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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Stellung neben und selbst über dem Gesetze. Offene Räubereien werden nur
von der niedrigsten Klasse und von eigentlichen Verbrechern begangen, welche
die Genossenschaft kraft ihres Codex zwar zu verbergen und durch Zeugniß-
Verweigerung vor der Strafe zu sichern hat, die ihr aber unangenehm sind,
da sie ihr Störung in dem einträglicheren Geschäfte der Erhebung von Schutz¬
geldern und in der Umgehung der Zollstätten verursachen, weil die Behörden
selbstverständlich da, wo ein Raub vorgefallen ist, durch Aufstellung von
Wachen in größerer Zahl die Wiederholung eines solchen Vorfalls, damit
aber auch die Praktiken der Mafiusi erschweren. Der Bund hat intelligente
Leute sowohl in den Städten als auf dem platten Lande. Er hat Loosungen,
Paßworte und andere Erkennungszeichen für seine Mitglieder und Schützlinge.
Sein Einfluß durchdringt alle Verhältnisse der Insel, und die besseren Klassen
haben, außer Stande, seine Macht erfolgreich zu bekämpfen, sich seit unvor¬
denklichen Zeiten mit ihm vertragen und sich seiner zu ihrer Sicherheit be¬
dient. Jeder große Grundbesitzer beinahe hat ein paar bewaffneter Wächter, die
gewöhnlich beritten sind, in seinem Solde, und diese sind fast ohne Aus¬
nahme Mafiusi; selbst die königlichen Domänen werden von Leuten dieser
Art gehütet.

Die Häupter der Genossenschaft auf dem Lande draußen sind gewöhnliche
Feldwächter, kleine Pächter und selbst Grundbesitzer, in den Städten gehören
sie den verschiedenen Handwerken sowie der Klasse der Tagelöhner an. Sie
sind in ihrer Art vollkommen ehrlich, und in der That sind sie Gegner aller
kleinen Räubereien und suchen dieselben in ihrem Bereiche nach Kräften zu
verhüten. Grundbesitzer können bei niemand bessern Schutz finden, als bei
ihnen, vorausgesetzt, daß sie bereitwillig die dafür von ihnen verlangte mäßige
Steuer entrichten.

Um die Schmuggler-Operationen der Mafiusi zu verstehen, muß man
wissen, daß alle Stadtverwaltungen Siciliens gleich denen im übrigen Italien
und in Frankreich die ihnen nöthigen Mittel sich durch eine Steuer auf alle
Eßwaaren und Getränke verschaffen, welche in die Stadt eingeführt werden,
um dort verzehrt zu werden. Fleisch. Fische, Gemüse, Wein, kurz alle Nahrungs¬
mittel bezahlen einen Zoll, und dieser wird in dem Augenblicke und an der
Stelle erhoben, wo diese Dinge die Stadt betreten. Rings um jeden Ort ist
eine imaginäre Linie gezogen, welche auch die Vorstädte und bisweilen die noch
weiter hinaus gelegenen, noch zum Stadtgebiete gezählten Landhäuser ein¬
schließt. Diese Bannmeile wird von städtischen bewaffneten Beamten begangen,
und hier und da befinden sich auf ihr Zollstätten, wo jene Accise während
des Tages zu entrichten ist. Nun erspart sich jeder, welcher sich der Wach¬
samkeit der Zollaufseher entziehen und die Linie mit Eßwaaren für den
städtischen Markt oder die Gastwirthschaften Passiren kann, die Steuer.


Grenzboten II. 1876. 3

Stellung neben und selbst über dem Gesetze. Offene Räubereien werden nur
von der niedrigsten Klasse und von eigentlichen Verbrechern begangen, welche
die Genossenschaft kraft ihres Codex zwar zu verbergen und durch Zeugniß-
Verweigerung vor der Strafe zu sichern hat, die ihr aber unangenehm sind,
da sie ihr Störung in dem einträglicheren Geschäfte der Erhebung von Schutz¬
geldern und in der Umgehung der Zollstätten verursachen, weil die Behörden
selbstverständlich da, wo ein Raub vorgefallen ist, durch Aufstellung von
Wachen in größerer Zahl die Wiederholung eines solchen Vorfalls, damit
aber auch die Praktiken der Mafiusi erschweren. Der Bund hat intelligente
Leute sowohl in den Städten als auf dem platten Lande. Er hat Loosungen,
Paßworte und andere Erkennungszeichen für seine Mitglieder und Schützlinge.
Sein Einfluß durchdringt alle Verhältnisse der Insel, und die besseren Klassen
haben, außer Stande, seine Macht erfolgreich zu bekämpfen, sich seit unvor¬
denklichen Zeiten mit ihm vertragen und sich seiner zu ihrer Sicherheit be¬
dient. Jeder große Grundbesitzer beinahe hat ein paar bewaffneter Wächter, die
gewöhnlich beritten sind, in seinem Solde, und diese sind fast ohne Aus¬
nahme Mafiusi; selbst die königlichen Domänen werden von Leuten dieser
Art gehütet.

Die Häupter der Genossenschaft auf dem Lande draußen sind gewöhnliche
Feldwächter, kleine Pächter und selbst Grundbesitzer, in den Städten gehören
sie den verschiedenen Handwerken sowie der Klasse der Tagelöhner an. Sie
sind in ihrer Art vollkommen ehrlich, und in der That sind sie Gegner aller
kleinen Räubereien und suchen dieselben in ihrem Bereiche nach Kräften zu
verhüten. Grundbesitzer können bei niemand bessern Schutz finden, als bei
ihnen, vorausgesetzt, daß sie bereitwillig die dafür von ihnen verlangte mäßige
Steuer entrichten.

Um die Schmuggler-Operationen der Mafiusi zu verstehen, muß man
wissen, daß alle Stadtverwaltungen Siciliens gleich denen im übrigen Italien
und in Frankreich die ihnen nöthigen Mittel sich durch eine Steuer auf alle
Eßwaaren und Getränke verschaffen, welche in die Stadt eingeführt werden,
um dort verzehrt zu werden. Fleisch. Fische, Gemüse, Wein, kurz alle Nahrungs¬
mittel bezahlen einen Zoll, und dieser wird in dem Augenblicke und an der
Stelle erhoben, wo diese Dinge die Stadt betreten. Rings um jeden Ort ist
eine imaginäre Linie gezogen, welche auch die Vorstädte und bisweilen die noch
weiter hinaus gelegenen, noch zum Stadtgebiete gezählten Landhäuser ein¬
schließt. Diese Bannmeile wird von städtischen bewaffneten Beamten begangen,
und hier und da befinden sich auf ihr Zollstätten, wo jene Accise während
des Tages zu entrichten ist. Nun erspart sich jeder, welcher sich der Wach¬
samkeit der Zollaufseher entziehen und die Linie mit Eßwaaren für den
städtischen Markt oder die Gastwirthschaften Passiren kann, die Steuer.


Grenzboten II. 1876. 3
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[0021] Stellung neben und selbst über dem Gesetze. Offene Räubereien werden nur von der niedrigsten Klasse und von eigentlichen Verbrechern begangen, welche die Genossenschaft kraft ihres Codex zwar zu verbergen und durch Zeugniß- Verweigerung vor der Strafe zu sichern hat, die ihr aber unangenehm sind, da sie ihr Störung in dem einträglicheren Geschäfte der Erhebung von Schutz¬ geldern und in der Umgehung der Zollstätten verursachen, weil die Behörden selbstverständlich da, wo ein Raub vorgefallen ist, durch Aufstellung von Wachen in größerer Zahl die Wiederholung eines solchen Vorfalls, damit aber auch die Praktiken der Mafiusi erschweren. Der Bund hat intelligente Leute sowohl in den Städten als auf dem platten Lande. Er hat Loosungen, Paßworte und andere Erkennungszeichen für seine Mitglieder und Schützlinge. Sein Einfluß durchdringt alle Verhältnisse der Insel, und die besseren Klassen haben, außer Stande, seine Macht erfolgreich zu bekämpfen, sich seit unvor¬ denklichen Zeiten mit ihm vertragen und sich seiner zu ihrer Sicherheit be¬ dient. Jeder große Grundbesitzer beinahe hat ein paar bewaffneter Wächter, die gewöhnlich beritten sind, in seinem Solde, und diese sind fast ohne Aus¬ nahme Mafiusi; selbst die königlichen Domänen werden von Leuten dieser Art gehütet. Die Häupter der Genossenschaft auf dem Lande draußen sind gewöhnliche Feldwächter, kleine Pächter und selbst Grundbesitzer, in den Städten gehören sie den verschiedenen Handwerken sowie der Klasse der Tagelöhner an. Sie sind in ihrer Art vollkommen ehrlich, und in der That sind sie Gegner aller kleinen Räubereien und suchen dieselben in ihrem Bereiche nach Kräften zu verhüten. Grundbesitzer können bei niemand bessern Schutz finden, als bei ihnen, vorausgesetzt, daß sie bereitwillig die dafür von ihnen verlangte mäßige Steuer entrichten. Um die Schmuggler-Operationen der Mafiusi zu verstehen, muß man wissen, daß alle Stadtverwaltungen Siciliens gleich denen im übrigen Italien und in Frankreich die ihnen nöthigen Mittel sich durch eine Steuer auf alle Eßwaaren und Getränke verschaffen, welche in die Stadt eingeführt werden, um dort verzehrt zu werden. Fleisch. Fische, Gemüse, Wein, kurz alle Nahrungs¬ mittel bezahlen einen Zoll, und dieser wird in dem Augenblicke und an der Stelle erhoben, wo diese Dinge die Stadt betreten. Rings um jeden Ort ist eine imaginäre Linie gezogen, welche auch die Vorstädte und bisweilen die noch weiter hinaus gelegenen, noch zum Stadtgebiete gezählten Landhäuser ein¬ schließt. Diese Bannmeile wird von städtischen bewaffneten Beamten begangen, und hier und da befinden sich auf ihr Zollstätten, wo jene Accise während des Tages zu entrichten ist. Nun erspart sich jeder, welcher sich der Wach¬ samkeit der Zollaufseher entziehen und die Linie mit Eßwaaren für den städtischen Markt oder die Gastwirthschaften Passiren kann, die Steuer. Grenzboten II. 1876. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/21>, abgerufen am 27.11.2024.