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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Und noch ein zweites sehr Wichtiges fehlte dem Redner: Er vermied nicht,
neben vielen treffenden Ausführungen sich durch den Wunsch nach Effect zu
Uebertreibungen hinreißen zu lassen. Mit einer Uebertreibung kann sich ein
Redner zehn gut ausgeführte Argumentationen verderben. Und Herr Richter
übertrieb stark und mehr als einmal. Als er alles gesagt hatte, was für
den Particularismus im Eisenbahnwesen mit mehr oder minder Erfolg gesagt
werden kann, wollte er plötzlich auch den Unitarismus gegen die Vorlage
ins Gefecht führen. Hat ein Redner Glück, so wird eine solche Ungeheuer¬
lichkeit vielleicht nicht sogleich bemerkt und ins Licht gestellt. Dann aber
muß kein Laster Zuhörer sein. Für diesen war es ein Gefundenes, zu zeigen,
was unwidersprechlich ist, sobald es erst gesagt worden, daß nämlich die Ent¬
scheidung des Reichstags nicht dadurch vorweggenommen wird, daß sie ihm
gewahrt wird, indem der preußische Staat dem Reich ein Anerbieten macht,
sondern dadurch, daß dieses Anerbieten verhindert wird durch eine Weigerung
eines der preußischen Gesetzgebungsfaktoren. Denn nach einer solchen Weige¬
rung, wie sollte die Reichsregierung noch dazu kommen, dem preußischen Staat
die Ueberlassung seiner Eisenbahnen zuzumuthen. Mit dieser Ausführung
Laster's war der ganze Effect der Rechter'schen Rede vernichtet.

Das eigentliche Angriffsziel der Rede war die Absorption aller Eisen¬
bahnen auf deutschem Boden bis auf die letzte Strecke durch das Reich ge¬
wesen, und serner die Boraussetzung, daß die Centralisation des Eisenbahn¬
wesens zu einer abstracten und ungeschickten Untformiruug aller Tarife
u. f. w. führen werde. Auch diese Punkte zu widerlegen, hatte Laster leichtes
Spiel. Hier aber, wo es sich um die Intention der Reichsregierung handelte,
konnte das entscheidende Wort nur aus dem Munde des Kanzlers kommen,
und er zögerte nicht, es auszusprechen. Er führte aus, es handle sich bei
dem Plan des Reichseisenbahnsystems um die Consolidation. nicht um die
Unifikation des deutschen Eisenbahnwesens. Es kommt also darauf an, die
großen durchgehenden Straßen, sowohl im Interesse der militärischen Ver¬
theidigung als im Interesse der Verkehrsfretheit gegen Prtvatwillkür, an das
Reich zu bringen. Es handelt sich gar nicht darum, den Privatbau der Eisen¬
bahnen in Zukunft zu verhindern, und ebensowenig, den Eisenbahnbau der
Einzelstaaten. Es handelt sich auch nicht darum, irgend jemandem, sei es
eine Privatactiengesellschaft, sei es ein einzelner Bundesstaat, sein Eigenthum
an Eisenbahnen zu nehmen. Es handelt sich nur darum, einen Reichseisen¬
bahnbesitz, der die Zwecke des Reiches sicher stellt, sei es durch Erwerb, sei es
durch Neubau von Eisenbahnen zu begründen. Aus Seiten des preußischen
Staates handelt es sich darum, dem Bedürfniß des Reiches durch ein frei¬
williges Opfer des preußischen Staates, für welches derselbe wie immer in
der Blüthe und Kraft des Reiches Ersatz finden muß. zu Hülse zu kommen.


Und noch ein zweites sehr Wichtiges fehlte dem Redner: Er vermied nicht,
neben vielen treffenden Ausführungen sich durch den Wunsch nach Effect zu
Uebertreibungen hinreißen zu lassen. Mit einer Uebertreibung kann sich ein
Redner zehn gut ausgeführte Argumentationen verderben. Und Herr Richter
übertrieb stark und mehr als einmal. Als er alles gesagt hatte, was für
den Particularismus im Eisenbahnwesen mit mehr oder minder Erfolg gesagt
werden kann, wollte er plötzlich auch den Unitarismus gegen die Vorlage
ins Gefecht führen. Hat ein Redner Glück, so wird eine solche Ungeheuer¬
lichkeit vielleicht nicht sogleich bemerkt und ins Licht gestellt. Dann aber
muß kein Laster Zuhörer sein. Für diesen war es ein Gefundenes, zu zeigen,
was unwidersprechlich ist, sobald es erst gesagt worden, daß nämlich die Ent¬
scheidung des Reichstags nicht dadurch vorweggenommen wird, daß sie ihm
gewahrt wird, indem der preußische Staat dem Reich ein Anerbieten macht,
sondern dadurch, daß dieses Anerbieten verhindert wird durch eine Weigerung
eines der preußischen Gesetzgebungsfaktoren. Denn nach einer solchen Weige¬
rung, wie sollte die Reichsregierung noch dazu kommen, dem preußischen Staat
die Ueberlassung seiner Eisenbahnen zuzumuthen. Mit dieser Ausführung
Laster's war der ganze Effect der Rechter'schen Rede vernichtet.

Das eigentliche Angriffsziel der Rede war die Absorption aller Eisen¬
bahnen auf deutschem Boden bis auf die letzte Strecke durch das Reich ge¬
wesen, und serner die Boraussetzung, daß die Centralisation des Eisenbahn¬
wesens zu einer abstracten und ungeschickten Untformiruug aller Tarife
u. f. w. führen werde. Auch diese Punkte zu widerlegen, hatte Laster leichtes
Spiel. Hier aber, wo es sich um die Intention der Reichsregierung handelte,
konnte das entscheidende Wort nur aus dem Munde des Kanzlers kommen,
und er zögerte nicht, es auszusprechen. Er führte aus, es handle sich bei
dem Plan des Reichseisenbahnsystems um die Consolidation. nicht um die
Unifikation des deutschen Eisenbahnwesens. Es kommt also darauf an, die
großen durchgehenden Straßen, sowohl im Interesse der militärischen Ver¬
theidigung als im Interesse der Verkehrsfretheit gegen Prtvatwillkür, an das
Reich zu bringen. Es handelt sich gar nicht darum, den Privatbau der Eisen¬
bahnen in Zukunft zu verhindern, und ebensowenig, den Eisenbahnbau der
Einzelstaaten. Es handelt sich auch nicht darum, irgend jemandem, sei es
eine Privatactiengesellschaft, sei es ein einzelner Bundesstaat, sein Eigenthum
an Eisenbahnen zu nehmen. Es handelt sich nur darum, einen Reichseisen¬
bahnbesitz, der die Zwecke des Reiches sicher stellt, sei es durch Erwerb, sei es
durch Neubau von Eisenbahnen zu begründen. Aus Seiten des preußischen
Staates handelt es sich darum, dem Bedürfniß des Reiches durch ein frei¬
williges Opfer des preußischen Staates, für welches derselbe wie immer in
der Blüthe und Kraft des Reiches Ersatz finden muß. zu Hülse zu kommen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/236>, abgerufen am 27.11.2024.