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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Konstantin AöUer's Schrift "Z)as deutsche Keich und die
Kirchliche Irage".*)
Professor Dr. W. Beyschlag. I.

Referent befindet sich mit dem vorliegenden Buche, wie er sogleich voraus¬
schicken will, in dem vielfachen und tiefgreifenden Widerspruch, den der Gegen¬
satz einer an Schleiermacher angeschlossenen positiven Theologie und einer
philosophischen Weltanschauung, die in geistvoll-freier, aber doch sehr energischer
Weise die Hegel'sche Denkart reproducirt, so zu sagen selbstverständlich in sich
schließt. Weder hinsichtlich des Religionsbegriffs, noch des Verhältnisses von
>5dee und Thatsache im Christenthum, noch der Stellung, die er principiell
^M Staat und der Kirche zu einander gibt, kann ich dem Verfasser zustim¬
mn, und so könnte ich den praktisch-kirchlichen Postulaten, auf die sein Buch
schließlich hinauskommt, selbst dann nicht Recht geben, wenn ihre Ausführung
überhaupt eine mögliche wäre. Vielleicht hat es nach dieser Vorbemerkung
^hev größeres Gewicht, wenn ich hinzufüge, daß gleichwohl ein Buch von
gleicher Bedeutung für die Selbsterkenntniß unseres deutschen Volkes seit
dreißig Jahren, seit Hundeshagen's epochemachender Schrift über den "deut¬
schen Protestantismus, seine geschichtliche Vergangenheit und seine heutigen
Lebensfragen" nicht erschienen ist und daß inmitten alles dessen, was ich in
demselben für irrig und verkehrt halten muß, die darin ausgesprochenen Wahr¬
sten sowohl nach ihrem Gewicht für das Leben unsrer Nation als nach der
Tülle von Geist, Sachkenntniß, Beredtsamkeit und sittlicher Energie, mit der
^ empfohlen werden, ganz gewaltige sind. Ginge es in Deutschland mit
Achten Dingen zu, so müßte dies seit vier Monaten ausgegebene Buch bereits
^ drei, vier Auflagen verschlungen sein. Aber unser Zeitgeist hat nur nach



") Constantin Rößler: Das Deutsche Reich und die kirchliche Frage. Leipzig, F. W. Gru-
"0W. 1876.
Grenzboten II. 1876. 26
Konstantin AöUer's Schrift „Z)as deutsche Keich und die
Kirchliche Irage".*)
Professor Dr. W. Beyschlag. I.

Referent befindet sich mit dem vorliegenden Buche, wie er sogleich voraus¬
schicken will, in dem vielfachen und tiefgreifenden Widerspruch, den der Gegen¬
satz einer an Schleiermacher angeschlossenen positiven Theologie und einer
philosophischen Weltanschauung, die in geistvoll-freier, aber doch sehr energischer
Weise die Hegel'sche Denkart reproducirt, so zu sagen selbstverständlich in sich
schließt. Weder hinsichtlich des Religionsbegriffs, noch des Verhältnisses von
>5dee und Thatsache im Christenthum, noch der Stellung, die er principiell
^M Staat und der Kirche zu einander gibt, kann ich dem Verfasser zustim¬
mn, und so könnte ich den praktisch-kirchlichen Postulaten, auf die sein Buch
schließlich hinauskommt, selbst dann nicht Recht geben, wenn ihre Ausführung
überhaupt eine mögliche wäre. Vielleicht hat es nach dieser Vorbemerkung
^hev größeres Gewicht, wenn ich hinzufüge, daß gleichwohl ein Buch von
gleicher Bedeutung für die Selbsterkenntniß unseres deutschen Volkes seit
dreißig Jahren, seit Hundeshagen's epochemachender Schrift über den „deut¬
schen Protestantismus, seine geschichtliche Vergangenheit und seine heutigen
Lebensfragen" nicht erschienen ist und daß inmitten alles dessen, was ich in
demselben für irrig und verkehrt halten muß, die darin ausgesprochenen Wahr¬
sten sowohl nach ihrem Gewicht für das Leben unsrer Nation als nach der
Tülle von Geist, Sachkenntniß, Beredtsamkeit und sittlicher Energie, mit der
^ empfohlen werden, ganz gewaltige sind. Ginge es in Deutschland mit
Achten Dingen zu, so müßte dies seit vier Monaten ausgegebene Buch bereits
^ drei, vier Auflagen verschlungen sein. Aber unser Zeitgeist hat nur nach



") Constantin Rößler: Das Deutsche Reich und die kirchliche Frage. Leipzig, F. W. Gru-
"0W. 1876.
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[0205] Konstantin AöUer's Schrift „Z)as deutsche Keich und die Kirchliche Irage".*) Professor Dr. W. Beyschlag. I. Referent befindet sich mit dem vorliegenden Buche, wie er sogleich voraus¬ schicken will, in dem vielfachen und tiefgreifenden Widerspruch, den der Gegen¬ satz einer an Schleiermacher angeschlossenen positiven Theologie und einer philosophischen Weltanschauung, die in geistvoll-freier, aber doch sehr energischer Weise die Hegel'sche Denkart reproducirt, so zu sagen selbstverständlich in sich schließt. Weder hinsichtlich des Religionsbegriffs, noch des Verhältnisses von >5dee und Thatsache im Christenthum, noch der Stellung, die er principiell ^M Staat und der Kirche zu einander gibt, kann ich dem Verfasser zustim¬ mn, und so könnte ich den praktisch-kirchlichen Postulaten, auf die sein Buch schließlich hinauskommt, selbst dann nicht Recht geben, wenn ihre Ausführung überhaupt eine mögliche wäre. Vielleicht hat es nach dieser Vorbemerkung ^hev größeres Gewicht, wenn ich hinzufüge, daß gleichwohl ein Buch von gleicher Bedeutung für die Selbsterkenntniß unseres deutschen Volkes seit dreißig Jahren, seit Hundeshagen's epochemachender Schrift über den „deut¬ schen Protestantismus, seine geschichtliche Vergangenheit und seine heutigen Lebensfragen" nicht erschienen ist und daß inmitten alles dessen, was ich in demselben für irrig und verkehrt halten muß, die darin ausgesprochenen Wahr¬ sten sowohl nach ihrem Gewicht für das Leben unsrer Nation als nach der Tülle von Geist, Sachkenntniß, Beredtsamkeit und sittlicher Energie, mit der ^ empfohlen werden, ganz gewaltige sind. Ginge es in Deutschland mit Achten Dingen zu, so müßte dies seit vier Monaten ausgegebene Buch bereits ^ drei, vier Auflagen verschlungen sein. Aber unser Zeitgeist hat nur nach ") Constantin Rößler: Das Deutsche Reich und die kirchliche Frage. Leipzig, F. W. Gru- "0W. 1876. Grenzboten II. 1876. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/205>, abgerufen am 23.11.2024.