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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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die evangelische Landeskirche in Preußen als Ansatz zur deutschen National¬
kirche -- so gestalten, daß sie ihm die großen Dienste, zu denen die Religion
berufen ist, in der That zu leisten vermöge. Es folgen hierüber eine Reihe
kühngedachter Vorschläge, die uns lebhaft an das "Leicht bei einander wohnen
die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Dinge" gemahnen. Zu¬
nächst soll die Union als Bekenntnißunion durchgeführt und über den als
Lehrarten nebeneinander zugelassenen altevangelischen Bekenntnissen ein neues
höchst einfaches Symbolum aufgestellt werden. Dasselbe soll zunächst nur den
Glauben an Gott den Vater und Schöpfer, an die Berufung der Mensch¬
heit zu der von Christo bewährten Gotteskindschaft und an die durch den
Glauben bedingte erlösende Gnade enthalten, aber wie die regula napi der
alten Kirche auf Grund der weiteren Erfahrung antithetisch ausgebildet
Werden, denn allerdings "kann die Kirche nicht der Spiegel sein für die un¬
regelmäßigen Stürme der öffentlichen Meinung, vielmehr soll sie der Hafen
sein für die auf der offenen See als sturmfest bewährten Schiffe." Wer mit
dieser Neuconstituirung der Kirche nicht einverstanden ist, dem soll der Eintritt
in eine altprotestantische Separatkirche oder der Verzicht auf jede kirchliche
Gemeinschaft offen stehn. Der Cultus, den nach des Verfassers Meinung
nur der Wahn, als könne man mit ihm leere Herzen füllen, in unseren Zeiten
Zu einem Gegenstand reformirender Experimente gemacht hat, soll nur Eine
große Aenderung erfahren -- den Wegfall der Predigt. Gegen sie ist der
Verfasser aufs äußerste verstimmt, wie es scheint, auf Grund sehr übler Er-
fahrungen; er verwirft sie principiell, denn "Belehren und Erbauen", was
sie zugleich solle, scheint sich ihm -- wohl in Folge seines antischleiermacher-
schen Religionsbegriffes -- "wie Wasser und Feuer zu verhalten". Wir glauben,
daß gerade die eigenthümliche Einheit von Gefühl, Gedanke und Wille, die
im Wesen der Religion liegt, die Predigt als belehrende Erbauung im Cultus
fordert und daß ohne sie unser Cultus zur Mumie werden würde wie der
der griechischen Kirche; wir wissen die Schwierigkeiten, die der Predigt in einer
bildungszerfahrenen Zeit wie die unsrige entgegenstehen, wohl zu würdigen,
können aber in ihnen keinen Grund finden, eine Wirkungsweise der Kirche
aufzugeben, die nicht wie der Verfasser meint blos in der Reformationszeit
ihre Bedeutung gehabt hat, und die noch heute, wo sie recht geschieht, große
Anziehungskraft ausübt; -- "Reiche werden nur mit denselben Mitteln er¬
halten, mit denen sie gestiftet worden sind." -- Während das Ruheamt des
Liturgen altersmüden würdigen Geistlichen vorbehalten wird, soll der jüngeren
Geistlichkeit statt der wegfallenden Predigt das weite Gebiet der Volksbeleh-
rung aufgethan werden, sowohl im Jugendunterricht von der Volksschule an
bis zur Gelehrtenschule hinauf, als auch in einem Amt freier Vorträge an
die nach Bildungsstufen zu gruppirende Gemeinde der Erwachsenen, Vorträge,


die evangelische Landeskirche in Preußen als Ansatz zur deutschen National¬
kirche — so gestalten, daß sie ihm die großen Dienste, zu denen die Religion
berufen ist, in der That zu leisten vermöge. Es folgen hierüber eine Reihe
kühngedachter Vorschläge, die uns lebhaft an das „Leicht bei einander wohnen
die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Dinge" gemahnen. Zu¬
nächst soll die Union als Bekenntnißunion durchgeführt und über den als
Lehrarten nebeneinander zugelassenen altevangelischen Bekenntnissen ein neues
höchst einfaches Symbolum aufgestellt werden. Dasselbe soll zunächst nur den
Glauben an Gott den Vater und Schöpfer, an die Berufung der Mensch¬
heit zu der von Christo bewährten Gotteskindschaft und an die durch den
Glauben bedingte erlösende Gnade enthalten, aber wie die regula napi der
alten Kirche auf Grund der weiteren Erfahrung antithetisch ausgebildet
Werden, denn allerdings „kann die Kirche nicht der Spiegel sein für die un¬
regelmäßigen Stürme der öffentlichen Meinung, vielmehr soll sie der Hafen
sein für die auf der offenen See als sturmfest bewährten Schiffe." Wer mit
dieser Neuconstituirung der Kirche nicht einverstanden ist, dem soll der Eintritt
in eine altprotestantische Separatkirche oder der Verzicht auf jede kirchliche
Gemeinschaft offen stehn. Der Cultus, den nach des Verfassers Meinung
nur der Wahn, als könne man mit ihm leere Herzen füllen, in unseren Zeiten
Zu einem Gegenstand reformirender Experimente gemacht hat, soll nur Eine
große Aenderung erfahren — den Wegfall der Predigt. Gegen sie ist der
Verfasser aufs äußerste verstimmt, wie es scheint, auf Grund sehr übler Er-
fahrungen; er verwirft sie principiell, denn „Belehren und Erbauen", was
sie zugleich solle, scheint sich ihm — wohl in Folge seines antischleiermacher-
schen Religionsbegriffes — „wie Wasser und Feuer zu verhalten". Wir glauben,
daß gerade die eigenthümliche Einheit von Gefühl, Gedanke und Wille, die
im Wesen der Religion liegt, die Predigt als belehrende Erbauung im Cultus
fordert und daß ohne sie unser Cultus zur Mumie werden würde wie der
der griechischen Kirche; wir wissen die Schwierigkeiten, die der Predigt in einer
bildungszerfahrenen Zeit wie die unsrige entgegenstehen, wohl zu würdigen,
können aber in ihnen keinen Grund finden, eine Wirkungsweise der Kirche
aufzugeben, die nicht wie der Verfasser meint blos in der Reformationszeit
ihre Bedeutung gehabt hat, und die noch heute, wo sie recht geschieht, große
Anziehungskraft ausübt; — „Reiche werden nur mit denselben Mitteln er¬
halten, mit denen sie gestiftet worden sind." — Während das Ruheamt des
Liturgen altersmüden würdigen Geistlichen vorbehalten wird, soll der jüngeren
Geistlichkeit statt der wegfallenden Predigt das weite Gebiet der Volksbeleh-
rung aufgethan werden, sowohl im Jugendunterricht von der Volksschule an
bis zur Gelehrtenschule hinauf, als auch in einem Amt freier Vorträge an
die nach Bildungsstufen zu gruppirende Gemeinde der Erwachsenen, Vorträge,


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[0255] die evangelische Landeskirche in Preußen als Ansatz zur deutschen National¬ kirche — so gestalten, daß sie ihm die großen Dienste, zu denen die Religion berufen ist, in der That zu leisten vermöge. Es folgen hierüber eine Reihe kühngedachter Vorschläge, die uns lebhaft an das „Leicht bei einander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Dinge" gemahnen. Zu¬ nächst soll die Union als Bekenntnißunion durchgeführt und über den als Lehrarten nebeneinander zugelassenen altevangelischen Bekenntnissen ein neues höchst einfaches Symbolum aufgestellt werden. Dasselbe soll zunächst nur den Glauben an Gott den Vater und Schöpfer, an die Berufung der Mensch¬ heit zu der von Christo bewährten Gotteskindschaft und an die durch den Glauben bedingte erlösende Gnade enthalten, aber wie die regula napi der alten Kirche auf Grund der weiteren Erfahrung antithetisch ausgebildet Werden, denn allerdings „kann die Kirche nicht der Spiegel sein für die un¬ regelmäßigen Stürme der öffentlichen Meinung, vielmehr soll sie der Hafen sein für die auf der offenen See als sturmfest bewährten Schiffe." Wer mit dieser Neuconstituirung der Kirche nicht einverstanden ist, dem soll der Eintritt in eine altprotestantische Separatkirche oder der Verzicht auf jede kirchliche Gemeinschaft offen stehn. Der Cultus, den nach des Verfassers Meinung nur der Wahn, als könne man mit ihm leere Herzen füllen, in unseren Zeiten Zu einem Gegenstand reformirender Experimente gemacht hat, soll nur Eine große Aenderung erfahren — den Wegfall der Predigt. Gegen sie ist der Verfasser aufs äußerste verstimmt, wie es scheint, auf Grund sehr übler Er- fahrungen; er verwirft sie principiell, denn „Belehren und Erbauen", was sie zugleich solle, scheint sich ihm — wohl in Folge seines antischleiermacher- schen Religionsbegriffes — „wie Wasser und Feuer zu verhalten". Wir glauben, daß gerade die eigenthümliche Einheit von Gefühl, Gedanke und Wille, die im Wesen der Religion liegt, die Predigt als belehrende Erbauung im Cultus fordert und daß ohne sie unser Cultus zur Mumie werden würde wie der der griechischen Kirche; wir wissen die Schwierigkeiten, die der Predigt in einer bildungszerfahrenen Zeit wie die unsrige entgegenstehen, wohl zu würdigen, können aber in ihnen keinen Grund finden, eine Wirkungsweise der Kirche aufzugeben, die nicht wie der Verfasser meint blos in der Reformationszeit ihre Bedeutung gehabt hat, und die noch heute, wo sie recht geschieht, große Anziehungskraft ausübt; — „Reiche werden nur mit denselben Mitteln er¬ halten, mit denen sie gestiftet worden sind." — Während das Ruheamt des Liturgen altersmüden würdigen Geistlichen vorbehalten wird, soll der jüngeren Geistlichkeit statt der wegfallenden Predigt das weite Gebiet der Volksbeleh- rung aufgethan werden, sowohl im Jugendunterricht von der Volksschule an bis zur Gelehrtenschule hinauf, als auch in einem Amt freier Vorträge an die nach Bildungsstufen zu gruppirende Gemeinde der Erwachsenen, Vorträge,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/255>, abgerufen am 28.07.2024.