nun einmal ist, in aller ihrer Uneinigkeit darin<lb/>
einig sein sie abzulehnen. Oder wäre die evangelische Kirche morgen wirklich<lb/>
in der Stimmung, sich vom Staate eine solche Stellung auszubitten, es fiele<lb/>
dem Staate, wie er nun einmal ist, gar nicht ein, sie ihr zu geben; und wenn<lb/>
ein König, ein Ministerium in der That Neigung hätte, ihr zu willfahren,<lb/>
welcher Land- und Reichstag, welcher Kreis oder Stand unsres Volkes würde<lb/>
nicht dagegen Protestiren? Und da nun nach Hegel das Wirkliche auch das<lb/>
Vernünftige ist, so müssen solche schlechterdings in die Wirklichkeit nicht ein¬<lb/>
zuführenden Ideen bei allem ihrem Wahrheitsgehalt doch tief von einem ver¬<lb/>
borgenen Faden des Irrthums durchzogen sein, und es scheint uns in unserm<lb/>
Falle auch nicht allzuschwer, wenigstens das dicke Ende dieses Fadens aufzu-<lb/>
finden. Sieht der verehrte Verfasser denn nicht, daß er mit seinen Vorschlägen<lb/>
den gordischen Knoten zerhaue, der eben zu lösen wäre? daß er von Insti¬<lb/>
tutionen, Staatsmaaßregeln erwartet, was nur der Geist in seinem freien</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] werden, das — freilich in anderer als in der herkömmlichen methodistischen Weise — Seelsorge treibe, und diesem amtlichen Diaconat sollen freiwillige Kräfte aus der Gemeinde, echte „Presbyter", sich anschließen. — So gewinnt der Verfasser zugleich in den Pastoren (Liturgen), Lehrgeistlichen, Diaconen und Presbytern die Elemente, aus denen er ohne das ihm widerwärtige Wahlsystem die Vorstände der Gemeinden und mittelst dieser in aufsteigender Auswahl die Synoden hervorgehen lassen kann. Und indem er diese mit dem Kirchenregiment des Königs zusammenfaßt, das nach seiner Idee un¬ wandelbar in bisheriger Entstehung und Gestalt verbleiben und auch zu allen diesen staatskirchlichen Reformen die Initiative ergreifen soll, hat er in ähn¬ licher, nur entschieden gebundnerer Weise als unsere Kirchenordnung ihn gibt, den Bau der kirchlichen Verfassung fertig, in deren näherer Erörterung schließlich die Kirchenzucht, die Ausschließung der Taus- und Trauungsver¬ ächter und die ausnahmslose Nichtwiedertrauung der Geschiedenen mit einem den Zeitgeist energisch ins Gesicht schlagenden Rigorismus betont wird. — Einigermaßen schwindelt doch auch uns, indem wir diese praktischen Schlußantrage des geiht- und charaktervoller Buches überlegen. Wir fürchten, ein gutes Theil der Zeitgenossen, die von demselben Notiz nehmen, werden an dem Utopismus dieser Schlußrathschläge den willkommenen Vorwand finden, die ernsten tiefeinschneidender Wahrheiten, die ihnen zur Grundlage dienen, von sich abzuschütteln; wiewohl das nichts anderes wäre, als die pla¬ tonische Philosophie verachten, weil sie in das Traumbild eines Staates aus¬ läuft, der eben „platonische Republik" bleibt. Daß freilich der evangelisch, christliche und -kirchliche Staat unsres Verfassers in dieser Form und Gestalt Platonische Republik bleiben wird, wer könnte darüber einen Augenblick in Zweifel sein? Wollte der Staat wirklich der evangelischen Kirche diese Stellung geben, — sie würde, wie sie nun einmal ist, in aller ihrer Uneinigkeit darin einig sein sie abzulehnen. Oder wäre die evangelische Kirche morgen wirklich in der Stimmung, sich vom Staate eine solche Stellung auszubitten, es fiele dem Staate, wie er nun einmal ist, gar nicht ein, sie ihr zu geben; und wenn ein König, ein Ministerium in der That Neigung hätte, ihr zu willfahren, welcher Land- und Reichstag, welcher Kreis oder Stand unsres Volkes würde nicht dagegen Protestiren? Und da nun nach Hegel das Wirkliche auch das Vernünftige ist, so müssen solche schlechterdings in die Wirklichkeit nicht ein¬ zuführenden Ideen bei allem ihrem Wahrheitsgehalt doch tief von einem ver¬ borgenen Faden des Irrthums durchzogen sein, und es scheint uns in unserm Falle auch nicht allzuschwer, wenigstens das dicke Ende dieses Fadens aufzu- finden. Sieht der verehrte Verfasser denn nicht, daß er mit seinen Vorschlägen den gordischen Knoten zerhaue, der eben zu lösen wäre? daß er von Insti¬ tutionen, Staatsmaaßregeln erwartet, was nur der Geist in seinem freien

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/257>, abgerufen am 28.07.2024.