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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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der Mann entweder schon bestellt oder wollte eben heim in den Stall oder
hatte irgend einen andern Entschuldigungsgrund. Einmal bat er seinen Wirth,
ihm eine Droschke zu bestellen, und der Wirth befahl einen Kutscher herbei,
dessen Standort vor dem Gasthofe war, und der infolge dessen sich nicht gut
weigern konnte, und gebot ihm, den Herrn nach der Kathedrale zu fahren.
Der Kutscher gehorchte und fuhr in raschem Trabe die Straße hinab, aber
kaum war er um die Ecke, so stürzte das Pferd "ganz von ungefähr" und
konnte nicht weiter.

So ging es weiter, bis der Engländer aus den Rath eines Freundes,
der mit den Sitten und Gebräuchen der Etngebornen bekannt war, den
von ihm gemißhandelten Droschkenführer aufsuchte und ihm für den Stoß,
den er ihm versetzt, ein Schmerzensgeld von einem oder zwei Napoleons ein¬
händigte, und jetzt wurde das Interdict, mit dem die Masiusi den Beleidiger
eines Bundesbruders belegt hatten, aufgehoben.

Dieser Vorfall erklärt sich leicht. Der Droschkenkutscher wendete sich mit
seiner Klage an die Häupter der Masiusi seiner Klasse, welche verpflichtet
waren, fhn zu schützen und zu rächen; denn er zahlte wie alle andern Drosch¬
kenkutscher seine regelmäßigen Procente von allem, was er verdiente, an die
Mafia. Die Masiusi konnten nun den Engländer nicht gut erreichen, auch
rechtfertigte der Fall keine offene Gewaltthat, und die Masiusi schreiten zu
einer solchen nur in den äußersten Fällen. In der That würde ihnen ein
solches Verfahren sofort die Behörden auf den Hals gebracht haben, zumal
es sich um einen Fremden handelte, und dieser keinen Anstand genommen
haben würde, gegen sie auszusagen. Aber sie waren verbunden, ihn zu be¬
strafen, um ihren Schützling zufrieden zu stellen, und so ließen sie den Befehl
herumgehen, dem Engländer nicht eher wieder ihre Fuhrwerke zur Verfügung
zu stellen, bis er dem von ihm Gemißhandelten eine Entschädigung gezahlt
habe. Im Falle des Ungehorsams drohten sie mit ihrem Mißfallen und
schwerer Züchtigung. Ich habe erzählt, wie getreulich sie dieser Weisung
nachkamen.

Bei einer andern Gelegenheit entließ einer von meinen Nachbarn, Marquis
V-- einen Bedienten, der sich unverschämt und respectwidrig gegen ihn be¬
tragen hatte. Der Mensch hatte eine Frau und ein Kind, die in Betreff
ihres Unterhaltes gänzlich von ihm abhingen, und die in derselben Straße
wohnten. Die arme Frau ging in großer Bekümmertheit zu dem Vorsteher
der Masiusi ihres Mannes, einem ehemaligen Bedienten, der sich zurückgezogen
hatte, um von seinen Ersparnissen und dem, was die Mafia abwarf, lebte,
und derselbe unternahm es, die Angelegenheit in befriedigender Weise zu be¬
gleichen.

Ich entsinne mich des Burschen recht wohl. Er hieß Cota und war ein


der Mann entweder schon bestellt oder wollte eben heim in den Stall oder
hatte irgend einen andern Entschuldigungsgrund. Einmal bat er seinen Wirth,
ihm eine Droschke zu bestellen, und der Wirth befahl einen Kutscher herbei,
dessen Standort vor dem Gasthofe war, und der infolge dessen sich nicht gut
weigern konnte, und gebot ihm, den Herrn nach der Kathedrale zu fahren.
Der Kutscher gehorchte und fuhr in raschem Trabe die Straße hinab, aber
kaum war er um die Ecke, so stürzte das Pferd „ganz von ungefähr" und
konnte nicht weiter.

So ging es weiter, bis der Engländer aus den Rath eines Freundes,
der mit den Sitten und Gebräuchen der Etngebornen bekannt war, den
von ihm gemißhandelten Droschkenführer aufsuchte und ihm für den Stoß,
den er ihm versetzt, ein Schmerzensgeld von einem oder zwei Napoleons ein¬
händigte, und jetzt wurde das Interdict, mit dem die Masiusi den Beleidiger
eines Bundesbruders belegt hatten, aufgehoben.

Dieser Vorfall erklärt sich leicht. Der Droschkenkutscher wendete sich mit
seiner Klage an die Häupter der Masiusi seiner Klasse, welche verpflichtet
waren, fhn zu schützen und zu rächen; denn er zahlte wie alle andern Drosch¬
kenkutscher seine regelmäßigen Procente von allem, was er verdiente, an die
Mafia. Die Masiusi konnten nun den Engländer nicht gut erreichen, auch
rechtfertigte der Fall keine offene Gewaltthat, und die Masiusi schreiten zu
einer solchen nur in den äußersten Fällen. In der That würde ihnen ein
solches Verfahren sofort die Behörden auf den Hals gebracht haben, zumal
es sich um einen Fremden handelte, und dieser keinen Anstand genommen
haben würde, gegen sie auszusagen. Aber sie waren verbunden, ihn zu be¬
strafen, um ihren Schützling zufrieden zu stellen, und so ließen sie den Befehl
herumgehen, dem Engländer nicht eher wieder ihre Fuhrwerke zur Verfügung
zu stellen, bis er dem von ihm Gemißhandelten eine Entschädigung gezahlt
habe. Im Falle des Ungehorsams drohten sie mit ihrem Mißfallen und
schwerer Züchtigung. Ich habe erzählt, wie getreulich sie dieser Weisung
nachkamen.

Bei einer andern Gelegenheit entließ einer von meinen Nachbarn, Marquis
V— einen Bedienten, der sich unverschämt und respectwidrig gegen ihn be¬
tragen hatte. Der Mensch hatte eine Frau und ein Kind, die in Betreff
ihres Unterhaltes gänzlich von ihm abhingen, und die in derselben Straße
wohnten. Die arme Frau ging in großer Bekümmertheit zu dem Vorsteher
der Masiusi ihres Mannes, einem ehemaligen Bedienten, der sich zurückgezogen
hatte, um von seinen Ersparnissen und dem, was die Mafia abwarf, lebte,
und derselbe unternahm es, die Angelegenheit in befriedigender Weise zu be¬
gleichen.

Ich entsinne mich des Burschen recht wohl. Er hieß Cota und war ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/23>, abgerufen am 27.11.2024.