Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

er sich die Heilung des inneren Grundschadens in unserem Nationalleben ver¬
spricht. Es kommt nach seiner Ansicht daraus an, der Kirche die Mittel ihres
Berufs, deren sie sast ganz beraubt ist, und damit ihren Beruf selbst zurück¬
zugeben. Und nur der Staat -- meint er -- kann das thun; es gilt, den
Theil seiner sittlichen Aufgabe, der nur mittelst der Religion zu lösen ist, der
Kirche zuzuweisen, denselben als Kreis der kirchlichen Pflicht zu organisiren
und die Kirche mit den Mitteln für diesen Pflichtenkreis auszustatten. Hiebe!
kommt der Verfasser nochmals auf das nothwendige Innehalten in der Ent-
kirchlichrmg des Staates zurück. "Wenn es so ist, daß der Staat nicht auf
irgend einer allgemeinen Bildung ruhen kann, die ein widerspruchsvolles
Chaos ist, sondern daß jeder Staat geschichtlich jeder Zeit beruht hat auf
einem das Geistesleben zur Einheit verbindenden ethischen Glauben, und daß,
so lange die constttutiven Bedingungen des menschlichen Wesens dieselben
bleiben, des Staates Zukunft nur aus einem solchen Glauben beruhen kann,
so muß der Staat auch demjenigen Glauben, der seine ethische Lebensnahrung
bildet, den Schutz und die Pflege angedeihen lassen, die er nach den verschiedenen
Bedingungen der verschiedenen Zeiten wirksam zu gewähren im Stande ist."
Natürlich sollen die großen Grundsätze moderner Entwicklung, die Glaubens¬
und Gewissensfreiheit, die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürger¬
lichen Rechte vom religiösen Bekenntniß, nicht widerrufen werden; auch die
Civilstandsgesetzgebung soll -- im Interesse der Kirche wie des Staates
bleiben, ja die Entkirchlichung des Staates soll noch Einen Schritt weiter¬
geführt und der Eid abgethan werden, dieser "Mißbrauch der so mangelhaft
gepflegten Reste religiöser Ueberzeugung zum Ersatz der Tortur", dessen Wirk¬
samkeit längst nur mehr aus der Furcht vor der bürgerlichen Strafe des
Meineids beruhe. Aber vollberechtigt und festzuhalten ist der Unterschied
zwischen Religionsgesellschaften, die der Staat nur als Privatvereine gewähren
läßt, und solchen, die er als öffentliche Korporationen privtlegirt; noch mehr,
der Staat muß neben der Religionsfreiheit, die er allen Glaubensrichtungen
gewährt, welche seine Gesetze nicht verletzen, Eine Gestalt der Religion als
die Wurzel seines geistigen Lebens erkennen und pflegen, und zu dieser Kirche
sagen "das Siegel meiner Gunst soll hell und weit auf deiner Stirn leuchten!"
Sie muß er schützen gegen alle mit unlauteren Mitteln betriebene Propaganda;
ihr muß er in ihren Gotteshäusern, Gottesdiensten, Geistlichen die öffentliche
Achtung bezeigen und verschaffen, ihr auch (da der Verfasser, sehr gegen die
apostolische Praxis, -- 1 Kor. 9. 11 --- das Princip der Kirchensteuer verwirft
aus seinen Mitteln das irdische Brod darreichen; nicht ohne Rücksicht auf sie
sind die hohen Staatsämter zu vergeben, und die Zugehörigkeit des Herr¬
scherhauses zu ihr muß selbstverständlich sein.

Andrerseits also soll nun der Staat diese Kirche -- in evllei'lito zunächst


er sich die Heilung des inneren Grundschadens in unserem Nationalleben ver¬
spricht. Es kommt nach seiner Ansicht daraus an, der Kirche die Mittel ihres
Berufs, deren sie sast ganz beraubt ist, und damit ihren Beruf selbst zurück¬
zugeben. Und nur der Staat — meint er — kann das thun; es gilt, den
Theil seiner sittlichen Aufgabe, der nur mittelst der Religion zu lösen ist, der
Kirche zuzuweisen, denselben als Kreis der kirchlichen Pflicht zu organisiren
und die Kirche mit den Mitteln für diesen Pflichtenkreis auszustatten. Hiebe!
kommt der Verfasser nochmals auf das nothwendige Innehalten in der Ent-
kirchlichrmg des Staates zurück. „Wenn es so ist, daß der Staat nicht auf
irgend einer allgemeinen Bildung ruhen kann, die ein widerspruchsvolles
Chaos ist, sondern daß jeder Staat geschichtlich jeder Zeit beruht hat auf
einem das Geistesleben zur Einheit verbindenden ethischen Glauben, und daß,
so lange die constttutiven Bedingungen des menschlichen Wesens dieselben
bleiben, des Staates Zukunft nur aus einem solchen Glauben beruhen kann,
so muß der Staat auch demjenigen Glauben, der seine ethische Lebensnahrung
bildet, den Schutz und die Pflege angedeihen lassen, die er nach den verschiedenen
Bedingungen der verschiedenen Zeiten wirksam zu gewähren im Stande ist."
Natürlich sollen die großen Grundsätze moderner Entwicklung, die Glaubens¬
und Gewissensfreiheit, die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürger¬
lichen Rechte vom religiösen Bekenntniß, nicht widerrufen werden; auch die
Civilstandsgesetzgebung soll — im Interesse der Kirche wie des Staates
bleiben, ja die Entkirchlichung des Staates soll noch Einen Schritt weiter¬
geführt und der Eid abgethan werden, dieser „Mißbrauch der so mangelhaft
gepflegten Reste religiöser Ueberzeugung zum Ersatz der Tortur", dessen Wirk¬
samkeit längst nur mehr aus der Furcht vor der bürgerlichen Strafe des
Meineids beruhe. Aber vollberechtigt und festzuhalten ist der Unterschied
zwischen Religionsgesellschaften, die der Staat nur als Privatvereine gewähren
läßt, und solchen, die er als öffentliche Korporationen privtlegirt; noch mehr,
der Staat muß neben der Religionsfreiheit, die er allen Glaubensrichtungen
gewährt, welche seine Gesetze nicht verletzen, Eine Gestalt der Religion als
die Wurzel seines geistigen Lebens erkennen und pflegen, und zu dieser Kirche
sagen „das Siegel meiner Gunst soll hell und weit auf deiner Stirn leuchten!"
Sie muß er schützen gegen alle mit unlauteren Mitteln betriebene Propaganda;
ihr muß er in ihren Gotteshäusern, Gottesdiensten, Geistlichen die öffentliche
Achtung bezeigen und verschaffen, ihr auch (da der Verfasser, sehr gegen die
apostolische Praxis, — 1 Kor. 9. 11 —- das Princip der Kirchensteuer verwirft
aus seinen Mitteln das irdische Brod darreichen; nicht ohne Rücksicht auf sie
sind die hohen Staatsämter zu vergeben, und die Zugehörigkeit des Herr¬
scherhauses zu ihr muß selbstverständlich sein.

Andrerseits also soll nun der Staat diese Kirche — in evllei'lito zunächst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135835"/>
          <p xml:id="ID_809" prev="#ID_808"> er sich die Heilung des inneren Grundschadens in unserem Nationalleben ver¬<lb/>
spricht. Es kommt nach seiner Ansicht daraus an, der Kirche die Mittel ihres<lb/>
Berufs, deren sie sast ganz beraubt ist, und damit ihren Beruf selbst zurück¬<lb/>
zugeben. Und nur der Staat &#x2014; meint er &#x2014; kann das thun; es gilt, den<lb/>
Theil seiner sittlichen Aufgabe, der nur mittelst der Religion zu lösen ist, der<lb/>
Kirche zuzuweisen, denselben als Kreis der kirchlichen Pflicht zu organisiren<lb/>
und die Kirche mit den Mitteln für diesen Pflichtenkreis auszustatten. Hiebe!<lb/>
kommt der Verfasser nochmals auf das nothwendige Innehalten in der Ent-<lb/>
kirchlichrmg des Staates zurück. &#x201E;Wenn es so ist, daß der Staat nicht auf<lb/>
irgend einer allgemeinen Bildung ruhen kann, die ein widerspruchsvolles<lb/>
Chaos ist, sondern daß jeder Staat geschichtlich jeder Zeit beruht hat auf<lb/>
einem das Geistesleben zur Einheit verbindenden ethischen Glauben, und daß,<lb/>
so lange die constttutiven Bedingungen des menschlichen Wesens dieselben<lb/>
bleiben, des Staates Zukunft nur aus einem solchen Glauben beruhen kann,<lb/>
so muß der Staat auch demjenigen Glauben, der seine ethische Lebensnahrung<lb/>
bildet, den Schutz und die Pflege angedeihen lassen, die er nach den verschiedenen<lb/>
Bedingungen der verschiedenen Zeiten wirksam zu gewähren im Stande ist."<lb/>
Natürlich sollen die großen Grundsätze moderner Entwicklung, die Glaubens¬<lb/>
und Gewissensfreiheit, die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürger¬<lb/>
lichen Rechte vom religiösen Bekenntniß, nicht widerrufen werden; auch die<lb/>
Civilstandsgesetzgebung soll &#x2014; im Interesse der Kirche wie des Staates<lb/>
bleiben, ja die Entkirchlichung des Staates soll noch Einen Schritt weiter¬<lb/>
geführt und der Eid abgethan werden, dieser &#x201E;Mißbrauch der so mangelhaft<lb/>
gepflegten Reste religiöser Ueberzeugung zum Ersatz der Tortur", dessen Wirk¬<lb/>
samkeit längst nur mehr aus der Furcht vor der bürgerlichen Strafe des<lb/>
Meineids beruhe. Aber vollberechtigt und festzuhalten ist der Unterschied<lb/>
zwischen Religionsgesellschaften, die der Staat nur als Privatvereine gewähren<lb/>
läßt, und solchen, die er als öffentliche Korporationen privtlegirt; noch mehr,<lb/>
der Staat muß neben der Religionsfreiheit, die er allen Glaubensrichtungen<lb/>
gewährt, welche seine Gesetze nicht verletzen, Eine Gestalt der Religion als<lb/>
die Wurzel seines geistigen Lebens erkennen und pflegen, und zu dieser Kirche<lb/>
sagen &#x201E;das Siegel meiner Gunst soll hell und weit auf deiner Stirn leuchten!"<lb/>
Sie muß er schützen gegen alle mit unlauteren Mitteln betriebene Propaganda;<lb/>
ihr muß er in ihren Gotteshäusern, Gottesdiensten, Geistlichen die öffentliche<lb/>
Achtung bezeigen und verschaffen, ihr auch (da der Verfasser, sehr gegen die<lb/>
apostolische Praxis, &#x2014; 1 Kor. 9. 11 &#x2014;- das Princip der Kirchensteuer verwirft<lb/>
aus seinen Mitteln das irdische Brod darreichen; nicht ohne Rücksicht auf sie<lb/>
sind die hohen Staatsämter zu vergeben, und die Zugehörigkeit des Herr¬<lb/>
scherhauses zu ihr muß selbstverständlich sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_810" next="#ID_811"> Andrerseits also soll nun der Staat diese Kirche &#x2014; in evllei'lito zunächst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] er sich die Heilung des inneren Grundschadens in unserem Nationalleben ver¬ spricht. Es kommt nach seiner Ansicht daraus an, der Kirche die Mittel ihres Berufs, deren sie sast ganz beraubt ist, und damit ihren Beruf selbst zurück¬ zugeben. Und nur der Staat — meint er — kann das thun; es gilt, den Theil seiner sittlichen Aufgabe, der nur mittelst der Religion zu lösen ist, der Kirche zuzuweisen, denselben als Kreis der kirchlichen Pflicht zu organisiren und die Kirche mit den Mitteln für diesen Pflichtenkreis auszustatten. Hiebe! kommt der Verfasser nochmals auf das nothwendige Innehalten in der Ent- kirchlichrmg des Staates zurück. „Wenn es so ist, daß der Staat nicht auf irgend einer allgemeinen Bildung ruhen kann, die ein widerspruchsvolles Chaos ist, sondern daß jeder Staat geschichtlich jeder Zeit beruht hat auf einem das Geistesleben zur Einheit verbindenden ethischen Glauben, und daß, so lange die constttutiven Bedingungen des menschlichen Wesens dieselben bleiben, des Staates Zukunft nur aus einem solchen Glauben beruhen kann, so muß der Staat auch demjenigen Glauben, der seine ethische Lebensnahrung bildet, den Schutz und die Pflege angedeihen lassen, die er nach den verschiedenen Bedingungen der verschiedenen Zeiten wirksam zu gewähren im Stande ist." Natürlich sollen die großen Grundsätze moderner Entwicklung, die Glaubens¬ und Gewissensfreiheit, die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürger¬ lichen Rechte vom religiösen Bekenntniß, nicht widerrufen werden; auch die Civilstandsgesetzgebung soll — im Interesse der Kirche wie des Staates bleiben, ja die Entkirchlichung des Staates soll noch Einen Schritt weiter¬ geführt und der Eid abgethan werden, dieser „Mißbrauch der so mangelhaft gepflegten Reste religiöser Ueberzeugung zum Ersatz der Tortur", dessen Wirk¬ samkeit längst nur mehr aus der Furcht vor der bürgerlichen Strafe des Meineids beruhe. Aber vollberechtigt und festzuhalten ist der Unterschied zwischen Religionsgesellschaften, die der Staat nur als Privatvereine gewähren läßt, und solchen, die er als öffentliche Korporationen privtlegirt; noch mehr, der Staat muß neben der Religionsfreiheit, die er allen Glaubensrichtungen gewährt, welche seine Gesetze nicht verletzen, Eine Gestalt der Religion als die Wurzel seines geistigen Lebens erkennen und pflegen, und zu dieser Kirche sagen „das Siegel meiner Gunst soll hell und weit auf deiner Stirn leuchten!" Sie muß er schützen gegen alle mit unlauteren Mitteln betriebene Propaganda; ihr muß er in ihren Gotteshäusern, Gottesdiensten, Geistlichen die öffentliche Achtung bezeigen und verschaffen, ihr auch (da der Verfasser, sehr gegen die apostolische Praxis, — 1 Kor. 9. 11 —- das Princip der Kirchensteuer verwirft aus seinen Mitteln das irdische Brod darreichen; nicht ohne Rücksicht auf sie sind die hohen Staatsämter zu vergeben, und die Zugehörigkeit des Herr¬ scherhauses zu ihr muß selbstverständlich sein. Andrerseits also soll nun der Staat diese Kirche — in evllei'lito zunächst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/254>, abgerufen am 27.11.2024.