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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Am 29. April gelangte die Eisenbahnvorlage zur zweiten Berathung,
welche in derselben Sitzung erledigt wurde. Es sprach zuerst vom Stand¬
punkt der Regierung Minister Friedenthal. Unter den Gegnern sprach
unter andern Herr Virchow. Er verfuhr diesmal ganz besonders schlau, indem
er eine Aeußerung des Reichskanzlers aus der ersten Berathung benutzte. Fürst
Bismarck hatte von dem unüberwindlichen Particularismus der Regierungen gegen
das Reich in Eisenbahnsachen gesprochen. Da verfehlte nun Herr Virchow nicht,
zu fragen, warum denn der preußische Handeleminister seinen Particularismus
nicht lieber einstelle, anstatt die Abtretung der preußischen Staatsbahnen und
Eisenbahnrechte an das Reich zu fordern. Fürst Bismarck hatte leicht, zu ant¬
worten, daß die Differenzen sich eben aus der Trennung der Wirkungskreise,
nicht aber aus üblem Willen ergeben. Der gute Wille erkennt in diesem,
wie in andern Fällen als das beste Mittel der Eintracht, die Trennung der
Willensbereiche aufzuheben, gerade wie in der Ehe die Gütergemeinschaft als
Mittel der Eintracht angenommen ist.

Unmittelbar nachdem Herr Virchow das Gesetz für verloren erklärt und
den Freunden desselben insinuirt hatte, auf einen ehrenvollen Rückzug zu
denken, wurde es mit 206 gegen 165 Stimmen in namentlicher Abstimmung
angenommen. Aber das wird dem Propheten bei seinen Gläubigen nichts
schaden. Darin gleichen sich die großen und die kleinen Propheten.


e -- r.


Ultramontane Wühlereien in der nordamerikanischen
Union.

Wir haben in unseren, in diesen Blättern zum Abdruck gekommenen
Berichten über die politischen Zustände und die sonstigen öffentlichen Ver¬
hältnisse in den Vereinigten Staaten schon wiederholt kurz angedeutet, daß
der Ultramontanismus auch in der großen transatlantischen Republik
kühn sein Haupt erhebt und auf die wichtigsten Fragen, welche das Wohl
oder Wehe der Union betreffen, einen verderblichen Einfluß auszuüben be¬
strebt ist. Die Wahrheit, welche in dem bekannten Stahl'schen Ausspruche
steckt, daß. wer die Schule hat. auch den Staat hat. ist von den Jesuiten und
den herrschsüchtigen Priestern aller Confessionen niemals verkannt worden;
es ist daher sehr begreiflich, daß der Ultramontanismus, wie anderswo, so
auch in Amerika, alle Mittel anwendet, um das Schulwesen in seine Gewalt
zu bekommen. Namentlich aber sind es die vom Staate unterstützten Frei-


Am 29. April gelangte die Eisenbahnvorlage zur zweiten Berathung,
welche in derselben Sitzung erledigt wurde. Es sprach zuerst vom Stand¬
punkt der Regierung Minister Friedenthal. Unter den Gegnern sprach
unter andern Herr Virchow. Er verfuhr diesmal ganz besonders schlau, indem
er eine Aeußerung des Reichskanzlers aus der ersten Berathung benutzte. Fürst
Bismarck hatte von dem unüberwindlichen Particularismus der Regierungen gegen
das Reich in Eisenbahnsachen gesprochen. Da verfehlte nun Herr Virchow nicht,
zu fragen, warum denn der preußische Handeleminister seinen Particularismus
nicht lieber einstelle, anstatt die Abtretung der preußischen Staatsbahnen und
Eisenbahnrechte an das Reich zu fordern. Fürst Bismarck hatte leicht, zu ant¬
worten, daß die Differenzen sich eben aus der Trennung der Wirkungskreise,
nicht aber aus üblem Willen ergeben. Der gute Wille erkennt in diesem,
wie in andern Fällen als das beste Mittel der Eintracht, die Trennung der
Willensbereiche aufzuheben, gerade wie in der Ehe die Gütergemeinschaft als
Mittel der Eintracht angenommen ist.

Unmittelbar nachdem Herr Virchow das Gesetz für verloren erklärt und
den Freunden desselben insinuirt hatte, auf einen ehrenvollen Rückzug zu
denken, wurde es mit 206 gegen 165 Stimmen in namentlicher Abstimmung
angenommen. Aber das wird dem Propheten bei seinen Gläubigen nichts
schaden. Darin gleichen sich die großen und die kleinen Propheten.


e — r.


Ultramontane Wühlereien in der nordamerikanischen
Union.

Wir haben in unseren, in diesen Blättern zum Abdruck gekommenen
Berichten über die politischen Zustände und die sonstigen öffentlichen Ver¬
hältnisse in den Vereinigten Staaten schon wiederholt kurz angedeutet, daß
der Ultramontanismus auch in der großen transatlantischen Republik
kühn sein Haupt erhebt und auf die wichtigsten Fragen, welche das Wohl
oder Wehe der Union betreffen, einen verderblichen Einfluß auszuüben be¬
strebt ist. Die Wahrheit, welche in dem bekannten Stahl'schen Ausspruche
steckt, daß. wer die Schule hat. auch den Staat hat. ist von den Jesuiten und
den herrschsüchtigen Priestern aller Confessionen niemals verkannt worden;
es ist daher sehr begreiflich, daß der Ultramontanismus, wie anderswo, so
auch in Amerika, alle Mittel anwendet, um das Schulwesen in seine Gewalt
zu bekommen. Namentlich aber sind es die vom Staate unterstützten Frei-


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[0238] Am 29. April gelangte die Eisenbahnvorlage zur zweiten Berathung, welche in derselben Sitzung erledigt wurde. Es sprach zuerst vom Stand¬ punkt der Regierung Minister Friedenthal. Unter den Gegnern sprach unter andern Herr Virchow. Er verfuhr diesmal ganz besonders schlau, indem er eine Aeußerung des Reichskanzlers aus der ersten Berathung benutzte. Fürst Bismarck hatte von dem unüberwindlichen Particularismus der Regierungen gegen das Reich in Eisenbahnsachen gesprochen. Da verfehlte nun Herr Virchow nicht, zu fragen, warum denn der preußische Handeleminister seinen Particularismus nicht lieber einstelle, anstatt die Abtretung der preußischen Staatsbahnen und Eisenbahnrechte an das Reich zu fordern. Fürst Bismarck hatte leicht, zu ant¬ worten, daß die Differenzen sich eben aus der Trennung der Wirkungskreise, nicht aber aus üblem Willen ergeben. Der gute Wille erkennt in diesem, wie in andern Fällen als das beste Mittel der Eintracht, die Trennung der Willensbereiche aufzuheben, gerade wie in der Ehe die Gütergemeinschaft als Mittel der Eintracht angenommen ist. Unmittelbar nachdem Herr Virchow das Gesetz für verloren erklärt und den Freunden desselben insinuirt hatte, auf einen ehrenvollen Rückzug zu denken, wurde es mit 206 gegen 165 Stimmen in namentlicher Abstimmung angenommen. Aber das wird dem Propheten bei seinen Gläubigen nichts schaden. Darin gleichen sich die großen und die kleinen Propheten. e — r. Ultramontane Wühlereien in der nordamerikanischen Union. Wir haben in unseren, in diesen Blättern zum Abdruck gekommenen Berichten über die politischen Zustände und die sonstigen öffentlichen Ver¬ hältnisse in den Vereinigten Staaten schon wiederholt kurz angedeutet, daß der Ultramontanismus auch in der großen transatlantischen Republik kühn sein Haupt erhebt und auf die wichtigsten Fragen, welche das Wohl oder Wehe der Union betreffen, einen verderblichen Einfluß auszuüben be¬ strebt ist. Die Wahrheit, welche in dem bekannten Stahl'schen Ausspruche steckt, daß. wer die Schule hat. auch den Staat hat. ist von den Jesuiten und den herrschsüchtigen Priestern aller Confessionen niemals verkannt worden; es ist daher sehr begreiflich, daß der Ultramontanismus, wie anderswo, so auch in Amerika, alle Mittel anwendet, um das Schulwesen in seine Gewalt zu bekommen. Namentlich aber sind es die vom Staate unterstützten Frei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/238>, abgerufen am 27.11.2024.